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Wahlrecht vor Gericht : Karlsruher Verfassungsrichter sehen Wahlrechtsreform kritisch

Das reformierte Wahlrecht könnte vom Verfassungsgericht wegen der Streichung der Grundmandatsklausel beanstandet werden. Ein Urteil wird im Sommer erwartet.

26.04.2024
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3 Min

Das Bundesverfassungsgericht wird das im Vorjahr reformierte Bundestags-Wahlrecht vermutlich beanstanden. Das zeichnete sich in der mündlichen Verhandlung des Gerichts am Mittwoch und Donnerstag ab. Insbesondere der Wegfall der Grundmandatsklausel wurde von den Richtern als problematisch erachtet. Das Urteil wird im Sommer erwartet.

Foto: picture alliance/dpa/Uli Deck

Kläger im Gespräch: Alexander Dobrindt (CSU, rechts) und Gregor Gysi (Die Linke).

Die Wahlrechtsreform wurde erforderlich, weil der Bundestag immer größer wurde. Statt der vorgesehenen 598 Abgeordneten hat er in der laufenden Wahlperiode aktuell 734 Sitze. Schuld sind Überhang- und Ausgleichsmandate. Die Überhangmandate entstanden, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Damit das Wahlergebnis dadurch nicht verzerrt wurde, erhielten die anderen Parteien seit 2013 Ausgleichsmandate.

Nach langen Vorarbeiten hat die Ampel-Koalition im März 2023 das Bundeswahlgesetz reformiert. Dabei hat der Bundestag die Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft, um die Größe des Bundestags verlässlich auf 630 Sitze zu begrenzen. Jede Partei soll nur noch so viele Sitze bekommen, wie ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Die Wahlkreissieger mit den niedrigsten Prozentanteilen gehen deshalb leer aus.

Als zweite Maßnahme hat die Ampel die Grundmandatsklausel gestrichen. Danach konnten Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen, trotzdem in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate geholt hatten. Zuletzt profitierte davon die Linke, die 2021 mit 4,9 Prozent der Stimmen dank dreier Direktmandate doch mit 39 Abgeordneten in den Bundestag einzog. Auch für die CSU mit bundesweit zuletzt 5,2 Prozent der Stimmen war die Grundmandatsklausel eine Lebensversicherung.

Viele Kläger wollen die Reform verhindern

Eine breite Front von Klägern will verhindern, dass dieses Wahlrecht bestehen bleibt. Für die mündliche Verhandlung hatte das Bundesverfassungsgericht gleich mehrere Kläger ausgewählt: 195 Abgeordnete von CDU/CSU, das Land Bayern und die CSU, Die Linke als Partei und als damalige Bundestagsfraktion sowie den Verein "Mehr Demokratie" mit rund 4.200 Personen Einzelklägern.


„Die meisten Bürger kennen die örtlichen Wahlkreiskandidaten gar nicht und wählen in der Regel auch im Wahlkreis nach Parteipräferenz.“
Frank Decker, Politikwissenschaftler

Am ausführlichsten wurde in Karlsruhe über die Kappung von Wahlkreismandaten verhandelt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte dies vehement. Die Vertretung jedes Wahlkreises im Bundestag durch einen gewählten Wahlkreisabgeordneten sei für die Repräsentanz des gesamten Volkes unverzichtbar. "Wenn man das Wahlergebnis von 2021 zugrunde legt, wären in Bayern sieben von 47 Wahlkreisen verwaist geblieben, hätten also keinen direkt gewählten Abgeordneten mehr", rechnete Herrmann vor.

Der Politikwissenschaftler Frank Decker, der als Sachverständiger eingeladen war, warnte jedoch vor einer Überschätzung der Wahlkreiswahl. "Die meisten Bürger kennen die örtlichen Wahlkreiskandidaten gar nicht und wählen in der Regel auch im Wahlkreis nach Parteipräferenz", argumentierte Decker.

Der Fokus liegt auf der Grundmandatsklausel

Lebhaft diskutierten die Richter in Karlsruhe über den Wegfall der Grundmandatsklausel. Denn dies könnte dazu führen, dass die CSU, die in Bayern eigentlich fast alle Direktmandate gewinnt, im nächsten Bundestag nicht vertreten ist - falls sie bundesweit unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt. Richterin Christine Langenfeld erwog deshalb, ob die bisherige Grundmandatsklausel verfassungsrechtlich vorgeschrieben sein könnte. Rechtsprofessor Tobias Meinel, der den Bundestag vertritt, monierte jedoch: "Es gibt im Wahlrecht keinen Bonus für vergangene Verdienste."

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Der Verein "Mehr Demokratie" schlug daher vor, die Fünf-Prozent-Hürde auf zum Beispiel drei Prozent der Wählerstimmen abzusenken. Auch dies würde der CSU und der Linken den Wiedereinzug in den Bundestag sichern.

CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz forderte das Bundesverfassungsgericht dazu auf, relativ schnell zu entscheiden, da die Parteien schon Ende Juni damit beginnen können, Wahlkreisbewerber aufzustellen.