Landtagswahl in Sachsen : AfD könnte Wahlsieger im Freistaat werden
Die politische Landschaft in Sachsen wird sich nach der Wahl am 1. September wohl deutlich verändern. Linke, SPD und Grüne müssen zittern, die AfD ist im Höhenflug.
Der Wahlkampf in Sachsen nimmt wieder Fahrt auf. Nach einer kurzen Pause nach den Kommunal- und Europawahlen im Juni werden nun wieder Plakate geklebt und Wahlkampfveranstaltungen organisiert. Am 1. September wird im Freistaat ein neuer Landtag gewählt und das Ergebnis dürfte spannend werden. Die politische Landschaft dürfte sich deutlich verändern. In den Umfragen liegen CDU und AfD vorn. Für SPD, Grüne und Linke dürfte es dagegen ums nackte Überleben gehen.
In Umfragen liefern sich Michael Kretschmers CDU und die AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Rund jeder zweite Sachse ist mit Kretschmers Amtsführung zufrieden, dennoch scheint seine Partei davon kaum zu profitieren.
AfD-Generalsekretär Zwerg hat 40 Prozent als Ziel ausgegeben
Die AfD, seit Dezember 2023 vom Landesamt für Verfassungsschutz als "gesicherte rechtsextreme Bestrebung" eingestuft, wittert Morgenluft. "In Sachsen wird die Zukunft Deutschlands geschrieben", frohlockte die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel jüngst in einem TV-Sommerinterview. Landeschef Jörg Urban will "die Machtfrage stellen" und die CDU auf die Oppositionsbank schicken. "Wir wollen kein Stück vom Kuchen. Wir wollen die Bäckerei. Wir wollen regieren", rief der 59-Jährige seinen Anhängern kürzlich auf einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden zu. Mehr als 40 Prozent hat Generalsekretär Jan Zwerg als Ziel ausgegeben.
Doch trotz guter Umfragewerte - so viel wird es wohl nicht werden. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren erreichte die AfD 27,5 Prozent. Bei der Europawahl im Juni kam die sächsische AfD auf 31,8 Prozent. Eine Umfrage im Juni sah sie bei 32 Prozent, vor Jahresfrist waren es noch drei Prozentpunkte mehr.
Ministerpräsident Kretschmer denkt laut über eine sächsische Grenzpolizei nach
Die CDU wird sich strecken müssen, wenn sie die AfD noch überholen will. Dieselbe Umfrage sieht sie bei 30 Prozent und nur noch auf Platz zwei. Von der absoluten Mehrheit wie in den 1990er Jahren unter Kurt Biedenkopf ist die Partei derzeit Lichtjahre entfernt. Vor fünf Jahren waren die Christdemokraten von fast 40 auf 32,1 Prozent abgestürzt. Michael Kretschmer, der angesichts des absehbaren Desasters bereits 2017 das Amt des Ministerpräsidenten von Stanislaw Tillich übernommen hatte, konnte die Pleite zwar nicht abwenden, die CDU blieb aber stärkste Fraktion.
Doch seither tritt die Partei praktisch auf der Stelle. In den verschiedenen Umfragen der vergangenen zwölf Monate kam die Partei trotz ihres betont konservativen Erscheinungsbildes nicht über die 30-Prozent-Marke hinaus. "Recht und Ordnung durchsetzen" heißt es auf Plakaten mit Kretschmers Konterfei. Der 49-Jährige denkt laut über eine sächsische Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild nach, die gegen illegale Grenzübertritte vorgehen soll. Innere Sicherheit und Wirtschaft sind den Sachsen mit Abstand am wichtigsten. Da kommen die Ansiedlung eines weiteren Halbleiterherstellers in Dresden, Großaufträge für den Schienen- und Fahrzeugbau in Bautzen sowie die Vertragsverlängerung von DHL für den Leipziger Flughafen gerade recht.
