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Bildungspolitikerin im Interview : "Wir wollen, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben"

Die Grünen-Abgeordnete Laura Kraft findet, der Bildungserfolg ist zu stark an Herkunft und Einkommen der Eltern gekoppelt. Das soll das Startchancenprogramm ändern.

12.04.2024
True 2024-10-29T11:03:32.3600Z
5 Min

Frau Kraft, das Startchancenprogramm ist das größte Bildungsvorhaben der Ampelregierung. Monatelang wurde um dessen Ausgestaltung gerungen. Zum Schuljahr 2024/2025 soll es nun starten. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Laura Kraft: Ja, ich bin sehr zufrieden, weil es vorher noch nie ein derartig groß angelegtes und langfristiges Programm gab. Es handelt sich hier insgesamt um ein Budget von 20 Milliarden Euro, die der Bund und die Länder zusammen investieren. Das Programm war eine Idee der Grünen, die wir schon in der letzten Wahlperiode hatten. Dass wir es geschafft haben, das Projekt wesentlich mitzugestalten und umzusetzen, ist toll. Außerdem ist das Startchancenprogramm gerade zur rechten Zeit gekommen - wir haben die Ergebnisse der PISA-Studie, der IGLU-Lesestudie oder des IQB-Bildungstrends gesehen. Sie zeigen: Es gibt ein massives Absenken der Basiskompetenzen bei Schülerinnen und Schülern, besonders im Lesen, Schreiben und Rechnen. Das Startchancenprogramm kann ein riesengroßer Aufbruch sein.

Foto: Stefan Kaminski

Ist dafür, Bildung neu zu priorisieren: Laura Kraft (33). Die Grüne sitzt seit 2021 im Bundestag und ist Obfrau ihrer Fraktion im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

In Deutschland hängen die Bildungschancen von Kindern noch immer enorm von ihrem familiären Hintergrund ab. Ist das Startchancenprogramm nun der erhoffte große Wurf, um die Herkunft vom Bildungserfolg zu entkoppeln?

Laura Kraft: Wir sehen, dass der Bildungserfolg in Deutschland einfach zu stark an die Herkunft und das Einkommen der Eltern gekoppelt ist. Mit dem Startchancenprogramm wollen wir erreichen, dass der Bildungserfolg von Kindern in unserem Land nicht mehr davon abhängt, bei welcher Postleitzahl sie wohnen. Das Programm ist ein Schlüsselelement dafür. Die Zielgruppe sind 4.000 allgemeinbildende und berufliche Schulen. Der Fokus liegt auf den Grundschulen, also den Schulen, die die Grundlagen für die Basiskompetenzen legen. Ich glaube aber, Bildung ist ein Thema, was man ganzheitlich denken muss. Daher möchte ich an dieser Stelle auch fürs BAföG werben - das ist auch ein wichtiges Chancengerechtigkeitsinstrument. Ganz elementar für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen kann aber auch die Kindergrundsicherung.

Die 4.000 Schulen, die gefördert werden sollen, sind etwa zehn Prozent aller Schulen in Deutschland. Was ist mit dem Rest, bleibt der auf der Strecke?

Laura Kraft: Das Programm soll zuerst da unterstützen, wo wir große Defizite sehen. Bei den 4.000 Schulen handelt es sich um solche, die in besonders schwierigen sozialen und herausfordernden Lagen sind. Dort gibt es besonders viele Kinder, die von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind. Ziel ist es, da reinzugehen. Denn wir wollen natürlich, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben. Es geht aber nicht darum, dass jemand mehr oder weniger bekommt. Deswegen finde ich es gut, dass wir ein anderes Finanzierungsinstrument ansetzen als den allseits bekannten Königsteiner Schlüssel. Ich halte es für richtig, einen Sozialindex anzuwenden, also zu schauen, wo liegen die Probleme und wo müssen wir besonders hingucken. Das ist unser Auftrag als Staat und als Gesellschaft.

Der Fokus des Programms liegt auf einer Stärkung der Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen. Bis zum Ende des Programms soll die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards verfehlen, an den Startchancen-Schulen halbiert werden. Warum wurden nicht höhere Ziele gesetzt?

