Vergessene Krisen : Droht eine Zeitenwende in der Humanitären Hilfe?
Humanitäre Hilfe müsse nach Bedarf geleistet werden und nicht nach politischen Interessen, mahnen Sachverständige in einer Anhörung im Menschenrechtsausschuss.
Rund 120 bewaffnete Konflikte weltweit - im Blick der Öffentlichkeit stehen derzeit aber vor allem zwei: die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Über schwere Krisen in anderen Teilen der Welt, etwa in Somalia, Libyen, Myanmar oder Jemen, werde kaum in den Medien berichtet - mit gravierenden Folgen, wie Vertreter von Hilfsorganisationen in einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses am Mittwoch deutlich machten.
Die mangelnde Berichterstattung führe zu einer geringeren Sichtbarkeit solcher Krisen und damit auch zu schwindender finanzieller Unterstützung. Das humanitäre Hilfssystem sei immer weniger in der Lage, das "Defizit der Aufmerksamkeitsökonomie" auszugleichen, mahnten Sachverständige. Humanitäre Hilfe dürfe sich aber nicht nur auf die "tagesaktuellen Krisen" konzentrieren, mahnte Ariane Bauer, Regional-Direktorin für Europa und Asien des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Organisationen fordern flexibel einsetzbare Gelder
Fundamentale Prinzipien des Humanitären Völkerrechts, wie Menschlichkeit, Neutralität und Unparteilichkeit, müssten geachtet werden. Es brauche weiterhin flexibel einsetzbare Gelder, um auch in wenig beachteten Krisengebieten überlebensnotwendige Hilfe zu leisten, erklärte auch Martin Frick, Deutschland-Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, der zudem Parlament und kommende Bundesregierung an die Wirksamkeit "außenpolitischer Instrumente" erinnerte.
Katharina Küsters von der Kinderrechtsorganisation Plan International Deutschland betonte die Bedeutung von Prävention: Da Krisen immer länger dauerten, im Durchschnitt mehr als zehn Jahre, sei eine vorausschauende humanitäre Hilfe wichtig.
Besorgt über zwei Entwicklungen äußerten sich Lara Dovifat von Ärzte ohne Grenzen und Thorsten Klose-Zuber, Generalsekretär der Hilfsorganisation Help: Zum einen schrumpften trotz zunehmender Krisen die Budgets der humanitäre Hilfe, zum anderen richte sich die Verteilung von Geldern immer öfter nicht nach dem größten Bedarf, sondern nach "außen- und geopolitischen Interessen". Dovifat kritisierte unter anderem mit Blick auf den Kongo, dass Krisen nicht einfach vergessen, sondern vielmehr vernachlässigt würden. Um dem vorzubeugen, empfahl der Klose-Zuber, stärker lokale Hilfsorganisationen einzubinden. Diese seien auch dann noch tätig, wenn sich internationale Geber und Organisationen zurückzögen.
Sachverständiger: Kürzungen unterminieren Glaubwürdigkeit Deutschlands
Von einer "Zeitenwende in der humanitären Hilfe" warnte Ralf Südhoff, Gründer des Centre for Humanitarian Action in Berlin: Durch die geplanten Kürzungen riskiere Deutschland, seine Glaubwürdigkeit als Geber zu verspielen. Zulasten vergessener Krisen drohe auch die neue humanitäre Strategie des Auswärtigen Amtes zu gehen, die einen "strategischen Einsatz" von Mittel vorsehe und damit einer Politisierung der humanitären Hilfe Vorschub leiste, monierte der Entwicklungsexperte.