
Annäherung zwischen Armenien und Aserbaidschan : Friedensvertrag lässt viele strittige Fragen offen
Armenien und Aserbaidschan haben sich nach jahrzehntelangem Krieg um Berg-Karabach auf einen Friedensvertrag geeinigt. In Armenien sind die Reaktionen verhalten.
Mehr als 30 Jahre haben Armenien und Aserbaidschan unerbittlich Krieg gegeneinander geführt. Doch nun ist offenbar die Einigung auf einen Friedensvertrag gelungen. Am 13. März erklärten die Außenministerien beider Länder, dass ein Vertrag mit dem verfeindeten Nachbarn unterschriftsreif sei. Der genaue Inhalt ist nicht bekannt, auch wann es unterzeichnet werden soll, ist bislang offen.
Medienberichten zufolge soll unter anderem der Abzug ausländischer Einheiten von der gemeinsamen Grenze geplant sein. Das dürfte vor allem die EU-Mission EUMA betreffen, die seit 2023 von Armenien aus die Grenze zu Aserbaidschan beobachtet. Andere Fragen scheinen dagegen noch offen zu sein, darunter die Forderung Aserbaidschans nach einer Änderung der armenischen Verfassung, da diese Ansprüche auf aserbaidschanisches Territorium erhebe. Armenien weist das zurück und schließt eine Verfassungsänderung aus.
„In den letzten beiden Punkten hat Armenien einfach die Forderungen von Aserbaidschan akzeptiert, ohne etwas dafür zu bekommen.“
Bei dem Konflikt zwischen beiden Kaukasusrepubliken geht es vor allem um die von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach. Die Exklave auf dem Gebiet Aserbaidschans hatte sich 1991 völkerrechtswidrig für unabhängig erklärt und hing von vornherein am Tropf des Mutterlands Armenien. Allein in der Zeit von 1991 bis 1994 kamen bei Kämpfen zwischen 20.000 und 30.000 Menschen ums Leben, mehr als eine Million Menschen wurden vertrieben. In den 1990er Jahren ging Armenien siegreich aus den Kämpfen hervor, dank der Unterstützung durch Russland. Als dann Aserbaidschan 2020 eine Gegenoffensive begann, hielt sich Russland zurück. Ebenso, als Aserbaidschan Berg-Karabach 2023 zurückeroberte und rund 100.000 Armenier vertrieb. Die Bewohner berichten von Massakern, die Wunden sitzen tief.
EU-Mission EUMA hat zum Rückgang der Zusammenstöße an der Grenze geführt
Laut dem Analysten vom Presseclub Eriwan, Boris Navasardjan, ist das Abkommen in Armenien äußerst umstritten. „In den beiden letzten Punkten hat Armenien einfach die Forderungen von Aserbaidschan akzeptiert, ohne etwas dafür zu bekommen.“ So haben sich beide Seiten darauf verständigt, gegenseitige Klagen vor internationalen Gerichten zu unterlassen. Wenn Armenien auf den Rechtsweg verzichte, hieße das im Endeffekt, Armenien sei selbst für den Konflikt verantwortlich, warnt Navasardjan.
Der andere strittige Punkt betrifft die Anwesenheit der ausländischen Beobachter entlang der Grenze. Die zivile, unbewaffnete EU-Mission, die auf Bitten der armenischen Regierung in der Region ist, patrouilliert lediglich auf armenischem Staatsgebiet, Aserbaidschan verweigert den Beobachtern den Zugang. Seit die EU-Beobachter vor Ort sind, sind die Zusammenstöße zwischen Armeniern und Aserbaidschanern entlang der Grenze zurück gegangen. „Ohne die Beobachter“, erläutert Boris Navarsadian, „kann Aserbaidschan ohne jede Grundlage die armenische Seite für Schießereien an der Grenze verantwortlich machen.“ In der Vergangenheit hat die EU-Mission solche Anschuldigungen mehrfach als unbegründet ausgeräumt.
Aserbaidschan wirft Armenien vor, Zwischenfälle zu provozieren
Der stellvertretende Vorsitzende der aserbaidschanischen Nationalversammlung, Ziyafat Asqarov, macht genau das, was Navarsadian befürchtet - er wirft Armenien vor, aufzurüsten und Zwischenfälle zu provozieren. „Armenien stellt sich selbst als Friedenstaube da, zeigt nun aber sein wahres Gesicht“, so Asqarov im Gespräch mit dem Portal Teleqraf mit Sitz in Baku.
Armenien ist in einer schwierigen Lage. Geografisch ist es quasi umzingelt. Im Süden hat es eine Grenze zum Iran, im Norden grenzt es an Georgien. Doch wichtiger sind die Grenzen zu den Erzfeinden im Osten und Westen, zu Aserbaidschan und der Türkei. 1915 haben Türken etwa 1,5 Millionen Armenier systematisch ermordet. Die Türkei stellt sich bis heute nicht der Verantwortung und unterstützt das diktatorische Regime in Aserbaidschan.

Auf dem 1992 errichteten Militärfriedhof Yerablur in der armenischen Hauptstadt Jerewan ruhen Soldaten, die im Konflikt um Berg-Karabach ums Leben gekommen sind.
Armenien dagegen schaffte 2018 einen demokratischen Umbruch. Die sogenannte samtene Revolution brachte den Journalisten Nikol Paschinjan an die Spitze der Regierung. Die korrupten Eliten mit engen Verbindungen nach Berg-Karabach mussten ihre Regierungssessel räumen. Paschinjan versuchte einen Spagat. Er wollte das Land reformieren, ohne die Schutzmacht Russland zu verprellen. Doch Russland ließ ihn im Stich. Und Aserbaidschan ist militärisch weit überlegen. Viele Menschen in Armenien befürchten, dass die Nachbarn erneut angreifen.
Zweifel daran, ob das Abkommen langfristig Frieden bringen wird
Dass Aserbaidschan im Friedensabkommen den Abzug der EU-Beobachter fordert, lässt in Armenien Alarmglocken schrillen. „Aserbaidschan stellt immer neue Bedingungen“, sagt Victoria Andreasjan, Journalistin und Analystin und zuletzt Projektmanagerin beim von US-Entwicklungsbehörde USAID finanzierten Medienprogramm Armenien. „Die Regierung glaubt vor allem, dass nur ein juristisches Dokument uns vor einem Krieg bewahren kann“, erklärt sie.
Es gäbe aber auch einen politischen Grund dafür, dass sich Regierungschef Paschinjan sich zu diesem Friedensabkommen bereit erklärt habe: „Paschinjan möchte bei den Wahlen im kommenden Jahr zeigen, dass Frieden möglich ist und dass er für Frieden sorgt. Er kann dann sagen: Ich habe versprochen, für Frieden zu sorgen, hier ist das Dokument.“ Dass das Abkommen langfristig Frieden bringt, glaubt Andreasjan indes nicht.
Erstmals besucht ein Bundespräsident beide Staaten
Im westlichen Ausland wurde das Friedensabkommen positiv aufgenommen. So schrieb die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Plattform X, die Einigung zwischen Armenien und Aserbaidschan stimme hoffnungsvoll. Ihr estnischer Kollege sprach von einem "historischen Abkommen".
Frank-Walter Steinmeier wird vom 30. März bis 2. April nach Armenien und Aserbaidschan reisen. Es ist das erste Mal, dass ein Bundespräsident beide Staaten besucht, teilte das Bundespräsidialamt am Donnerstag in Berlin mit. Begleitet wird das Staatsoberhaupt von seiner Ehefrau Elke Büdenbender.
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