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Chancen-Aufenthaltsrecht : Aufreger Aufenthalt

Das Chancen-Aufenthaltsrecht der Ampelkoalition zur Besserstellung langjährig geduldeter Ausländer stößt auf heftige Kritik der Opposition im Bundestag.

24.10.2022
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Die Koalition lobt ihn als "Paradigmenwechsel" in der Migrationspolitik. Der CDU-Abgeordnete Alexander Throm spricht von einem "Amnestiegesetz für Menschen, die ausreisepflichtig sind", Gottfried Curio (AfD) von einer "Laufzeitverlängerung für Illegale", und für Clara Bünger (Linke) ist die Vorlage "viel zu unambitioniert". Die Rede ist vom Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts", über den der Bundestag vergangene Woche in erster Lesung debattierte und bei dem die Meinungen im Hohen Haus erkennbar weit auseinanderklaffen.

Foto: picture-alliance/Markus Scholz

Asylbewerber und geduldete Ausländer bei einem Deutschkurs in Hamburg. Kenntnisse der deutschen Sprache zählt die Bundesregierung zu den Voraussetzungen für ein Bleiberecht in der Bundesrepublik.

Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausgeschlossen bleiben

Mit dem "Chancen-Aufenthaltsrecht" will die Bundesregierung langjährig geduldeten Ausländern ermöglichen, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu zählt sie insbesondere die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und den Identitätsnachweis. Erhalten sollen das einjährige Chancen-Aufenthaltsrecht Ausländer, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen.

Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben, ebenso Personen, die ihre Abschiebung aufgrund von Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern. Sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der einjährigen Frist nicht erfüllt, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung zurückfallen. Ende 2021 haben sich laut Bundesregierung in Deutschland 242.029 geduldete Ausländer aufgehalten, davon 136.605 seit mehr als fünf Jahren.

Faeser will "Neustart" in der Migrationspolitik

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in der Debatte, die Bundesregierung habe sich einen "Neustart in der Migrationspolitik" vorgenommen, denn Deutschland sei ein "vielfältiges Einwanderungsland" und brauche "endlich eine Politik, die diesem Anspruch auch gerecht wird". Die Koalition schaffe ein modernes Einwanderungsrecht und mache dabei mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht den ersten Schritt. Wer gut integriert sei, solle "auch gute Chancen in Deutschland haben". Das Chancen-Aufenthaltsrecht sei das Ende der Kettenduldungen und der damit verbundenen Unsicherheit, die für die Betroffenen eine große Belastung sei.


„Wir wollen in diesem Land aus Hilfeempfängern Steuerzahler machen.“
Stephan Thomae (FDP)

Daneben werde mit dem Gesetz gut integrierten jungen Menschen unter 27 Jahren schon nach drei Jahren ein Bleiberecht ermöglicht und es ausländischen Fachkräften erleichtert, ihre Familien mit nach Deutschland zu bringen, fügte die Ministerin hinzu. Zugleich sollten Asylbewerber in Zukunft schon während des laufenden Asylverfahrens Sprach- und Integrationskurse absolvieren können. Straftätern könne dagegen künftig leichter das Aufenthaltsrecht entzogen werden, und auch die Anordnung von Abschiebehaft werde erleichtert, "damit sie vor ihrer Abschiebung nicht untertauchen können".

Union warnt vor Anreizen für Un- und Minderqualifizierte 

CDU-Mann Throm warf der Koalition vor, nach ihrem Willen solle es künftig heißen, dass jeder hier bleiben könne, "der irgendwie nach Deutschland kommt". Das Chancen-Aufenthaltsrecht nutze nur Geduldeten ohne geklärte Identität. Alle anderen hätten schon heute die Möglichkeit, zu arbeiten und spätestens nach sechs bis acht Jahren ein Daueraufenthaltsrecht zu bekommen. Auch schaffe die Koalition mit dem Gesetz Anreize für Un- und Minderqualifizierte, und das sei "nicht die Personenklientel, die zukünftig unsere Volkswirtschaft und unsere Betriebe rettet".

Lamya Kaddor (Grüne) betonte dagegen, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht niemanden anlocke, denn das würde bedeuten, erst fünf Jahre in der Duldung zu leben und danach "ein Jahr lang auf Probe Teil dieser Gesellschaft zu sein". Es gehe vielmehr darum, Menschen eine Chance zu geben, die bereits hier sind. So gewinne man auch zehntausend motivierte Arbeitskräfte, die dringend benötigt würden.

Was das Chancen-Aufenthaltsrecht vorsieht

👥 Erhalten sollen das Chancen-Aufenthaltsrecht geduldete Ausländer, die Anfang 2022 fünf Jahre straffrei in Deutschland gelebt haben.

📑 Das einjährige Aufenthaltsrecht soll ihnen ermöglichen, Voraussetzungen für ein Bleiberecht wie die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts, Deutschkenntnisse und den Identitätsnachweis zu erfüllen.

⚖️ Sind solche Voraussetzungen nach Ablauf der Jahresfrist nicht erfüllt, fallen die Betroffenen in den Status der Duldung zurück.



Auch Stephan Thomae (FDP) wandte sich gegen die Kritik, das Chancen-Aufenthaltsrecht schaffe Fehlanreize. Dadurch kämen nicht mehr Menschen ins Land, sondern man spreche "von Menschen, die schon da sind, die seit Jahren hier bei uns im System hängen". Sie sollten künftig "etwas beitragen", statt Geld zu kosten: "Wir wollen in diesem Land aus Hilfeempfängern Steuerzahler machen."

AfD nennt das Argument des Fachkräftemangels einen schlechten Witz  

Curio nannte das Argument eines Fachkräftemangels angesichts "millionenfacher europäischer Jugendarbeitslosigkeit und einer Viertelmillion arbeitslosen anerkannten Asylbewerbern plus 400.000 erwerbsfähigen Ukrainern" einen schlechten Witz. Das Gesetz habe den Zweck, abgelehnte Asylbewerber, die geduldet werden, "nach fünf Jahren endgültig Deutschland aufzubürden", kritisierte der AfD-Abgeordnete.

Dirk Wiese (SPD) befand demgegenüber, es sei richtig, gut integrierten Menschen statt der "Unsicherheit der Kettenduldungen" die Perspektive zu geben, "dass sie in diesem Land zu uns dazugehören".

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Für Die Linke, die von der Bundesregierung in einem Antrag eine Neufassung des Gesetzentwurfes fordert, beklagte Bünger, dass die Anforderungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht viel zu hoch seien. Wie die Bundesregierung selbst schätze, bekämen nach ihrem jetzigen Vorschlag nur etwa 34.000 Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht. Das seien "nicht besonders viele gegenüber den mehr als 240.000 Personen, die nur eine Duldung haben".