Umfragen sehen SPD und Grüne zwischen fünf und sieben Prozent
Rund jeder zweite Sachse ist laut Umfrage mit Kretschmers Amtsführung zufrieden oder sehr zufrieden. Er gibt sich bürgerfreundlich, bürstet mit russlandfreundlichen Positionen auch mal gegen den Strich auf Bundesebene und ist der wohl bekannteste sächsische Politiker. Dennoch scheinen er und die CDU davon kaum zu profitieren.
40 Prozent als Ziel: Die sächsische AfD um Spitzenkandidat Jörg Urban will ihr Ergebnis von der Landtagswahl vor fünf Jahren, 27,5 Prozent, deutlich steigern. Die Partei ist in Sachsen als "gesicherte rechtsextreme Bestrebung" eingestuft.
Will er weiter regieren, wird er auf seine bisherigen Koalitionäre SPD und Grüne nicht verzichten können - vorausgesetzt, sie schaffen den Sprung in den Landtag. Umfragen sehen beide Parteien zwischen fünf und sieben Prozent. 2019 kamen die Sozialdemokraten noch auf 7,7 Prozent, die Grünen auf 8,6 Prozent. Seit 19,1 Prozent bei der ersten Landtagswahl 1990 ging es für die SPD in Sachsen meist bergab. Nun soll es Sozialministerin Petra Köpping richten. Sie ist laut Wahlkampagne "Die Richtige" für so ziemlich alle Dinge: Krankenhäuser Lehrer, Mindestlohn, Mieten.
Hauptargument der Sozialdemokraten: stabile Regierung ohne die AfD
Vor allem aber gehe es um eine stabile Regierung ohne AfD, nennt Parteichef Henning Homann wohl das Hauptargument der Sozialdemokraten: "Das bekommt Kretschmer ohne uns nicht hin." In Sachsen werde nicht über die Ampel abgestimmt, geht Homann auf Distanz zu Berlin. Andererseits wird mit Bundesprominenz geworben. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa hat seinen von Störern begleiteten Auftritt in Dresden bereits hinter sich.
Immerhin: Homann sieht den Wiedereinzug der SPD in den Sächsischen Landtag optimistisch und verweist auf stabile Umfragewerte. Die 66-jährige Köpping war vor ihrer Ministerkarriere Bürgermeisterin und Landrätin. Während der Corona-Pandemie war sie oft in der Öffentlichkeit präsent und wurde so bekannt. Der SPD-Fraktionschef im Landtag, Dirk Panther, glaubt nicht, dass die Wahl auf einen neuerlichen Zweikampf zwischen AfD und CDU hinausläuft, bei dem die SPD zerrieben wird. Diesmal komme es vor allem auf die Köpfe an", sagt er, und da sieht er die SPD mit Köpping gut aufgestellt.
Grüne lassen offen, ob sie sich erneut an einer Koalition beteiligen würden
Vor allem den Grünen bläst der Wind ins Gesicht. Deren Landesvorsitzende Marie Möser spricht von einer Schicksalswahl. Dabei dürfte sie auch ihre eigene Partei im Blick haben. 2019 hatte die Partei mit 8,6 Prozent ihr bisher bestes Wahlergebnis in Sachsen eingefahren und mit Justizministerin Katja Meier und Umweltminister Wolfram Günther erstmals zwei Kabinettsmitglieder stellen können.
Sollte es gelingen, die drei Direktmandate in Dresden und Leipzig von 2019 zu verteidigen, wäre der Wiedereinzug in den Landtag sicher. Es müsse verhindert werden, dass Rechtsextreme und Putin-Freunde an die Macht kämen, warnen die Grünen. Für Aufsehen sorgte ein düsteres Wahlvideo, in dem vor dem Verlust von Freiheit und Demokratie gewarnt wird. Anders als die SPD lassen die Grünen offen, ob sie sich erneut an einer Koalition beteiligen würden. Möglicherweise haben die wiederholten Attacken des Ministerpräsidenten auf die Grünen in der Berliner Ampel ihre Spuren hinterlassen.
Die Landtagswahl in Sachsen auf einen Blick
📅 Am 1. September 2024 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Circa 3,3 Millionen Sächsinnen und Sachsen ab 18 Jahren sind zur Wahl aufgerufen.
