"Chancen-Aufenthaltsrecht" beschlossen : Neue Regeln, alter Zank
Der Bundestag novelliert das Aufenthaltsgesetz und streitet über "Doppelpass"-Pläne. Asylverfahren sollen beschleunigt werden
Gleich zweimal hat die Migrationspolitik der Ampel-Koalition vergangene Woche im Bundestag für scharfe Kontroversen zwischen dem Regierungsbündnis und der Opposition gesorgt: Am Freitag ging es dabei um Gesetzentwürfe zur Einführung eines "Chancen-Aufenthaltsrechts"und zur Beschleunigung von Asylverfahren, die das Parlament mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen verabschiedete; am Vortag stritten die Abgeordneten in einer von der Union beantragten Aktuellen Stunde über die "Pläne der Bundesregierung zur schnelleren Einbürgerung".
Die Ampel-Koalition will mit einer Reform mehrfache Staatsangehörigkeiten ermöglichen.
Hintergrund dieser Debatte war ein Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium, dem zufolge bei Einbürgerungen mehrfache Staatsangehörigkeiten hingenommen, die Sprachanforderungen für bestimmte Gruppen gesenkt und die Mindestaufenthaltsdauer in Deutschland verkürzt werden soll. Andrea Lindholz (CSU) warnte, es werde zu Loyalitätskonflikten führen, wenn die Koalition doppelte Staatsbürgerschaften generell ermögliche. Auch widerspreche das Vorhaben, die Fristen der Mindestaufenthaltsdauer in der Bundesrepublik vor der Einbürgerung fast zu halbieren, dem Prinzip, dass der Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft am Ende eines Integrationsprozesses stehen sollte und nicht am Anfang.
Gottfried Curio (AfD) sagte, dass erst eine wirkliche Integration auch als Bemühung um die Staatsbürgerschaft erfolgen müsse und nicht umgekehrt. "Sie verschleudern erst den Pass an ungenügend Integrierte", warf er der Koalition vor.
Demokratie lebt von Mitbestimmung
Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), betonte dagegen, wer viele Jahre in Deutschland lebe, solle neben allen Pflichten auch alle Rechte haben. Die Demokratie lebe davon, mitzubestimmen sowie zu wählen und gewählt zu werden. Es sei nicht gut, "wenn Einwohnerschaft und Wahlvolk immer weiter auseinanderfallen". Gülistan Yüksel (SPD) sagte, die Koalition erleichtere den Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft gerade auch für Menschen, "die schon längst selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sind".
Irene Mihalic (Grüne) nannte es "allerhöchste Zeit", dass Deutschland ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht bekomme, das Menschen eine bessere Integrationsperspektive eröffne, den demokratischen Erfordernissen Rechnung trage und gut für die deutsche Wirtschaft sei. Bei der Staatsbürgerschaft gehe es vor allem um die Möglichkeit, gleichberechtigt zum Erfolg des Gemeinwesens beizutragen.
Konstantin Kuhle (FDP) verwies auf die vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte zur erleichterten Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Dieses Einwanderungsgesetz müsse in ein migrationspolitisches Gesamtkonzept unter der Formel "mehr reguläre Migration, weniger irreguläre Migration" eingebettet sein. Teil davon sei die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, doch müsse nun auch bei der im Koalitionsvertrag ebenfalls angekündigten "Rückführungsoffensive" mehr passieren.
Janine Wissler (Linke) nannte die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts "überfällig". In Deutschland lebten mehr als zehn Millionen Erwachsene ohne deutsche Staatsbürgerschaft und daher ohne Wahlrecht. Ihr Leben werde bislang "bestimmt durch politische Entscheidungen, an denen sie nicht durch Wahlen mitwirken können".
"Chancen-Aufenthaltsrecht" für langjährig Geduldete
Mit dem "Chancen-Aufenthaltsrecht" soll Ausländern, die Ende Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet in Deutschland gelebt haben, ermöglicht werden, innerhalb von 18 Monaten die Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Dazu zählen die Sicherung des Lebensunterhalts, der Identitätsnachweis und Deutschkenntnisse. Für das Gesetz stimmten 371 Abgeordnete. 226 votierten dagegen; 57 enthielten sich, darunter neben den Linken auch 20 Parlamentarier der Union.
In der Debatte sagte Helge Lindh (SPD), das Chancen-Aufenthaltsrecht breche mit dem "unwürdigen Zustand", dass Menschen perspektivlos mit Kettenduldungen leben müssen. Dies betreffe am Stichtag 31. Oktober mehr als 137.000 Menschen. Stephan Thomae (FDP) betonte, diese Menschen hingen im Sozialsystem fest, statt in die Arbeitswelt integriert zu werden. Man könne aber nicht über Arbeitskräftemangel klagen und zugleich Arbeitswilligen Steine in den Weg legen. Filiz Polat (Grüne) wertete die Neuregelungen als "Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik". Damit würden zentrale flüchtlingspolitische Vorhaben umgesetzt, für die ihre Partei lange gekämpft habe.
Für die Union kritisierte Lindholz, ausreisepflichtige Menschen bekämen von der Koalition auch dann ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ihre Identität getäuscht oder die Mitwirkung an der Identitätsklärung verweigert haben. Für die Union gelte dagegen der Grundsatz "erst Identitätsklärung, dann Chance - und nicht umgekehrt". Bernd Baumann (AfD) hielt der Koalition vor, sie wolle ausreisepflichtige Migranten, deren Asylanträge abgelehnt wurden, endgültig im Land behalten. "Aus Illegalen sollen Legale werden", sagte er. Clara Bünger (Linke) beklagte dagegen, das Chancen-Aufenthaltsrecht beinhalte viel zu hohe Hürden, um Kettenduldungen wirklich wirksam zu beenden. Sogar nach Berechnungen der "Ampel" erfüllten nur rund 34.000 von 240.000 Geduldeten die Anforderungen.