Laura Kraft: Ich glaube nicht, dass das Ziel zu gering ist. Natürlich ist jedes Kind, was aus der Schule geht und die Basiskompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreicht, eins zu viel. Da müssen wir ran. Aber wenn wir sagen, wir halbieren die Zahl, dann ist das ein Erfolg. Hinter jeder Zahl steckt letzten Endes immer ein Kind, dem wir die Chance für einen erfolgreichen weiteren Bildungs- und auch Lebensweg eröffnen.


„Wir investieren in die Zukunft unseres Landes.“
Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen)

Der Bund will in einem Zeitraum über zehn Jahre jährlich eine Milliarde Euro in das Startchancenprogramm investieren. Das hört sich gering an, vergleicht man die Zahl beispielsweise mit der Höhe des Wehretats. Der liegt allein in diesem Jahr bei 51,8 Milliarden Euro. Zusätzlich stellt der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Verfügung. Was sagen Sie dazu als Bildungspolitikerin?

Laura Kraft: Ich halte nichts davon, einzelne Etats gegeneinander auszuspielen. Es ist auch wichtig, dass wir unsere Bundeswehr und Verteidigung stärken. Das haben wir in der aktuellen Krisenlage gelernt. Dennoch sollten wir Bildung neu priorisieren. So sollten wir auch einen Bildungs- und Zukunftsinvestitionsfonds im größeren Stil auflegen. Ich bin der festen Überzeugung, wenn man in Bildung investiert, wird sich jeder Euro doppelt und dreifach in der Zukunft auszahlen. Deswegen finde ich das Startchancenprogramm auch so gut, weil wir hier nicht in Beton investieren, sondern vor allem in die Köpfe. Wir investieren in die Zukunft unseres Landes.

Geld allein reicht nicht, wenn es keine Lehrerinnen oder Schulsozialarbeiter gibt, oder?

Laura Kraft: Ja, wir haben einen Fachkräftemangel. Wir müssen schauen, wie wir es schaffen, dass vor allem armutsgefährdete Kinder und Schulen in schwierigen Lagen erreicht werden. Das schaffen wir, weil wir ein breit angelegtes Konzept haben, was gut ausfinanziert ist. Bund und Länder müssen Hand in Hand miteinander gehen.

Der Bund wird beim Startchancenprogramm hauptsächlich Geldgeber sein. Reicht das, um die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland nachhaltig zu verbessern?

Laura Kraft: Es geht bei dem Programm nicht nur darum, Geld zu geben. Insgesamt gibt es drei Säulen. Die erste Säule umfasst ein Investitionsprogramm für die Lernumgebung. Damit sollen aber nicht die klassischen Sanierungsaufgaben übernommen, also keine Schultoiletten erneuert werden. Vielmehr geht darum, eine attraktive und förderliche Lernumgebung zu gestalten. In der zweiten Säule haben wir das Chancenbudget. Das steht Schulen zur Verfügung, um bedarfsgerecht Lösungen für neue Schul- und Unterrichtungsentwicklungen zu schaffen. Und wir haben die Säule drei, mit der wir das Personal stärken. Das bedeutet, wir haben drei verschiedene Ebenen, auf denen Handlungsbedarf besteht und die wir unterstützen. Wir nehmen viel Geld in die Hand, sodass wir strukturell helfen und die Schulen besser unterstützen können. Darum ist es so wichtig und gut, dass das Programm wissenschaftsgeleitet ist und regelmäßig evaluiert wird.

Bräuchte der Bund mehr Einfluss, wenn es um bildungspolitische Themen geht?

Laura Kraft: Ich bin der Ansicht, wir brauchen vielmehr ein Kooperationsgebot anstatt eines Kooperationsverbots. Am besten müssen Bund und Länder Hand in Hand miteinander gehen. Denn die Herausforderungen in der Bildung sind groß. Und um diese gut und adäquat angehen zu können, brauchen wir Kooperationen.

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Zehn Jahre lang soll das Startchancenprogramm vorerst laufen. Wann ist das Programm Ihrer Meinung nach erfolgreich?

Laura Kraft: Ich glaube, das Programm ist dann erfolgreich, wenn wir es schaffen, dass mehr Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen erreichen. Wir geben da auch viel Verantwortung in die Hand der Schulen, weil sie genau wissen, was sie vor Ort brauchen. Ich bin überzeugt, dass wir Schülerinnen und Schülern bessere Chancen und einen guten Start in ihr Bildungsleben geben können.


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