Bundestagswahl 2021 : Wie das Ausland auf die Bundestagswahl blickt
Paris hofft auf einen handlungsfähigen Partner, die Regierung in Warschau auf eine unionsgeführte Koalition. In den USA wird kein grundlegender Kursschwenk erwartet.
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Frankreich: "Ein Land, das Stabilität wertschätzt"
Von „Lenteur“ ist viel die Rede, wenn es in Frankreich um den Ausgang der Bundestagswahl geht. Die Langsamkeit der Koalitionsbildung verblüfft im Nachbarland, wo am Abend der Präsidentschaftswahl bereits klar ist, wer das Land regiert. Dass in Deutschland nun erst einmal monatelang verhandelt wird, erfüllt die französische Regierung mit Sorge. Frankreich übernimmt im Januar die EU-Ratspräsidentschaft und hofft dann auf einen handlungsfähigen deutschen Partner an seiner Seite. „Wir haben ein französisches Interesse daran, schnell eine starke deutsche Regierung am Start zu haben“, sagte Europastaatssekretär Clément Beaune in einem Interview mit dem Fernsehsender France 2. Dass sich am deutschen Kurs grundsätzlich etwas ändern werde, erwartet er allerdings nicht. Schließlich seien alle möglichen Koalitionspartner pro-europäisch. „
Die Deutschen haben in gewisser Weise für Angela Merkel gestimmt. Wir sehen ein Land, das die Mäßigung und die Stabilität wertschätzt.“ Die beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Armin Laschet wurden Anfang September von Präsident Emmanuel Macron empfangen. Auch zu den Grünen und der FDP soll es Kontakte geben. Noch 2017 hatte Macron eine Regierungsbeteiligung der FDP gefürchtet, die auf Frankreich in Sachen Staatsverschuldung Druck ausüben könnte. „Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot“, soll er damals über die von Angela Merkel geführten Koalitionsgespräche gesagt haben. Diesmal lässt der Präsident keine Präferenzen für die künftige Regierung erkennen. Mit Scholz sei es einfacher, über Haushaltsregeln zu sprechen, mit Laschet dagegen über Verteidigungsfragen, räumte Beaune ein.
Gerade bei der gemeinsamen europäischen Verteidigung will die Regierung mit Hilfe der neuen Bundesregierung vorankommen. Der geplatzte U-Boot-Deal mit Australien, den Frankreich zugunsten der USA abservierte, zeigt aus französischer Sicht die Dringlichkeit, auf europäischer Ebene enger zusammenzuarbeiten. Um ihre Pläne umzusetzen, bleibt der Regierung allerdings im kommenden Jahr nur wenig Zeit. Denn im April sind in Frankreich Präsidentschaftswahlen. Schon jetzt müsse es deshalb Diskussionen mit den deutschen Parteien geben, forderte Beaune – „damit wir uns kennenlernen und zum Jahresende, wenn es dann eine Regierung gibt, schnell zusammenarbeiten können.“
Beispiel für Sozialisten
Die französischen Sozialisten hoffen natürlich, dass am Ende der Koalitionsgespräche die SPD den Kanzler stellt. Die Partei von Ex-Präsident François Hollande, die in Umfragen nur noch bei rund sechs Prozent liegt, sieht im guten Abschneiden der deutschen Schwesterpartei Grund zur Hoffnung. Anne Hidalgo, die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, war sogar zum Wahlkampfabschluss von Scholz nach Köln gereist.
Die 62-Jährige Präsidentschaftskandidatin hofft offenbar auf eine ähnliche Aufholjagd, wie sie der SPD-Bewerber hinlegte. „Lektion Nummer eins: Niemals denken, dass man schon vorher verloren hat“, twitterte Parteichef Olivier Faure zum deutschen Wahlergebnis. „Lektion Nummer zwei: In Koalitionen denken.“ Doch gerade der Dialog mit dem politischen Gegner fällt in Frankreich schwer, wo verbale Attacken an der Tagesordnung sind. Mit Bewunderung schauten die Französinnen und Franzosen deshalb auf die Fernsehdebatten in Deutschland, wo höflich und mit Respekt diskutiert wurde. Mit Bewunderung blicken sie auch auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, von der sie mit Wehmut Abschied nehmen. „Die Leute sind eben nicht aller Eliten überdrüssig“, schreibt der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“. Er lobt die „Lehrstunde für Demokratie“, die die Bundestagswahl für den Rest der Welt gewesen sei. „Merci, Deutschland“.
