Neue EU-Kommission im Stresstest : Von der Leyens Frauenfrage verzögert den Start der Kommission
Die Vorstellung der neuen EU-Kommission von Ursula von der Leyen wurde verschoben und die Suche nach geeigneten Kandidatinnen geht weiter.
Eigentlich wollte Ursula von der Leyen ihr Personaltableau vorlegen, doch die Suche nach einer neuen EU-Regierung geht weiter.
Das Europäische Parlament steht nach der Sommerpause vor einer wichtigen Weichenstellung für die neue Wahlperiode: Die Abgeordneten müssen in einem aufwendigen Verfahren grünes Licht für die politische Führung der EU-Kommission bis 2029 geben. Die Vorschläge, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) für die Besetzung ihres Teams präsentiert, werden vom Parlament gründlich geprüft, die Bewerber ausgiebig befragt, missliebige Kandidaten aussortiert, erst dann wird das womöglich überarbeitete Personaltableau abgesegnet - nur nach diesem Placet des Parlaments kann die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufnehmen.
Doch die Sache beginnt holprig, das sogenannte Kollegium wird erst mit Verspätung starten: Von der Leyen hat die für Mittwoch dieser Woche angekündigte Präsentation ihrer Vorschläge vor den Fraktionsspitzen abgesagt, als neuer Termin ist der 17. September anvisiert. Offizieller Grund: EU-Mitglied Slowenien hat - auf Bitten von der Leyens - im letzten Moment seinen Kandidaten ausgetauscht und nun die Diplomatin Marta Kos nominiert, die aber nicht rechtzeitig die Hürde im heimischen Parlament in Ljubljana nehmen konnte.
Regierungen der Mitgliedstaaten nominierten überwiegend männliche Kandidaten
Hinter von der Leyens Terminverschiebung steckt jedoch ein größeres Problem: Die Präsidentin verfehlt ihr Ziel eines geschlechterparitätischen Kollegiums. Die Regierungen der Mitgliedstaaten nominierten bis zum Ende der Meldefrist Ende August in der Mehrzahl Männer für die wichtigen Posten - fast alle widersetzten sich dem Wunsch, sowohl einen männlichen als auch einen weiblichen Kandidaten zu benennen, zwischen denen von der Leyen wie 2019 auswählen wollte. Für die Präsidentin ist das zum Start ihrer zweiten Amtszeit eine Niederlage, die in Brüssel für Diskussionen sorgt. Erzwingen kann von der Leyen nichts, sie ist auf den guten Willen der Mitgliedsstaaten angewiesen, denen jeweils ein Sitz in der Kommission zusteht. Anfangs waren nur acht Frauen nominiert, nach Druck von der Leyens auf kleinere Länder wie jetzt Slowenien werden immerhin zehn der 26 Kommissare weiblich sein. Die Präsidentin eingerechnet sitzen elf Frauen und 16 Männer am Tisch. Die Gleichstellungs-Querelen haben offenbar auch von der Leyens weitere Vorbereitungen der Besetzungsliste verzögert.
Die Grundzüge zeichnen sich aber ab: So soll es nach bisherigen Plänen vier geschäftsführende Vizepräsidenten geben, zwei weitere EU-Kommissare werden von der Leyen direkt zugeordnet. Neu werden Kommissare für Verteidigung und für das Mittelmeer sein, auch ein Ressort mit der Zuständigkeit für Wohnen ist geplant.
Bei den nationalen Regierungen besonders begehrt sind Ämter in den Bereichen Wirtschaft, Haushalt und EU-Erweiterung. Zu den Schwergewichten unter den nominierten Kandidaten gehören die bisherigen Kommissionsvizepräsidenten Valdis Dombrovskis aus Lettland und Maros Sefcovicc aus der Slowakei sowie der amtierende Binnenmarktkommissar, der Franzose Thierry Breton, der im Vorfeld der Europawahlen mit scharfer Kritik an von der Leyen von sich reden machte. Der frühere Manager Breton dürfte abermals Verantwortung im Wirtschaftsbereich tragen, Dombrovskis ist für das große Thema EU-Erweiterung im Gespräch, Sefcovicc könnte mit dem politisch aufgeladenen Bürokratieabbau beauftragt werden. Die Spanierin Teresa Ribera wird, wenn sich erste Überlegungen bestätigen, für die ökologische Transformation zuständig sein. Polens Ministerpräsident Donald Tusk drängt sehr darauf, dass sein Kandidat Piotr Serafin das Haushaltsressort erhält.
Protest gegen italienischen Rechtsaußenpolitiker Fitto
Viele Blicke richten sich auf den bisherigen italienischen Europaminister Raffaele Fitto von der Rechtsaußen-Partei Fratelli d'Italia. Mit Fitto hat Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni einen relativ moderaten und proeuropäischen Kandidaten nominiert, im Gegenzug hofft Meloni nun auf einen der Vizepräsidenten-Posten für ihr Land. Im EU-Parlament wird gegen Fitto schon Protest laut, vor allem bei der Liberalen-Fraktion (Renew Europe). Gesetzt ist die frühere estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, die schon von den Regierungschefs als EU-Außenbeauftrage auserkoren wurde.
Brüssel nach der Europawahl
Das neu gewählte Europäische Parlament hat seine erste Bewährungsprobe bestanden und bestätigt Ursula von der Leyen und Roberta Metsola in ihren Ämtern.
Mit Viktor Orbán hat am 1. Juli ein Rechtspopulist den Vorsitz im EU-Rat übernommen - ausgerechnet in einer Zeit, in der Europa nach rechts strebt.
Nachdem von der Leyen die Präsentation ihres Teams verschoben hat, ist der ursprüngliche Zeitplan, nach dem das Parlament die Vorschläge im Oktober abgesegnet hätte, kaum noch zu halten. Die Kandidaten werden in den Fachausschüssen geprüft und in Einzelfällen auch zurückgewiesen, 2019 fielen etwa Bewerber aus Ungarn, Rumänien und Frankreich durch. Die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke droht damit, per Veto einen höheren Frauenanteil in der Kommission zu erzwingen. "Wir leben nicht mehr in den 50er-Jahren", sagt Reintke. Mit der Bestätigung des Spitzen-Teams dürfte erst ab November zu rechnen sein - damit kann die Kommission frühestens am 1. Dezember starten.
Ungarns Ministerpräsident Orbán erwartet ein Donnerwetter in Straßburg
Bevor es ernst wird mit den Personalfragen, stehen erstmal aus anderen Gründen Turbulenzen im Parlament bevor. Am 18. September wird Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Plenum erwartet, er will das Programm der laufenden ungarischen Ratspräsidentschaft vorstellen und debattieren lassen. Doch auf Viktor Orbán wartet ein Scherbengericht: Mit seinen als "Friedensmission" bezeichneten Besuchen in Kiew, Moskau und Peking zur Sondierung eines Kriegsendes in der Ukraine, gekrönt von einem Treffen mit US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, hat der Premier viel Ärger auf sich gezogen. Der Ungar war als Ministerpräsident seines kleinen Landes ohne Mandat der Europäischen Union unterwegs, spielte aber mit dem Missverständnis, er sei im Rahmen der ungarischen Ratspräsidentschaft als offizieller EU-Vertreter zu Besuch. Das trug ihm scharfe Rügen der EU-Spitzen ein, das große Donnerwetter folgt nun im Parlament in Straßburg.
Der Autor ist EU-Korrespondent der Funke-Mediengruppe.