Nach dem EU-Gipfel : Streit vorm Weihnachtsfest
Olaf Scholz lobt in seiner Regierungserklärung die Einigkeit Europas und Deutschlands Hilfen für die Ukraine. Die Opposition sieht den Kanzler dagegen isoliert.
Auf dem Weg nach Brüssel: Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Regierungserklärung im Bundestag
Vor den 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Länder liege ein "busy day", hatte EU-Ratspräsident Charles Michel zum Auftakt des EU-Gipfels am vergangenen Donnerstag getwittert und damit nicht übertrieben. Denn tatsächlich war die Liste der Probleme, für die es eine einvernehmliche Lösung zu finden galt, lang: Ein milliardenschweres Hilfspaket für die Ukraine, neue Sanktionen gegen Russland, die Erweiterung der EU und des Schengen-Raums und nicht zuletzt das Dauerstreitthema Gaspreisdeckel, um nur die wichtigsten zu nennen.
Am Ende des Gipfels, der trotz voller Agenda früher als erwartet bereits am Abend zu Ende ging, zeigten sich die Staats- und Regierungschefs demonstrativ geschlossen. Darauf hatten sie die tschechische Ratspräsidentschaft und vor allem der Ratspräsident auch eingeschworen: "Wir müssen es schaffen zu zeigen, dass wir geeint sind", so Michel noch am Donnerstagmorgen.
EU-Staaten beschließen Hilfen für die Ukraine
Zumindest teilweise scheint die Bitte beherzigt worden zu sein: Die EU beschloss einstimmig weitere Hilfen für die Ukraine und ein neues Sanktionspaket gegen Russland (zu weiteren Ergebnissen des Gipfels siehe auch Seite 1). Beide Beschlüsse hatten Polen und Ungarn zunächst blockiert, um eigene Interessen durchzusetzen - am Ende ohne Erfolg: Ungarn muss weiterhin auf 6,3 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt wegen Verstößen gegen die rechtsstaatlichen Normen verzichten. Einen "Megadeal" rühmte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala dieses Verhandlungsergebnis.
Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war ein "seltener Moment der Zufriedenheit" vergönnt, wie er anschließend bekannte. Die EU hatte sich auf die Umsetzung einer globalen Mindeststeuer geeinigt, ein "Herzensprojekt" des Kanzlers.
Keine Einigung über Gaspreisdeckel
Doch wichtige Fragen blieben offen. Verschoben wurde die Diskussion über den Gaspreisdeckel. Dabei hatte sich Scholz zuversichtlich gezeigt, dass eine Einigung der EU-Staaten bei dem Treffen kurz bevorstehe.
Dass es mit dem Streit aber nicht so schnell vorbei sein würde, darauf hatte bereits eine Debatte im Bundestag einen Vorgeschmack gegeben. Von Weihnachtsfrieden war hier noch nicht viel zu spüren. Vor seiner Abreise nach Brüssel hatte der Bundeskanzler am vergangenen Mittwoch im Plenum eine Regierungserklärung zum EU-Treffen, aber auch zum davor stattfindenden ersten EU-Südostasien-Gipfel abgegeben und dabei die Handlungsfähigkeit sowohl der EU als auch der von ihm geführten Ampel-Koalition hervorgehoben. Doch die Opposition sah entscheidende Versäumnisse, doch dazu später mehr.
Scholz verurteilt Putins "Großmachtswahn"
Putin habe sich "fundamental verrechnet", sagte Scholz zum Beginn seiner Rede. Er habe Europa und den Westen für "zu uneinig gehalten, um der Ukraine wirksam zu helfen". Die EU aber widersetze sich seinem "Großmachtswahn und Imperialismus". In der Unterstützung der Ukrainer werde man jedenfalls nicht nachlassen: "Finanziell, humanitär und auch mit Waffen" werde Deutschland dem Land so lange weiter helfen, wie es erforderlich sei, bekräftigte der Kanzler.
