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Gastkommentare : Wählen ab 16? Ein Pro und Contra

16-Jährige dürfen 2024 das erste Mal an den Europawahlen teilnehmen. Ob das in Zukunft auch bei Bundestagswahlen möglich sein soll, ist umstritten.

24.07.2023
True 2024-05-02T12:45:31.7200Z
3 Min

Pro

Längst überfällig

Foto: Alex Viktorin
Anna Lehmann
arbeitet bei "die tageszeitung", Berlin
Foto: Alex Viktorin

Bei der Wahl zum Europaparlament 2024 dürfen 16-Jährige in Deutschland zum ersten Mal wählen. In elf Bundesländern können sie das bereits auf kommunaler Ebene tun, in fünf Bundesländern auf Landesebene. Fehlt nur noch der Bundestag. Und hier ist die Absenkung des Wahlalters überfällig, zumal die Jugendlichen innerhalb der nächsten Legislatur sowieso volljährig würden.

Jedes Gegenargument - zu jung, zu unbedarft - ist auf Landesebene empirisch bereits entkräftet. Niedersachsen hat das Wahlrecht ab 16 für kommunale Parlamente bereits 1996 eingeführt - weder ist in Bad Zwischenahn die Revolution aus-, noch in Göttingen die Demokratie eingebrochen. Allerdings führt ein abgesenktes Wahlalter weder zu nennenswert besserer Repräsentation noch zu einem deutlichen Anstieg der Wahlbeteiligung. Die 1,5 Millionen, die zu den mehr als 60 Millionen volljährigen Wählern hinzukämen, würden Wahlergebnisse nur minimal beeinflussen.

Trotzdem gibt es einen wirklich wichtigen Grund, das Wählen ab 16 einzuführen: die Demokratie. Sie ist bedroht durch den hohen Anteil von Nichtwählerinnen und Nichtwählern. Aber auch durch die AfD, die das demokratische System samt der "Altparteien" grundsätzlich in Frage stellt. Dagegenzuhalten, die Menschen zu informieren, sie mit Wissen zu ermächtigen, wäre Aufgabe von politischer Bildung. Die kommt aber bis zur zehnten Klasse viel zu kurz und fristet an Berufsschulen nur noch ein randständiges Dasein. Wählen ab 16 böte die Chance, politische Bildung wieder prominent im Schulalltag zu verankern. Aus den 16-Jährigen von heute werden die 60-Jährigen von morgen. Und die sollten von klein auf zu Demokratieprofis erzogen werden. Wählen gehört dazu.

Contra

Gewichtige Gründe

Foto: privat
Tatjana Heid
arbeitet bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
Foto: privat

In einer Demokratie ist das Wahlrecht - also die Möglichkeit, das Zusammenleben im eigenen Sinne mitzubestimmen - das vornehmste und zugleich wichtigste Recht. Entsprechend sorgfältig ist damit umzugehen. Nun fällt allerdings auf, dass gerade jene Parteien das Wahlalter für die Bundestagswahl senken wollen, die besonders gut bei Jugendlichen ankommen - und umgekehrt. Wer auf eher ältere Stammwähler blickt, sieht die Senkung des Wahlalters kritisch. So weit, so nachvollziehbar. Doch ist das Wahlrecht zu wertvoll, um es nach der üblichen parteitaktischen Logik zu behandeln.

Aus neutraler Sicht sprechen zwei gewichtige Gründe gegen Wählen ab 16. Der erste ist die Entkopplung von Wahlalter und Volljährigkeit. Zwar hat politisches Desinteresse und Uninformiertheit wenig mit dem Alter zu tun, das verraten sinkende Wahlbeteiligungen. Doch warum sollte ein Jugendlicher über die Geschicke des Landes entscheiden, wenn ihm qua Gesetz noch nicht zugetraut wird, die volle Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen? Das ist schwer nachvollziehbar und müsste, konsequent gedacht, ein Umdenken in anderen Bereichen wie der Strafmündigkeit nach sich ziehen. Das aber wäre nicht im Sinne von Jugendlichen.

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Hinzu kommt: Sechzehnjährige berichten zwar von Gesprächen mit ihren Eltern über das Wählen - schulisch gesehen gibt es dieses einheitliche Bild nicht. Käme das Wahlrecht ab 16 also ohne flankierende Maßnahmen, würde das Jugendliche aus bildungsnahen Elternhäusern bevorzugen - und in letzter Konsequenz die soziale Ungleichheit vertiefen. Und das gehört zu den Dingen, die Deutschland wirklich nicht gebrauchen kann.