Polen: "Jamaika wäre besser für uns"
Die Bundestagswahl wurde in Polen mit großem Interesse verfolgt. Beide großen Fernsehsender, der unabhängige Nachrichtensender TVN24 und der regierungsfreundliche Staatssender TVP, hatten am Wahlsonntag Sondersendungen geschaltet. Doch als am Montag klar wurde, dass noch vieles offen ist – von „Ampel“, über „Jamaika“ und einer Neuauflage der Großen Koalition – und wohl langwierige Koalitionsverhandlungen anstehen, flachte die Berichterstattung schnell ab und Polen beschäftigte sich vor allem wieder mit sich selbst. In den meisten polnischen Wahlanalysen bestimmt die Innenpolitik dabei die Sicht auf die Außenpolitik. Und wie bei fast allen anderen Themen sind die rechtskonservative Regierung und die Opposition geteilter Meinung über die Folgen der Bundestagswahl. Genauso wie übrigens auch ihre je eigenen Medien und Experten die Resultate anders bewertet haben. So wurde in PiS-freundlichen Medien das Wahlchaos in Berlin hochgespielt, bis hin zu Spekulationen, Deutschland habe Probleme mit der Demokratie. Ganz anders die Opposition: Sie spekulierte, wie positiv sich eine Regierungsbeteiligung der Grünen auf die deutsche Haltung bei Streitpunkten wie Klimapolitik, LGBT und beim EU-Rechtsstaatsstreit mit Polen auswirken könnte. Einig sind sich Regierung und Opposition indes bei gewissen Grundachsen: Beide werden die künftige Regierung an ihrem Bekenntnis zur deutschen Kriegsschuld sowie ihrer Ostpolitik vor allem gegenüber Russland messen.
Streitpunkt Nord Stream 2
In Kreisen der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hieß es nach der Wahlnacht, dass eine unionsgeführte Regierung für Polen nicht nur besser wäre, sondern auch die wahrscheinlichere Koalitionsvariante sei. „Nehmen wir die Nord Stream 2-Gaspipeline als Lackmus-Papier, so wäre Jamaika besser für Polen“, analysierte Jacek Sariusz-Wolski (PiS), Abgeordneter im Europaparlament (EP), im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, denn die SPD sei anders als die CDU klar „für Nord Stream 2“. Grüne und Liberale bestimmten die Gestalt der künftigen Koalition; „dabei ist es immer wieder vorgekommen, dass nicht die Siegerpartei den Kanzler stellte“, sagte er. Im bilateralen Verhältnis seien nach dieser Bundestagswahl kaum Neuerungen zu erwarten, hieß es in PiS-Kreisen.
„Wenn die FDP Teil einer neuen Koalition wird, besteht die Chance, dass die Regierung eher auf die Wirtschaft schaut und sich nicht auf ideologische Streitfragen konzentriert“, analysierte Ex-Außenminister Witold Waszczykowski (PiS) in der auf PiS-Linie gebrachten Tageszeitung „Polska Times“. Gegenteilige Schlüsse aus dem Wahlresultat zieht Polens Opposition: „Die neue deutsche Koalition wird für unsere Regierung schwieriger werden“, sagt der liberale Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski. SPD und Grüne seien „in Fragen des Klimas und der Rechtsstaatlichkeit prinzipieller als die Christdemokraten“, so der EP-Abgeordnete. In die gleiche Kerbe schlug Ex-Präsident Bronislaw Komorowski (PO), der gar deutsche Schritte bei der EU-Kommission gegen Polen erwartet für den Fall, dass die SPD den Bundeskanzler stellt. Bestätigt wird diese Einschätzung vom Politologen Piotr Buras. „Wenn eine Koalition aus SPD, Grünen und Liberalen entsteht, werden sich Fragen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die deutsche Polen-Politik verschärfen. Für diese Parteien spielen solche Probleme eine größere Rolle als für die CDU und Merkel.“ Würde allerdings Armin Laschet (CDU) Bundeskanzler, so sei erneut eine Kompromisspolitik à la Angela Merkel zu erwarten. „Für Polens Demokratie und die europäischen Werte ist dies nicht besonders gut, für das Selbstvertrauen der (PiS)- Regierung und die Wirtschaft hingegen schon“, analysiert Karolina Zbytniewska vom Portal euractiv.
