Nicht gepflegt und regelmäßig erhöht : "Das BAföG hat einen wahnsinnig schlechten Ruf"
Die BAföG-Sätze steigen. Für Stefan Grob vom Studierendenwerk reicht das nicht aus. Warum das BAföG nicht genügend Studierende erreicht - und was geschehen müsste.
Herr Grob, anders als ursprünglich geplant, hat sich die Regierung nun doch auf eine Erhöhung der BAföG-Sätze geeinigt. Wie zufrieden sind Sie mit der BAföG-Reform?
Stefan Grob: Angesichts der ursprünglich drohenden Situation, in der keine Erhöhung der Bedarfssätze und der Wohnkostenpauschale vorgesehen war, aber der BAföG-Darlehensanteil steigen sollte, sind wir verhalten zufrieden. Die Reform bringt punktuelle Verbesserungen, wie die Studienstarthilfe in Höhe von 1.000 Euro oder das sogenannte Flexibilitätssemester mit dem Studierende über die Regelstudienzeit hinaus gefördert werden können.
Insgesamt ist das aber noch zu wenig, besonders wenn man bedenkt, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages 150 Millionen Euro für das BAföG zur Verfügung gestellt hat – von denen jetzt nur 62 Millionen Euro verwendet werden. Da wäre mehr drin gewesen.
Wie steht es denn derzeit um die finanzielle Lage der Studierenden?
Stefan Grob: Nach den Zahlen aus der 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden gibt es bei der Studienfinanzierung eine starke soziale Spreizung. Etwa 20 Prozent der Studierenden haben mehr als 1.300 Euro im Monat zur Verfügung, um die machen wir uns keine Sorgen. Aber am anderen Ende der Skala haben 37 Prozent der Studierenden weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung. Dieses große Drittel der Studierenden lebt in prekären Verhältnissen – egal in welcher Hochschulstadt.
Problematisch ist auch, dass das BAföG nicht genügend Studierende erreicht. Nur noch 11 Prozent aller Studierenden erhalten BAföG – Empfängerinnen und Empfänger sowie deren Eltern müssen extrem wenig verdienen, arbeitslos sein oder Bürgergeld beziehen, um überhaupt noch BAföG zu bekommen.
Inwiefern hat sich die Situation der Studierenden in den vergangenen Jahren verändert?
Stefan Grob: Die aktuelle und die jetzt beginnende Studierendengeneration studiert unter multiplen Krisen: Klimakrise, Krieg im Gazastreifen und Russlands Krieg gegen die Ukraine. Dazu kommen Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die Belastung durch steigende Preise. All das belastet die Studierenden materiell und auch psychisch. Diese junge Generation hat sich in der Pandemie solidarisch gezeigt und müsste nun etwas zurückbekommen, beispielsweise in Form eines wirklich gestärkten, grundlegend reformierten BAföG.
Die aktuellen Krisen betreffen nicht nur die Studierenden. Einige argumentieren, dass es Studierenden auch schlecht gehen darf, was sagen Sie dazu?
Stefan Grob: Ich verstehe das Argument, aber wir müssen dafür sorgen, dass es den jungen Menschen, die unsere Zukunft sind, gut geht. Sie sind die wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle und geistige Elite der kommenden Jahre. Keine Gruppe sollte gegen eine andere ausgespielt werden.
Mit der BAföG-Erhöhung liegt der monatliche Höchstsatz zukünftig bei den unter 25-Jährigen bei 855 Euro, bei den unter 30-Jährigen bei 992 Euro und darüber 1080 Euro. Das klingt erstmal nicht wenig.
Stefan Grob: Diese Zahlen müssen in Relation gesetzt werden. In München kostet ein WG-Zimmer auf dem freien Wohnungsmarkt durchschnittlich 760 Euro im Monat. Wenn sie unter 25 Jahre alt sind und den BAföG-Höchstsatz von 855 Euro bekommen, haben sie noch knapp 100 Euro. Dann haben sie aber noch nichts gegessen, keine Lernmaterialien gekauft und kein Bus- oder Bahnticket finanziert. Somit sind Studierende dann fast gezwungen, noch einen Nebenjob auszuüben – und das wiederum wirkt sich meist negativ auf die Studienzeit aus.
Das ist natürlich ein Extrembeispiel, aber deutschlandweit zahlen Studierende durchschnittlich 410 Euro Miete im Monat. Selbst wenn ich den BAföG-Höchstsatz erhalte, geht die Hälfte des BAföG dann für die Miete drauf. Man muss ganz klar sagen, mit dem BAföG mache ich keine hohen Sprünge.
Und der Großteil der Studierenden erhält nicht den BAföG-Höchstsatz.
