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Foto: Landtag Brandenburg / Konstantin Gastmann
Am 22. September wird in Brandenburg der neue Landtag gewählt.

Landtagswahl in Brandenburg : Wechselstimmung in der einst roten Bastion

Die Stimmung ist schlecht, die AfD liegt in den Umfragen vorn. In Brandenburg droht der SPD bei der Landtagswahl im September nach Jahrzehnten der Machtverlust.

31.07.2024
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6 Min

Brandenburgs SPD spricht gar nicht erst von einem Wahlprogramm. Mit "Regierungsprogramm" hat sie ihr 50-seitiges Angebot an die rund 2,1 Millionen wahlberechtigten Brandenburgerinnen und Brandenburger überschrieben, die am 22. September über die Zusammensetzung des neuen Landtags in Potsdam bestimmen.  Sie entscheiden darüber, ob es in Brandenburg erstmals seit der Wende zu einem Machtwechsel kommt und die rote Bastion im Osten fällt.

Brandenburg ist das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem seit der Wiedervereinigung durchgehend die SPD mit verschiedenen Partnern regiert hat und in dem die Sozialdemokraten stets den Ministerpräsidenten stellten. Erst Manfred Stolpe, dann Matthias Platzeck und seit elf Jahren Dietmar Woidke. Auf dem 62-jährigen Agraringenieur aus Forst in der Lausitz, der es vor fünf Jahren geschafft hat, den schlechten Umfragetrend zu drehen und die AfD auf Platz zwei zu verweisen, ruhen erneut alle Hoffnungen seiner Partei. "Wer Woidke will, wählt SPD", plakatiert die selbst ernannte "Brandenburg-Partei" landauf, landab.

In Umfragen ist die AfD derzeit stärkste Kraft

Die SPD steht unter Druck. Die Wechselstimmung ist so stark wie nie zuvor, wie jüngste Umfragen und die Ergebnisse der Kommunal- und Europawahlen im Juni zeigen. Bei beiden Wahlen, die als Stimmungstest für die Brandenburg-Wahl galten, wurde die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtete Alternative für Deutschland (AfD) stärkste Kraft. Die derzeit mit CDU und Grünen regierende Partei von Ministerpräsident Dietmar Woidke landete bei den Kommunalwahlen am 9. Juni hinter AfD und CDU nur auf dem dritten Platz.

Foto: picture alliance/dpa

Die SPD setzt im Wahlkampf auf die Zugkraft von Ministerpräsident Dietmar Woidke, der seit August 2013 im Amt ist.

Von den Ergebnissen der 1990er und 2000er Jahre, als die Brandenburger SPD teils absolute Mehrheiten erringen konnte, ist sie meilenweit entfernt. In den Prognosen für die Landtagswahl liegt die AfD seit einem Jahr stets vorn. Nach einer Mitte Juli veröffentlichten Umfrage des Instituts "Infratest dimap" im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) käme die AfD, die mit Fraktionschef Hans-Christoph Berndt einen laut Verfassungsschutz erwiesenen Rechtsextremisten als Spitzenkandidaten aufgestellt hat, auf 23 Prozent. Da aber alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, richtet sich der Blick auf die folgenden Plätze und die Frage, wie eine Koalition nach der Wahl aussehen und wer sie anführen könnte.

Die Linke könnte aus dem Landtag fliegen

Hinter der AfD liegen SPD und CDU derzeit gleichauf bei jeweils 19 Prozent. Die Linke, die von 2009 bis 2019 noch mit der SPD regierte, sieht Infratest mit nur vier Prozent erstmals nicht mehr im Landtag. Viertstärkste Kraft und damit womöglich Königsmacherin wäre das erst im Juni auf Landesebene gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand bei 16 Prozent liegt. Weder SPD noch CDU haben eine Zusammenarbeit mit dem BSW ausgeschlossen. Bündnis 90/Die Grünen kämen mit Verlusten auf noch sieben Prozent. BVB/Freie Wähler würden mit drei Prozent aus dem Landtag ausscheiden. Die FDP würde mit ebenfalls drei Prozent erneut den Wiedereinzug ins Parlament verpassen.

Die Landtagswahl in Brandenburg auf einen Blick

📅 Am 22. September 2024 wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Circa 2,1 Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger ab 16 Jahren sind zur Wahl aufgerufen.

👩‍💼 👨‍💼  Im Landtag von Brandenburg sind aktuell 88 Abgeordnete vertreten. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.

🗳️ Abgestimmt wird mit Erst- (Wahlkreis) und Zweitstimme (Liste). Überhangs- und Ausgleichsmandate sind möglich. 



Das Patt zwischen SPD und CDU lenkt die Aufmerksamkeit im Wahlkampf noch mehr als sonst auf die Personen, auf Amtsinhaber Dietmar Woidke und seinen Herausforderer Jan Redmann. Der märkische Partei- und Fraktionschef will der erste CDU-Ministerpräsident Brandenburgs werden. Die CDU nennt ihr Angebot an die Wähler dementsprechend "Regierungsprogramm". Der Titel: "Dein Land kann's besser." Sich scharf von der SPD abzuheben, die mit dem Slogan "Sicher. gemeinsam. stark" antritt, ist nach fünf gemeinsamen Jahren in der sogenannten Kenia-Koalition nicht einfach, will die Union die gemeinsame Bilanz nicht zerreden.