Russland: "Starke antirussische Positionen"
Führende Außenpolitiker der Regierungspartei Geeintes Russland haben nach der Bundestagswahl betont, dass man mit jeder Bundesregierung zusammenarbeiten werde. Das gute Abschneiden von FDP und Grünen wird in Moskau allerdings nicht so gern gesehen. Konstantin Kossatschow, stellvertretender Vorsitzender des Föderationsrates, attestierte den Grünen im Fernsehsender „Vmeste“ einen „militanten radikalen Liberalismus“ und „stark antirussische Positionen“. Das merke man an ihrer Haltung zur Ostseepipeline Nord Stream 2, zur Krim, zu Waffenlieferungen an die Ukraine, zu Sanktionen gegen Russland und beim Thema Menschenrechte. Die Sorge, Nord Stream 2 könnte nun doch noch scheitern, ist auch Tage nach der Wahl ein zentrales Thema. So warnt die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta: „Sollten Vertreter der Grünen in der neuen Regierung wichtige Positionen im Wirtschaftsbereich einnehmen, sind Verzögerungen beim Start möglich.“ Die Zeitung Nesawissimaja Gaseta befürchtet gar, dass Annalena Baerbock Außenministerin werden könnte und die deutschrussischen Beziehungen damit einen Tiefpunkt erreichen: „Sie ist für ihre ablehnende Haltung gegenüber Moskau und Wirtschaftsprojekten mit Russland bekannt – einschließlich Nord Stream 2. Das Einzige, was Baerbocks antirussische Initiativen bremsen könnte, wäre eine harte Haltung des künftigen Bundeskanzlers.“ Die Grünen werden in Russland oft pauschal als „antirussisch“ dargestellt. Auch Russlands Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, zielte auf die Grünen, als er nach der Wahl Nord Stream 2 erwähnte. Russland setze darauf, so Netschajew, dass auch Gegner der Pipeline, wenn sie in Regierungsverantwortung seien, „zum Wohle des Landes“ handeln würden. Die Gaspipeline sei für die deutschen Verbraucher sehr wichtig.
Viele Unsicherheiten
Konstantin Kossatschow widmete sich bei seiner Betrachtung der Bundestagswahl auch der FDP. Auch diese Partei sei „ideologisch verseucht“, urteilte der Vize-Chef des Förderationsrates. Allerdings könne sie auf die Tradition Hans-Dietrich Genschers zurückschauen, einen „pragmatischen“ Außenminister bei der Annäherung der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Kossatschow hob weiter hervor, dass mit der AfD und der Linken zwei Kräfte verloren hätten, die für eine „Normalisierung“ der deutsch-russischen Beziehungen einträten.
Aus den russischen Reaktionen klingt auch Unsicherheit, wie sich das unter anderem durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und das immer härter werdende Vorgehen gegen die Opposition im eigenen Land belastete Verhältnis zu Deutschland verändern wird. Man hoffe auf Kontinuität in den deutsch-russischen Beziehungen, sagte Dmitrij Peskow, Putins Pressesprecher. Auch wenn es „Meinungsverschiedenheiten“ gäbe, „eint uns die Einsicht, dass das Problem nur im Dialog gelöst werden kann und soll“. Kossatschow sieht „turbulente Zeiten“ auf die deutsch-russischen Beziehungen zukommen. Deutschland müsse in nächster Zeit in vielen außenpolitischen Fragen Position beziehen. „Die deutsche Außenpolitik, darunter auch im Blick auf Russland, bietet jetzt mehr Varianten als während der 16 Jahre unter Merkel.“ Die scheidende Kanzlerin würdigte er wohlwollend: Die Ostdeutsche werde als diejenige in die Geschichte eingehen, „die Europa geeint“ habe. Ob dazu auch Russland gehört, ließ er offen. Anders als viele andere europäische Politiker sei Merkel frei von „Ängsten, Phobien und Klischees“ des Kalten Krieges. „Merkel hat nicht versucht, mit der Geschichte abzurechnen.”