Stefan Grob: Genau, viele Studierende erhalten nur eine Teilförderung. Zwar steigt jetzt auch der BAföG-Grundbedarf von 452 auf 475 Euro, aber auch das ist nicht wirklich viel. Zum Vergleich: beim Bürgergeld liegt das Existenzminimum bei 563 Euro, also fast 100 Euro höher als beim BAföG-Grundbedarf. Da muss sich die Bundesregierung schon fragen lassen, ob Studierende Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sind.
Um es zusammenzufassen: Wenig Studierende bekommen BAföG und wenn sie es erhalten, ist es oft nicht ausreichend. Ist das BAföG dann noch eine angemessene Studienförderung? Skandinavien arbeitet beispielsweise mit einem Modell, wo alle Studierenden, unabhängig vom Einkommen der Eltern, eine Förderung erhalten.
Stefan Grob: Das skandinavische Modell finden wir auch hochinteressant. Aber ich würde das BAföG in Schutz nehmen wollen. Das BAföG ist eine soziokulturelle und gesellschaftliche Erfolgsgeschichte: Vor mehr als 50 Jahren wurde es eingeführt, um Menschen ein Hochschulstudium zu ermöglichen, die es sich ansonsten nicht leisten können. Wir schätzen, dass inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen dank BAföG studieren konnten. Das BAföG steht daher für Chancengleichheit und fördert Talente aus allen Bevölkerungsschichten.
Die derzeitige Schwäche des BAföG liegt nicht am Instrument selbst, sondern daran, dass es über Jahrzehnte hinweg nicht gut gepflegt und regelmäßig erhöht wurde. Das BAföG liegt quasi im Ermessen der jeweiligen Bundesregierung – und das ist fatal. Die aktuelle Schwäche des BAföG ist aber keine Aussage gegen das BAföG per se.
Ursprünglich sollte die Darlehensobergrenze beim BAföG erhöht werden. Mit der neuen BAföG-Reform ist das nicht mehr vorgesehen. Maximal müssen 10.000 Euro zurückgezahlt werden. Kann man das Studierenden zumuten?
Stefan Grob: Wir sagen: ganz weg mit dem BAföG-Darlehensanteil und zurück zum Vollzuschuss. Der Darlehensanteil ist zwar sozial verträglich ausgestattet, aber die Angst vor Verschuldung schreckt viele ab – besonders Studierende aus einkommensschwachen Haushalten.
Entsteht Neid unter den Studierenden, wenn der Darlehensanteil für diejenigen wegfällt, die gefördert werden? Schließlich profitieren insgesamt wenig Studierenden vom BAföG.
Stefan Grob: Nein, das höre ich nicht von den Studierenden. Das BAföG hat einen wahnsinnig schlechten Ruf, weil es hoch bürokratisch und komplex ist. Tatsächlich müssen wir uns darum bemühen, dass Studierende überhaupt BAföG beantragen.
Ein weiteres Problem beim BAföG ist noch immer die fehlende Digitalisierung.
Stefan Grob: Das stimmt, die Antragstellung beim BAföG wurde zwar digitalisiert, alle weiteren Prozessschritte jedoch nicht. Es gibt keine E-Akte und es gibt keinen E-Bescheid. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Auch bei der Studienstarthilfe wird es wahrscheinlich zu Verzögerungen kommen, da das Antragssystem nicht vollständig digitalisiert ist. Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass das Geld erst Wochen, wenn nicht Monate nach dem Studienstart ausbezahlt werden kann. Ich habe oft das Gefühl, dass dieser jungen Generation, die studieren will und ehrgeizig ist, zu oft etwas versprochen wird, was bei der Umsetzung nicht eingehalten wird.
Studienstarthilfe, Flexibilitätssemester und mehr Geld: Der Bundestag reformiert das BAföG. Doch der Opposition geht das nicht weit genug.
Vor 25 Jahren wurde die Bologna-Reform beschlossen. Ist die Umsetzung der Studienreform geglückt? Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung im Interview.
Die Regierung hat den 23. BAföG-Bericht vorgelegt. Im Plenum wird über die finanzielle Situation von Studierenden diskutiert. Viele von ihnen sind armutsgefährdet.
Was wünschen Sie sich konkret vom BAföG für die Studierenden in der Zukunft?
Stefan Grob: Wir wünschen uns am meisten eine automatische Erhöhung der BAföG-Sätze in regelmäßigen Abständen – so wie es auch im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition steht. Eine automatische Anpassung des BAföG an die Preisentwicklung, ähnlich wie beim Wohngeld oder Bürgergeld würde den Studierenden am meisten helfen.
Dafür gäbe es auch eine gute Grundlage: den BAföG- Bericht, in dem die Bundesregierung alle zwei Jahre die Preis-, Miet- und Einkommensentwicklung festhält. Dieser Bericht könnte hervorragend als Basis für eine regelmäßige Erhöhung dienen, was verhindern würde, dass die BAföG-Erhöhung von der jeweils regierenden Koalition abhängt.