Milliardenkosten drohen : Heftiger Streit um Spahns Maskenbeschaffung
Nach einem Gerichtsurteil drohen dem Bund Milliardenkosten aus Verträgen zur Beschaffung von Pandemie-Masken. Die Koalition greift Ex-Gesundheitsminister Spahn an.
Wie die Corona-Zeit im Bundestag aufgearbeitet werden soll, darüber sind sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP derzeit noch nicht einig. Klar scheint aber, dass sich Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritische Fragen unter anderem zur Maskenbeschaffung während seiner Amtszeit gefallen lassen muss. Denn, so befürchten die Koalitionäre, dem Bund droht durch das Beschaffungsverfahren ein Schaden in Milliardenhöhe.
In einer Aktuellen Stunde zur Maskenbeschaffung sparten die Koalitionsfraktionen nicht mit Kritik am ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn.
Der umstrittene Vorgang fiel in die Anfangsphase der Corona-Pandemie. Das Virus breitete sich weltweit aus, Schutzausrüstungen wie Masken waren Mangelware. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) beschloss, Masken in einem so genannten Open-House-Verfahren zu beschaffen. Es bot jedem Anbieter, der bis zu einem bestimmten Termin und in einer bestimmten Qualität lieferte, 4,50 Euro pro Maske. Das Angebot war lukrativ, mehrere hundert Firmen meldeten sich. Im BMG versuchte man, dem Überangebot durch eine Verkürzung der Lieferfristen zu begegnen. Auch wurden Lieferungen wegen Qualitätsmängeln nicht angenommen, Zahlungen zurückgefordert oder Rechnungen nicht beglichen.
Ministerium beziffert Streitwert auf 2,3 Milliarden Euro
Dagegen klagten mehrere Unternehmen. Das Oberlandesgericht Köln hat am vergangenen Freitag in einem Verfahren zugunsten der Kläger entschieden. Damit drohen Zahlungen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro - auf diese Summe hat das BMG den Streitwert der anhängigen Verfahren beziffert.
Die Debatte in der Aktuellen Stunde zum Thema am Donnerstag war hitzig, vor allem Grüne und Union attackierten sich heftig. Martina Stamm-Fibich (SPD) betonte, es gehe nicht um eine "Hexenjagd". Dennoch müsse angesichts der Vorkommnisse geklärt werden, was damals passiert und wer dafür verantwortlich gewesen sei. "Das Versagen bei der Beschaffung könnte den Haushalt des BMG auf Jahre lähmen, und die Rückstellungen reichen bei Weitem nicht aus", warnte Stamm-Fibich.
Die Grünen attestieren dem ehemaligen Gesundheitsminister Kontrollverlust
Schärfer - und persönlicher - wurde Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen). "Warum hat Jens Spahn die Kontrolle so dermaßen verloren?", fragte der Abgeordnete. Es sei eine Krise gewesen, das dürfe aber "kein Freifahrtschein für völlig unkontrolliertes Handeln sein, für Handeln, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen". Es handle sich um einen "der größten Steuerverschwendungsskandale" der Bundesrepublik.
Seine Fraktionskollegin Paula Piechotta ging auf zahlreiche kritische Punkte während der Pandemie ein, etwa die Milliardenzahlungen für betrugsanfällige Corona-Tests oder die Leerhaltepauschale für Klinikbetten, die kontraproduktiv gewirkt habe. Daraus habe niemand Spahn "jemals einen Strick gedreht", so die Abgeordnete. Aber mit Blick auf die drohenden Zusatzkosten aus den Verfahren - Piechotta sprach mit Verweis auf Medienberichte sogar von bis zu acht Milliarden Euro - sei nun die "Schmerzgrenze des Haushaltsausschusses" überschritten. Wichtig für die Bürger im Land sei, dass nicht der Eindruck entstehe: "Die kleinen Diebe werden gehängt, aber die großen lässt man laufen", so Piechotta.
Die Union kritisiert ein "Fantasieren mit Streitwerten"
Bei der Union zeigte man sich über die Debatte erzürnt. Die Koalition habe eine Aufarbeitung ohne "unlautere Schuldzuweisungen" angekündigt, diesen Kurs habe man verlassen, kritisierte Tino Sorge. Es gebe in der Sache noch kein rechtskräftiges Urteil. Das BMG halte die Rechtsauffassung des OLG für falsch, andere Gerichte hätten im Sinne des Ministeriums entschieden "Sie fanatisieren mit Streitwerten, die völlig utopisch sind. Streitwerte sind nicht gleich Schadenersatz beziehungsweise Strafzahlung", führte Sorge aus. Es werde aus Dingen ein Skandal gemacht, der eigentlich keiner sei. "Das ist an Niederträchtigkeit und Doppelmoral nicht zu überbieten", wetterte der Abgeordnete.
Spahn meldete sich zum Schluss der Debatte ebenfalls zu Wort und sprach - insbesondere in Richtung der Grünen - von "maßlosem, haltlosem Furor und Vorwürfen". Man habe damals nach der Devise "Haben ist besser als brauchen" gehandelt. Mit dem Wissen von heute würde er manche Entscheidungen anders treffen: "Ich bin nur ganz neidisch auf diejenigen, die im Nachhinein schon alles vorher gewusst haben. Dieses Privileg hatten wir nicht, wir mussten in der Not entscheiden." Der Ex-Minister warb für eine Aufarbeitung, die nicht im "parteipolitischen Kleinklein endet".
Die AfD-Fraktion sieht die Rolle der WHO kritisch und befürchtet übergriffige Regelungen für einzelne Staaten. Andere Fraktionen würdigen die Rolle der WHO.
Die Suche nach der Herkunft des Virus ist kompliziert. Fachleute halten einen natürlichen Ursprung für wahrscheinlich. Oder gab es doch einen Laborunfall?
In Sachen Aufarbeitung hat die Koalition noch nicht entscheiden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich jüngst für einen Bürgerrat ausgesprochen. Aus Sicht von Martin Sichert (AfD) tritt der Kanzler damit die Demokratie mit Füßen. Denn jeder Demokrat wisse, dass die Aufarbeitung in den Bundestag gehöre, nämlich in einen Untersuchungsausschuss. Sichert forderte zudem eine "vollständige Rehabilitierung von Bürgern, die wegen Corona-Maßnahmen bestraft wurden".
Die FDP wiederum fordert eine Enquete-Kommission, wie in der Debatte Kristine Lütke erneut betonte. Zur Politik gehöre es, notwendige Entscheidungen zu treffen. Auch gehöre es dazu, Fehler zu machen. "Es gehört aber ebenso dazu, getroffene Entscheidungen und deren Auswirkungen kritisch zu hinterfragen," sagte die Abgeordnete.