USA: "Alles, nur keine Hängepartie, bitte!"
Alles, nur keine Hängepartie über Weihnachten hinaus, bitte!” Der Satz, den ein Europa zugetaner Abteilungsleiter im US-Außenministerium gestern am Telefon sprach („Aber bitte nicht mit Namen zitieren”) ist der Nenner, auf den sich wenige Tage nach der Bundestagswahl viele Reaktionen im Washingtoner Politikbetrieb bringen lassen. Amerika wünscht sich, dass die Regierungsbildung so zügig wie möglich vonstatten geht. Damit in Europa kein „Machtvakuum” entsteht und Deutschland seine Rolle als „Stabilitätsanker” in der EU ausfüllen kann. Eindeutige Präferenzen für eine „Ampel” oder für „Jamaika” gibt es nach ersten Einschätzungen aus Regierungskreisen im Weißen Haus bisher nicht. Dort reagierte Präsident Joe Biden auf die ersten Nachrichten vom knappen SPD-Sieg überrascht: „Gibt’s doch gar nicht!”, sagte er sinngemäß. Und attestierte den Genossen sofort, dass sie „beständig” (im Sinne von verlässlich) seien. Niemand in seinem Umfeld erwartet in Berlin einen grundlegenden Kursschwenk in der Außenpolitik; ganz gleich, ob Olaf Scholz oder Armin Laschet (oder womöglich ein CDU/CSU-Alternativ-Kandidat) ins Kanzleramt einziehen wird.
Der Sozialdemokrat Scholz ist durch seine Zeit als Vizekanzler und Finanzminister eine bekannte Größe in Washington. Er pflegt einen guten Draht zu Finanzministerin Janet Yellen, den Spitzen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds und gilt als Verbündeter Bidens bei der angestrebten globalen Mindeststeuer für multinationale Konzerne. Laschet ist in den USA ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Allerdings sehen Denkfabriken im Washingtoner Politik-Betrieb, die sich mangels Beurteilungsfähigkeit mit offiziellen Aussagen noch zurückhalten, durch die künftige wahrscheinliche Dreier-Koalition in Berlin mehr „Reibungen und Abstimmungsbedarf”. Vor allem bei der Frage, die in Washington alles überlagert: Wie wird sich Post-Merkel-Deutschland gegenüber China positionieren?
Schnittmengen mit den Grünen
Unter der scheidenden Kanzlerin biss man bisher auf Granit, Deutschland als europäische Speerspitze in dem von Biden als Fundamentalstreit bezeichneten Konflikt mit der Supermacht in Asien zu gewinnen. Mit besonderer Aufmerksamkeit haben Bidens Europa-Strategen daher den rhetorisch harten Kurs registriert, den die Grüne Annalena Baerbock vor der Wahl gegenüber Moskau und Peking vorgab. In Washington ist man neugierig, ob ein etwaiger grüner Außenminister/Vizekanzler „ähnliche Töne anschlagen würde”.
Auch beim Klimaschutz sieht das Biden-Lager in der Programmatik der Grünen die größten Schnittmengen zu dem, was Präsident Biden im eigenen Land vorantreiben will: CO2-Neutralität so schnell wie möglich. Vertreter der Freihandels im Kongress reagierten indes erfreut auf die Option einer FDP-Regierungsbeteiligung. Trotz hochbrisanter innenpolitischer Tagesordnung haben die federführenden US-Medien Wahlkampf und Wahl in Deutschland breiten Raum gegeben. Was vor allem mit der Zeitenwende zu tun hat, die nach 16 Jahren der baldige Abgang von Angela Merkel markiert. Die Kanzlerin genießt in den USA in Bevölkerung wie Politik ein herausragend hohes Ansehen. Vor allem in den Trump-Jahren wurde ihre Beharrlichkeit und leise Contra-Haltung überaus geschätzt.