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Einsatz im Irak : Proporz nach Ethnien und Religionen

Bundestag verlängert Einsatz im Irak. Dort gestaltet sich die Regierungsbildung schwierig.

24.10.2022
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4 Min

Der Bundestag gibt grünes Licht für die Fortsetzung des Irak-Mandats der Bundeswehr im Einsatz gegen den "Islamischen Staat" (IS). 535 Abgeordnete votierten in namentlicher Abstimmung vergangenen Freitag für einen Antrag der Bundesregierung, 104 Parlamentarier stimmten mit Nein, es gab fünf Enthaltungen. Damit können wie bisher bis zu 500 Soldaten entsendet werden, die die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte ausbilden und beraten und unter anderem Aufgaben wie Lufttransport und Luftraumüberwachung übernehmen.

Sara Nanni (Grüne) verwies auf die erstmals von einer Bundesregierung vorgelegte Evaluation zum Mandat: Der IS sei keine akute Bedrohung mehr, die Terrororganisation sei aber "weder besiegt noch nachhaltig eingedämmt". Johann David Wadephul (CDU) signalisierte Zustimmung: Der Einsatz wirke stabilisierend, trage zur Bekämpfung von Fluchtursachen bei. Es fehle jedoch die Einbettung in einen "strategischer Ansatz" für die Konfliktregion im Nahen Osten. Nils Schmid (SPD) hob hervor, dass ein demokratisch verfasster Irak ein "potentieller Stabilitätsanker" sein könne. Es gehe um die Unterstützung dieser Staatlichkeit. Jan Ralf Nolte (AfD) kritisierte die Verletzung syrischer Souveränität durch Verbündete wie die USA und die Türkei. Ulrich Lechte (FDP) sagte, dass man weder die Hilferufe der Jesiden noch die Bitte der irakischen Regierung "unerhört" lassen wolle, diesen Einsatz fortzusetzen. Zaklin Nastic (Die Linke) entgegnete: Das irakische Parlament habe 2020 den Abzug aller ausländischen Truppen gefordert.

Bedrohlicher Machtkampf lähmt das Land

Das Land befindet sich seit den Neuwahlen vor rund einem Jahr in einer schweren politischen Krise. Weil die Abgeordneten sich weder auf einen Kandidaten für das Präsidentenamt noch für den Premier einigen konnten und das Land seither ohne Regierung blieb, entbrannte ein bedrohlicher Machtkampf im Vielvölkerstaat. Die Stimmen nach einer Auflösung des Parlaments wurden immer lauter. Eine zeitweise Besetzung des Gebäudes verlieh dieser Forderung Nachdruck. Mörsergranaten flogen und verfehlten nur knapp den Sitz der Volksvertretung - die Abgeordneten mussten danach vor dem Volk geschützt werden. Während der Sitzungen wurden die Brücken über den Tigris gesperrt und die Acht-Millionen-Metropole Bagdad erlitt einen Verkehrsinfarkt. Letztlich wurde der Druck zu groß. Die Abgeordneten wählten nun Mitte Oktober buchstäblich in letzter Minute einen Präsidenten, der einen designierten Premierminister zur Bildung einer Regierung aufforderte.


„Die Parteien im Irak haben noch keinen Weg gefunden, um mit den Menschen zu interagieren.“
Ayat Mudhafer Nouri

"Unser Parlament ist ein sunnitisches, kurdisches und schiitisches Haus", erklärt die Abgeordnete Alaa Gaber Alyaseri die Situation. Das bringe viele Problem mit sich: Nicht das Land stehe im Mittelpunkt, sondern die Klientel, die Abgeordnete bedienen müssten.

Die Ursachen dafür liegen fast 20 Jahre zurück. Als die Amerikaner und Briten damals im Irak einmarschierten, legten sie das politische System des Landes nach Ethnien und Religionen aus. Ein Proporz entstand, der bis heute Korruption und Vetternwirtschaft begünstigt. So ist der Präsident seit dieser Zeit immer ein Kurde, der Parlamentspräsident Sunnit und der Premierminister ein Schiit. Jeder bekommt eine Stück des Kuchens ab, eine Opposition gibt es nicht.

Um dies zu ändern, sind Alaa Gaber Alyaseri und viele Tausend andere 2019 und 2020 auf die Straßen gegangen und haben den Sturz des Regimes und eine Neuordnung des politischen Systems gefordert. Die Regierung trat zurück, ein neues Wahlgesetz wurde verabschiedet, Neuwahlen abgehalten. Doch dann kam der Prozess ins Stocken. Jetzt sitzt die 42-Jährige im Parlament und sieht sich der Kritik ihrer ehemaligen Mitstreiter ausgesetzt, die wieder draußen auf der Straße demonstrieren. Muayad Juper Hamdiee gibt dem Schiitenführer Moktada al-Sadr die Schuld an dem Chaos rund um das Parlament. Er habe seine Leute missbraucht, um Unfrieden zu stiften. "Und dann beschuldigt er das Parlament, wenn es keine Sitzungen abhalten kann und der politische Prozess nicht vorankommt", so der 48-jährige Abgeordnete. Sein Frust über den aus seiner Sicht unzuverlässigen, wankelmütigen Politrebellen ist groß.

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Dabei haben Sadr und seine Leute eigentlich die Wahlen vor einem Jahr gewonnen. Wie die Protestbewegung mit Alaa Gaber Alyaseri so wollte auch Sadr eine Mehrheitsregierung, eine Opposition und weniger Einfluss für den Iran und die USA. Die Hoffnungen waren groß. Doch Sadr gelang es nicht, eine Koalition zu schmieden. Die Gräben zwischen Reformern und Bewahrern wurden immer tiefer, Sadr zog seine Abgeordneten aus dem Parlament ab und mobilisierte die Straße, um sich schließlich aus der Politik zu verabschieden - und dann doch wieder nicht. "Das muss jetzt aufhören, es reicht jetzt", sagt Hamdiee stellvertretend für viele: "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende."

Schaden für die Demokratie

Der Schaden für die Demokratie im Irak ist bereits sichtbar. Zwar haben die kurdischen Abgeordneten sich auf einen Kandidaten für das Präsidentenamt geeinigt. Doch der, Latif Rashid, ist bereits 78 Jahre alt und hatte schon mehrere Ministerposten inne. Auch der designierte Premierminister, Mohammed Shia al-Sudani, ist einer von der alten Garde. Nach dem Rückzug Moktada al-Sadrs wurde der Weg für ihn frei.

"Die Parteien im Irak haben noch keinen Weg gefunden, um mit den Menschen zu interagieren", kritisiert Ayat Mudhafer Nouri. Die 39-jährige Abgeordnete gehört Partei des ehemaligen Premier Haider al-Abadi an und ist dessen Vize. Sie zeigt sich aber aufgeschlossen für ein "neues politisches System". Am Dienstag soll die nächste Großdemonstration in Bagdad stattfinden. Mit dem Votum des Parlaments sind viele auch jetzt nicht einverstanden.