Erster Wahlkampfauftritt als Duo : Kamala Harris mischt die Karten im US-Wahlkampf neu
Bei den Demokraten herrscht nach Joe Bidens Verzicht auf eine erneute Kandidatur Euphorie. Doch dass Kamala Harris Donald Trump schlagen kann, ist nicht ausgemacht.
Wenn die US-Demokraten ab 19. August im "United Center" von Chicago zu ihrem Nominierungs-Parteitag für die Präsidentschaftswahl im November zusammenkommen, liegen politisch die wohl wildesten vier Wochen der jüngeren amerikanischen Geschichte hinter der Partei mit dem Esel im Wappen. Nachdem Amtsinhaber Joe Biden auf Druck aus den eigenen Reihen auf eine erneute Kandidatur verzichtete, musste das Drehbuch für die viertägige "convention" am Ufer des Michigans-Sees im Eiltempo komplett umgeschrieben werden - für die neue Kandidatin und amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris.
Nach Kandidatenwechsel: Demokraten so geeint wie selten
Die notorisch zerrissenen Demokraten präsentieren sich nach dem abrupten Kandidatenwechsel so geeint wie selten. Die Partei versammelte sich in Windeseile hinter der bis dahin oft angezweifelten Vizepräsidentin. Die 59-Jährige wurde bei einer Online-Abstimmung offiziell zur Kandidatin für den 5. November ausgerufen. Sie erhielt 99 Prozent der Stimmen. Alles Gerede um eine mögliche Kampfabstimmung bei der "convention" wurde früh im Keim erstickt.
Mit dem volksnahen Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, Tim Walz, präsentierte Harris in dieser Woche einen überraschenden Vize-Präsidentschaftskandidaten. Der 60-Jährige aus dem Mittleren Westen verkörpert als ehemaliger Highschool-Lehrer, langjähriger National-Gardist, Ex-Football-Coach und leidenschaftlicher Fasanen-Jäger eine bis weit ins konservative Lager hinein anschlussfähige Bodenständigkeit, die den Demokraten gerade in den ländlich-industriell geprägten "Rostgürtel"-Bundesstaaten helfen soll.
Der erste Auftritt mit Tim Walz vor 10.000 enthusiasmierten Anhängern in Philadelphia weckte Erinnerungen an die Euphorie aus den frühen Yes-we-can-Obama-Jahren.
Spenden fließen: Allein im Juli nahm Harris über 300 Millionen Dollar ein
Seit Bidens Rückzug und der Kür von Harris im Eiltempo fließt bei den Demokraten das Spendengeld in Strömen. Allein im Juli nahm Harris über 300 Millionen Dollar ein. Die Umfragen verheißen neue Zuversicht für die Partei. Wo Amtsinhaber Biden national wie auch in den voraussichtlich sechs bis sieben wahlentscheidenden Bundesstaaten von Nevada bis Michigan konstant und teilweise deutlich hinter Donald Trump rangierte, sind die Abstände deutlich geringer geworden. Vereinzelt ergibt sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Hie und da liegt Harris sogar marginal in Front.
Wie nachhaltig das ist und ob Harris/Walz das konkurrierende Gespann Trump/Vance überholen können, ist drei Monate vor der Wahl noch nicht auszumachen. Gleichwohl herrscht im Wahlvolk links der Mitte unerwartete Aufbruchsstimmung. Die Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes, der noch vor einem Monat den Stempel der abtörnenden Langeweile trug, ist völlig neu konfiguriert.
Eine Garantie für den Sieg am 5. November gegen Donald Trump ist die Stimmungslage nicht. David Axelrod, früherer Chefberater von Präsident Barack Obama, charakterisiert den Höhenflug der 59-Jährigen als „irrationalen Überschwang”. Sein Tenor und der vieler US-Kommentatoren: Die echten Stolpersteine kommen erst noch.
Harris versucht Trump durch dosierten Spott zu entwaffnen
Bei dem Parteitag, zu dem gut 50.000 Delegierte, Journalisten und politische Gäste aus aller Welt erwartet werden, wird es in erster Linie darum gehen, „die Euphorie der vergangenen Wochen zu konservieren und alle Kräfte geschlossen gegen Trump zu bündeln”, sagte ein Berater der Harris-Kampagne in Washington. Dahinter steht die Auffassung, dass der abrupte Wechsel von Biden zu Harris Trump „aus der Bahn geworfen hat”. Belege dafür seien „sexistisch-rassistische Attacken” gegen Harris, deren ethnische Identität als Afro-Amerikanerin mit indischen Wurzeln Trump offen anzweifelt.
Kamala Harris will aus einem ganz besonderen Kontrast Nutzen ziehen: Als ehemalige Generalstaatsanwältin des Bundesstaates Kalifornien kenne sie sich mit Kriminellen jeder Couleur aus, hat sie bei Kundgebungen gesagt. Trump, mehrfach angeklagt und bereits ein Mal verurteilt, sei darum für sie leicht zu handhaben. Auffallend: Anders als Joe Biden, der in Trump die Bedrohung schlechthin für die amerikanische Demokratie sieht, versucht Harris den Gegner durch dosierten Spott zu entwaffnen und zu entdämonisieren.
Dass Harris Trump das Demokratiezerstörerische abschminkt, behagt in der Partei nicht jedem, gefällt aber, wie Umfragen nahelegen, parteiunabhängigen Wählern, die mit der Eskalation der Worte zwischen Demokraten und Republikanern in den vergangenen Monaten nichts mehr anfangen konnten. Harris Vorgehen in Chicago könnte einen Sinnspruch der früheren First Lady Michelle Obama beherzigen, die dereinst die verbalen Tobsuchtsanfälle der Konservativen mit dem Satz gekontert hatte: "When they go low, we go high." Wenn sich die anderen im Ton vergreifen, bleiben wir anständig.
Trump wird Wirtschaft zugetraut
In Chicago wird von Harris/Walz eine schlüssige Antwort auf ein Handicap erwartet, das trotz geringer Arbeitslosigkeit, höherer Löhne und im internationalen Vergleich starken Post-Corona-Wirtschaftswachstums die Biden-Präsidentschaft verschattet: Donald Trump wird in Umfragen beständig bescheinigt, eine höhere Wirtschaftskompetenz zu haben als ein(e) Demokrat(in).
Der temporäre Börsen-Absturz zu Beginn dieser Woche gepaart mit vergleichsweise mickrigen Zahlen bei der Neubeschäftigung und nach wie vor hohen Verbraucherpreisen sowie Kreditzinsen hat die Sorge vor einer möglichen Rezession in den USA deutlich verstärkt. Auf Kamala Harris und Tim Walz lastet die Verpflichtung, den Amerikanern eine glaubwürdige Blaupause anzubieten, wie die wirtschaftliche Zukunft des Landes unter einer demokratischen Präsidentin ab Januar 2025 nachhaltig besser werden kann.
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