👩💼 👨💼 Im Landtag von Sachsen sind aktuell 119 Abgeordnete vertreten. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
🗳️ Abgestimmt wird mit Erst- (Wahlkreis) und Zweitstimme (Liste). Überhangs- und Ausgleichsmandate sind möglich.
Noch wichtiger dürfte für die Linke der Kampf um drei Direktmandate werden. Seit das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die landespolitische Bühne betreten hat, sieht es schlecht aus für die Linke. 2019 war die Partei mit 10,7 Prozent noch zweistellig und drittstärkste Fraktion nach CDU und AfD. In der Juni-Umfrage liegt sie nur noch bei drei bis vier Prozent. Die Partei zieht mit der 46-jährigen Chemnitzerin Susanne Schaper und dem 56-jährigen Stefan Hartmann in den Wahlkampf. Möglicherweise gelingt es ihnen, die fehlenden Prozentpunkte aufzuholen. Sicher ist das nicht.
Deshalb hofft die Linke auch auf Direktmandate. 2019 konnte die Leipzigerin Juliane Nagel ihren Wahlkreis gewinnen. Weitere Hoffnungen setzen die Linken vor allem auf Schapers Wahlkreis in Chemnitz sowie Wahlkreise in Leipzig und Dresdner-Neustadt, wo sie allerdings vor allem mit den Grünen zu kämpfen haben dürften. Juristischen Ärger hatte die Partei mit dem Mitteldeutschen Rundfunk, weil sie auf einem Wahlplakat mit dem Titel der bekannten Krankenhausserie "In aller Freundschaft" als Slogan gegen Krankenhausschließungen mobil machen wollte. Doch beide Seiten sollen sich geeinigt haben, heißt es. Die Plakate sollen nur noch selten zu sehen sein.
BSW könnte aus dem Stand auf etwa 15 Prozent kommen
Für die Freien Demokraten im Freistaat sieht es auch diesmal ganz düster aus. Nachdem die FDP bereits 2014 und 2019 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, werden ihr nun rund zwei Prozent vorausgesagt. Dabei sah es für die Liberalen noch vor Jahresfrist mit Werten von bis zu sieben Prozent gar nicht so schlecht aus. Doch jetzt müsste der Partei mit dem 45-jährigen Ingenieur und Dresdner Stadtrat Robert Malorny an der Spitze schon ein Wunder gelingen.
Mitentscheidend im neuen Landtag könnte das erstmals antretende Bündnis Sahra Wagenknecht werden, das in den Umfragen aus dem Stand auf etwa 15 Prozent kommt. Eine Koalition mit der CDU könnte möglicherweise die Mehrheit der Sitze erringen. Wagenknechts Frau in Sachsen ist die 63-jährige Sabine Zimmermann. Die gelernte Anlagentechnikerin und Baustofftechnologin war Gewerkschaftssekretärin in Zwickau und saß 2004 einige Monate als Nachrückerin im Sächsischen Landtag. Ein Jahr später zog sie für die Linke in den Bundestag ein. 2023 schloss sie sich Wagenknecht an.
Mehr zu den Landtagswahlen
Die Stimmung ist schlecht, die AfD liegt in den Umfragen vorn. In Brandenburg droht der SPD bei der Landtagswahl im September nach Jahrzehnten der Machtverlust.
Die politische Lage in Thüringen ist besonders verworren. Das könnte auch nach der Landtagswahl am 1. September so bleiben.
Möglicherweise könnte das BSW nach einem kurzen Start geradewegs den Sprung in die Regierung schaffen. Doch die Neuen werden von allen Seiten vorsichtig taxiert. Köpping nennt sie eine politische "Blackbox". Und auch Kretschmer gibt sich zurückhaltend. Eine Zusammenarbeit hat er bislang zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen. Möglicherweise bleibt ihm aber auch gar nichts anderes übrig: Es ist nicht auszuschließen, dass im September mit CDU, AfD und BSW nur noch drei Parteien im Landtag vertreten sind.
Der Autor ist freier Journalist in Sachsen.