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Provinzwahlen im Irak : "Wir wollen über unsere Entwicklung selbst bestimmen"

Erstmals seit den Massenprotesten vor vier Jahren werden die damals abgesetzten Räte und Parlamente in den Provinzen neu gewählt. Viele Bewerber sind Frauen.

29.11.2023
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4 Min

"Ich will ein starkes Basra", sagt Naqib Al Laebie. Er weiß, wie schwach seine Stadt noch immer ist. Die mit fünf Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Iraks fördert zwar mehr als zwei Millionen Fass Öl pro Tag und stemmt damit den Großteil des Staatshaushalts. Doch in Basra selbst sieht man davon nicht viel.

Das will Al Laebie ändern, deshalb kandidiert er für die am 18. Dezember stattfindenden Provinzwahlen. Die "Faya", seine Partei für Basra, strebt eine weitgehende Autonomie an, so wie sie die Kurden im Norden schon länger haben. "Wir wollen über unsere Entwicklung selbst bestimmen und ein Budget bekommen, das wir selbst verwalten", sagt der 52-Jährige. Auf dem Weg von Bagdad nach Basra - knapp 550 Kilometer - ginge so einiges verloren, "wenn du weißt, was ich meine", fügt er hinzu.

Mehr Entscheidungskraft für die Provinzen

Kandidat Naqib Al Laebi will mehr Autonomie für seine Heimatsstadt Basra.   Foto: Birgit Svensson

Korruption ist im Irak allgegenwärtig. Der Kandidat meint, sie könne nur eingedämmt werden, wenn die Provinzen mit demokratisch gewählten Volksvertretern mehr Entscheidungskraft bekämen. Föderalismus ist sein Schlagwort.

Wie er denkt zwar nicht die Mehrheit im Land, weder in Basra noch anderswo im Irak. Aber bei den Provinzwahlen bewerben sich immerhin 20 sogenannte Tashreenes für die 22 Sitze im Provinzrat in Basra, in Bagdad sind es mehr als doppelt so viele. Tashreenes nennt man die, die vor vier Jahren an der Oktoberrevolution im Irak teilgenommen haben, denn Tashreen heißt auf Arabisch Oktober.

Rufe nach einem Regimewechsel

Massendemonstrationen erschütterten damals zwei Jahre lang den gesamten Südirak bis hoch nach Bagdad, und Naqib Al Laebie war einer der ersten, der auf die Straße ging. Zunächst für mehr Strom, sauberes Wasser, eine bessere Umwelt und mehr Jobs. Später wurden auch Stimmen für einen Regimewechsel laut, für eine echte Demokratie ohne äußere Einflüsse. Die Büros der mit Iran verbündeten islamischen Parteien wurden in Brand gesteckt, außerdem das Provinzratsgebäude und der staatliche irakische Fernsehsender "Iraqia", der nicht über die Proteste berichten wollte.


„Die Aufstände haben alle Gesellschaftsschichten mobilisiert.“
Zahraa, Demokratiewerkstatt Moja

Naqib war mittendrin, wurde verschleppt, verhaftet und landete im Gefängnis. "Etwa 300 von uns sind getötet worden, erschossen von Schiitenmilizen", berichtet er. Im ganzen Irak seien es fast tausend gewesen. Dann kam die Pandemie und brachte die Proteste zum Stillstand.

"Viele haben aufgegeben"

Heute wolle er die Veränderungen von innen heraus erreichen, als Provinzrat, sagt Al Laebie. Doch er weiß, dass viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter von damals aufgegeben haben und dem Urnengang fernbleiben wollen. Auch seine Plakate in der Stadt würden immer wieder abgerissen und zerstört, erzählt er. Doch Al Laebie gibt sich kämpferisch. "Ich werde weitermachen", sagt er.

Neuwahlen waren eine der Forderungen der Protestbewegung, die im Jahr 2020 ihren Höhepunkt am Tahrir Platz in Bagdad fand. Die damalige Regierung trat zurück, Provinzräte und -parlamente wurden aufgelöst. 2021 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Doch erst jetzt wird auf Provinzebene neu gewählt. Außer in den kurdischen Autonomiegebieten, die sich der Wahl entziehen, hängen daher im ganzen Irak derzeit Gesichter von Männern und Frauen auf unterschiedlich farbigem Hintergrund an Straßenkreuzungen, Häuserwänden und den wenigen Bäumen in der Acht-Millionen-Stadt Bagdad. Eine Frauenquote schreibt 25 Prozent weibliche Abgeordnete vor, sowohl im nationalen Parlament als auch auf Provinzebene.

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Layla, Zahraa und Narjiis von der Demokratiewerkstatt Moja haben deshalb gerade alle Hände voll zu tun. "Wir unterstützen Kandidatinnen im Wahlkampf", sagen die drei Frauen, "und das landesweit". Hervorgegangen ist die Nichtregierungsorganisation (NGO) 2013 aus einer Gruppe von Studenten und Studentinnen der Universität Najaf; damals wurde im Irak das letzte Mal auf Provinzebene gewählt, Frauen hätten danach beim Verfassungsgericht geklagt, weil Männer ihnen ihren Sitz im Provinzrat streitig gemacht hatten. Die Richter gaben ihnen recht, die Männer mussten ihre Plätze räumen, die Frauenquote war durchgesetzt.

Sorge wegen Wahlbeteiligung

Nach dem Ende der Terrormiliz "Islamischer Staat" und der gescheiterten Revolution seien die Wahlen jetzt eine neue Chance für die Zivilgesellschaft, sich auf Provinzebene durchzusetzen und Politik mitzugestalten, meint Zahraa. Die Oktoberproteste hätten alle Gesellschaftsschichten mobilisiert und unzählige NGOs hervorgebracht. Allerdings bestehe die Gefahr, dass es bei einer niedrigen Wahlbeteiligung so ausgehen werde, wie bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren, räumen sie ein. Damals hatte der Boykott der Tashreenes die alte Garde wieder an die Macht gespült und eine Rolle rückwärts im politischen System eingeläutet.

Was die Frauen betrifft, so sind die drei Aktivistinnen aus Najaf aber optimistisch. Zwar dürften Medien den Begriff "Gender" seit August nicht mehr verwenden. Trotzdem habe sich die Stellung der Frauen in den vergangenen fünf Jahren erheblich verbessert.

Die Autorin berichtet als freie Korrespondentin aus dem Irak.