Putin sei aber auch gescheitert in dem Bestreben, Energie als Druckmittel einzusetzen. Er habe geglaubt, er könne "Europas Solidarität austrocknen, indem er uns den Gashahn zudreht. Aber kein einziger von Putins Plänen ist aufgegangen". Nie zuvor habe man ein der EU in Energiefragen so eng zusammengearbeitet - ob bei Energiesparzielen, der Abfederung von hohen Strompreisen oder dem gemeinsamen Einkauf von Gas, man handele zusammen. Mit Stolz verwies Scholz auch auf die Eröffnung des ersten schwimmenden Flüssiggas-Terminals. Viele hätten daran gezweifelt, dass dies noch in diesem Jahr gelingen würde. Doch es habe geklappt.
Union sieht schwere Versäumnisse
Für die Opposition nicht genug. Zwar teile er die Einschätzung des Kanzlers zum Ukrainekrieg, räumte Unionsfraktionschef Fridrich Merz zu Beginn seiner Rede ein, warf Scholz aber vor, Schützenpanzer und Kampfpanzern vorzuenthalten. Der Kanzler verstecke sich hinter den Nato-Partnern, die angeblich auch nicht liefern wollen. Doch das stimme nicht, so Merz. Es liege an Scholz "persönlich", dass die Ukraine diese Hilfe nicht erhalte.
Auch Versäumnisse in der EU-Politik kritisierte Merz: Die deutsch-französischen Beziehungen seien "tief gestört". Beobachter sähen den Kanzler vor dem Gipfel isoliert, bezeichneten ihn als "Einzelgänger in der EU-Politik".
Ein Vorwurf, den Katharina Dröge (Grüne) sofort parierte: Die EU gespalten und Deutschlands Ruf geschadet habe doch in der Vergangenheit vor allem der Kurs der "elenden Austeritätspolitik" des früheren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU), meinte sie und hielt der Union vor, sich in die "Populismusopposition" zurückgezogen zu haben. Deutschland und die EU dagegen handelten, sagte Dröge unter anderem mit Blick auf neue Sanktionen gegen Russland.
AfD kritisiert Sanktionen
Für ein Ende der Sanktionen gegen Russland sprach sich hingegen Tino Chrupalla (AfD) aus: Deutschland als Land ohne Rohstoffe und mit hoher Inflation könne es sich nicht erlauben, "ständig wirtschaftliche Sanktionen im Namen einer feministischen Außenpolitik" zu verhängen. Das schade dem Land und seinen Bürgern.
Auch Dietmar Bartsch (Linke) ging die Bundesregierung wegen ihrer Rolle in der EU hart an: Europäischen Lösungen für Inflation und Energiekrise suche man vergebens. Das liege am mangelnden Engagement der Bundesregierung. Ob gemeinsame Gaseinkäufe, Gaspreisbremse oder Übergewinnsteuer - Deutschland mache zu wenig. "Ich sehe nur ein Maximum an Selbstgerechtigkeit", sagte Bartsch.
Koalition bekräftigt Geschlossenheit
Solche Kritik wies Achim Post (SPD) strikt zurück: Die Bundesregierung agiere entschlossen - in Europa und in Deutschland. Post verwies als Beispiel auf die bisherigen Entlastungspakete und die 200 Milliarden Euro zur Deckelung der Energiepreise. In Europa reagiere man mit neun Sanktionspaketen auf den Angriffskrieg Russlands. Das seien Sanktionen, "die es so noch nie gegeben" habe. Auch bei der EU-Erweiterung bilanzierte Post: Nach Jahren der Stagnation treibe Scholz die Integration des westlichen Balkans voran.
Auch Christian Dürr (FDP) wollte sich sichtlich ungern Vorhaltungen machen lassen - vor allem nicht beim Thema Freihandel. Die Bundesregierung positioniere sich eindeutig. Man wolle vorangehen mit Mercosur und einen Neustart des Freihandelsabkommens mit den USA, stellte Dürr klar. "Schauen sie hin, was wir machen", forderte der Liberale.