Lage in Brandenburg ist besser als die Stimmung

Objektiv betrachtet ist die Lage in Brandenburg nicht so schlecht wie die Stimmung. Die Arbeitslosenquote liegt mit 5,9 Prozent nur 0,1 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Mit der Ansiedlung des US-Elektroautobauers Tesla in Grünheide gelang dem Woidke-Kabinett einer der bundesweit bedeutendsten wirtschaftspolitischen Coups der vergangenen Jahre. 12.000 Menschen sind an dem Standort beschäftigt. Der Strukturwandel in der Lausitz nach dem Braunkohleausstieg kommt voran: Mit dem neuen Bahnwerk in Cottbus, in dem die ICE4-Züge instand gehalten werden sollen, sind weitere 1.200 Arbeitsplätze verbunden. Und: Zum zehnten Mal in Folge verzeichnet Brandenburg laut der im Juli veröffentlichten Statistik mehr Zuzüge als jedes andere Bundesland.

Dennoch fürchten vor allem die Brandenburger außerhalb des städtischer geprägten "Speckgürtels" rund um Berlin, in dem rund eine Million der 2,58 Millionen Märker leben, einen sozialen Abstieg, verstärkt durch internationale Krisen. "Die Bevölkerung hat das Gefühl, es sei etwas im Wanken, im Umbruch", sagte Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung, im Interview mit den "Potsdamer Neuesten Nachrichten". Themen, die die Wähler beschäftigten, seien Energiesicherung - Brandenburg ist durch die PCK-Raffinerie in Schwedt direkt vom Öl-Embargo gegen Russland betroffen -, Frieden in der Welt und Migration.

Gewaltkriminalität nimmt zu

Ein bestimmendes Thema im Wahlkampf ist im Grenzland zu Polen deshalb Sicherheit. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Straftaten erneut gestiegen, unter anderem wegen der vielen illegalen Grenzübertritte. Zudem wurde 2023 der höchste Stand bei Gewaltkriminalität seit 15 Jahren verzeichnet. Gleichzeitig hat der Verfassungsschutz im Jahr vor der Landtagswahl so viele Rechtsextremisten gezählt wie noch nie seit Bestehen des Landes. Angriffe auf Politiker wie die rassistische Attacke auf die aus Kamerun stammende CDU-Landtagskandidatin Adeline Abimnwi Awemo Ende Juli in Cottbus haben im Superwahljahr zugenommen.

Foto: picture alliance/dpa

CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann steht zum Wahlkampfauftakt am Grill. Eine Trunkenheitsfahrt setzt dem Christdemokraten allerdings aktuell zu.

Als zentrale Botschaften formuliert Woidke dementsprechend Sicherheit und Stabilität. Die SPD werde die Polizei auf 9.000 Stellen aufstocken. "Kriminelle dürfen in Brandenburg keine Heimat haben. Dafür müssen wir unsere Polizei stärken", verspricht auch CDU-Chef Redmann.

Aber auch das Thema Bildung ist ein Schwerpunkt, vor allem für die CDU, die das Ressort nach mehr als 30 Jahren von der SPD übernehmen will. Zuletzt Schlusslicht bei Schülerleistungsvergleichen in Mathematik und Deutsch, kämpft das Land mit akutem Lehrermangel. An manchen Schulen auf dem Land kann der Unterricht nur noch abgedeckt werden, weil die Hälfte des Kollegiums aus Seiteneinsteigern besteht. Auch die Daseinsvorsorge in der Peripherie, der Erhalt von Krankenhausstandorten, mehr Busse und Bahnen, stehen auf den Agenden der Parteien.

Distanz zur Ampel-Koalition

Doch die Brandenburger Themen geraten immer wieder in den Hintergrund: Vor allem die SPD, aber auch die Grünen leiden unter dem schlechten Ruf der Berliner Ampel-Regierung, der in Brandenburg personalisiert wird: Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) leben in Potsdam und haben hier ihren Bundestagswahlkreis. Entsprechend zurückhaltend äußerte sich Landesparteichef Woidke zu Wahlkampfhilfe aus der Bundespolitik. "Wir haben es in Brandenburg Gott sei Dank nie nötig gehabt, geborgte Prominenz einzufliegen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, ob er den Kanzler gern im Wahlkampf dabei hätte. "Es geht am Ende darum, wer unser Land weiter führt und wer in rauer See der Kapitän auf der Brücke ist."

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Wem trauen die Brandenburger das zu? Amtsinhaber Woidke ist der bekannteste Politiker im Land. Mit seinem Namen konnten 88 Prozent der Befragten bei der Infratest-Erhebung etwas anfangen. Mit seiner Arbeit sind nur 55 Prozent zufrieden. Mit der politischen Arbeit von CDU-Herausforderer Jan Redmann sind wiederum nur 16 Prozent zufrieden. Nur 32 Prozent kennen ihn überhaupt.

Trunkenheitsfahrt belastet Unions-Spitzenkandidaten Redmann

Das dürfte sich just seit dem Tag nach der Umfrageveröffentlichung schlagartig geändert haben: Redmann gestand ein, mit 1,3 Promille auf dem E-Roller von der Polizei in Potsdam gestoppt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Trunkenheit im Straßenverkehr. Dennoch hält der 44 Jahre alte Jurist aus Wittstock an seiner Spitzenkandidatur fest. "Beurteilen Sie mich auch weiterhin anhand meiner politischen Ideen und Lösungen für unsere Heimat", appellierte Redmann in einem Video an die Brandenburgerinnen und Brandenburger.

Die Autorin ist stellvertretende Chefredakteurin der "Potsdamer Neuesten Nachrichten".