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Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Roman Hrytsyna
Flucht im Schlauchboot: Gut 18 Kubikkilometer Wasser aus dem Kachowska-Staudamm überschwemmten im Juni 2023 etwa 80 Siedlungen in der Ukraine, darunter auch die Stadt Cherson.

Rolle von Wasser in Konflikten : Wenn Wasser zur Waffe wird

Konflikte um Wasser nehmen zu, auch weil die lebensnotwendige Ressource in vielen Regionen der Welt durch den Klimawandel immer knapper wird.

05.08.2024
True 2024-08-05T13:31:21.7200Z
3 Min

Erst kam die Explosion, dann setzte sich am frühen Dienstagmorgen des 6. Juni 2023 eine gewaltige Welle in Bewegung, die in wenigen Stunden ganze Landstriche der Region Cherson in der Südukraine überflutete. Gut 18 Kubikkilometer Wasser aus dem Kachowka-Staudamm überschwemmten etwa 80 Ortschaften. Dutzende Menschen starben, Hunderte wurden verletzt, Hunderttausende verloren ihr Heim - und noch mehr den Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sprach von einer "monumentalen humanitären, wirtschaftlichen und ökologischen Katastrophe". Russische Truppen hatten offenbar den Staudamm gesprengt, um eine Offensive ukrainischer Soldaten zu behindern.

Staumdamm-Zerstörung hat Vorbilder

Ein Akt der Kriegsführung, der historische Vorbilder hat - zum Beispiel im Ersten und Zweiten Weltkrieg, als die Kriegsparteien mehrfach Staudämme sprengten, um den Truppenvormarsch des Feindes oder dessen Rüstungsindustrie zu lähmen. "Seit jeher haben Menschen die Kontrolle über die Wasserversorgung genutzt, um ihre Herrschaft zu stabilisieren, Gegner zu schwächen oder territoriale Gewinne zu erzielen", schreibt die Friedens- und Konfliktforscherin Christina Kohler in einem 2020 erschienenen Beitrag "Wasser als Waffe".


„Seit jeher haben Menschen die Kontrolle über die Wasserversorgung genutzt, um ihre Herrschaft zu stabilisieren, Gegner zu schwächen oder territoriale Gewinne zu erzielen.“
Konfliktforscherin Christina Kohler

Der früheste bekannte Beleg für einen Wasserkonflikt ist die "Geierstele", die den Krieg der sumerischen Stadtstaaten Umma und Lagas im Süden des heutigen Irak 2.500 Jahre vor Christi Geburt dokumentiert: Damals leitete das am Tigris stromaufwärts liegende Lagas Wasser aus dem benachbarten Umma auf das eigene Gebiet um. Der persische König Kyros II. wiederum leitete 539 v. Chr. das Wasser des Euphrat ab, um Babylon zu erobern: Über das ausgetrocknete Flussbett ließ sich die Stadt leichter einnehmen.

Klimawandel droht Konflikte zu verschärfen

Obwohl schon sehr lange mit Wasser oder um Wasser gekämpft wird, galt sein Einsatz als Waffe bisher eher als "Ausnahmefall oder Wendepunkt in einem gewaltsamen Konflikt", so der Politikwissenschaftler Tobias von Lossow, der zur Rolle von Wasser in Konflikten forscht. Doch durch den Klimawandel und die damit verbundene Wasserknappheit hat sich die strategische Bedeutung der Ressource erhöht - und damit auch die Gefahr neuer Streitigkeiten.

Die Vereinten Nationen sehen durch Wassermangel gar den weltweiten Frieden bedroht: Bei der Veröffentlichung des jüngsten Wasserberichts im März warnte Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay vor einer Verschärfung der Konflikte. Schon jetzt leide mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung zumindest saisonal unter schwerer Wasserknappheit.

Zahl der Konflikte steigt weltweit

Eine Häufung von Konflikten lässt sich tatsächlich beobachten: Das kalifornische Pacific Institute, das eine Datenbank zum Thema Wasserkonflikte unterhält, listet für die letzten 4.500 Jahre insgesamt rund 1.600 gewaltsame Auseinandersetzungen. Am konfliktreichsten waren die Jahre 2010 bis 2019: Die Forscher zählten 629 Konflikte. In den vergangenen drei Jahren verzeichneten sie allerdings bereits 543 Auseinandersetzungen. Der letzte Eintrag: Israelische Attacken auf Wasserbrunnen und Pumpstationen in Gaza nach dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023.

Das sagt eine Expertin

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Die Forscher des Instituts unterscheiden drei Arten von Konflikten: Wasser kann erstens in Konflikten, wie im Fall des Kachowka-Staudamms, gezielt als Waffe eingesetzt werden. Besonders systematisch tat dies der sogenannte Islamische Staat (IS) in Syrien und im Irak. Die Terrormiliz nutzte Dämme, Kanäle und Reservoirs, um den Regionen außerhalb ihres Territorums entweder Wasser zu entziehen oder sie zu überfluten.

Experten: Wasser kann Waffe und Opfer in Konflikten sein

Wasser kann zweitens auch als Auslöser für Auseinandersetzungen fungieren, wenn durch eine Veränderung des Wasserlaufs der Zugang für bestimmte Personengruppen behindert wird. So sorgt etwa der Bau von Afrikas größtem Staudamm zwischen den Nil-Anrainern Äthiopien und Ägypten bereits seit Jahren für Spannungen. Drittens kann Wasser den Forschern zufolge selbst zum Leidtragenden in Konflikten werden, wenn Wasserinfrastruktur absichtlich oder zufällig zerstört wird und Ökosysteme geschädigt werden. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sprachen Experten von einem Ökozid.

Angesichts dessen dringen Experten auf mehr regionale und internationale Zusammenarbeit, um Konflikte zu entschärfen. "Einen Rahmen dafür bietet seit 1992 die VN-Wasserkonvention. Sie unterstützt Länder, die sich Flüsse oder Seen teilen, gemeinsame Managementstrukturen etwa für mehr Umweltschutz aufzubauen, um Spannungen zu vermeiden. Die Zahl der Mitgliedstaaten stieg zuletzt deutlich: 54 Staaten sind heute Mitglied, weitere 26 sind im Prozess des Beitritts. 

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