Marcus Faber im Interview : "Deutschland hätte mit Nein stimmen müssen"
Der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Marcus Faber, über Deutschlands Enthaltung zur UN-Gaza-Resolution sowie die Bekämpfung des Antisemitismus.
Herr Faber, Sie haben sich schon für die Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen, als der Bundeskanzler in dieser Frage noch ziemlich zurückhaltend war. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sagte er jetzt in seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag, Unterstützungsbitten Israels werde die Bundesregierung unverzüglich prüfen und gewähren. Macht hier der Satz "Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsraison" den Unterschied aus?
Marcus Faber: Ich bin mir nicht sicher, ob der Unterschied so groß ist. Israel braucht das, was wir der Ukraine gewähren oder in Zukunft noch gewähren müssen, nicht. Israel kann sich glücklicherweise selbst verteidigen, und was es absehbar anfragt, sind im Vergleich eher Kleinigkeiten wie Verbandsmaterial oder ähnliches. Ich denke, der Bundeskanzler hat das in seiner Aussage antizipiert.
Marcus Faber (39) gehört dem Bundestag seit 2017 an. Der FDP-Abgeordnete ist Mitglied des Verteidigungsausschusses und seit 2019 Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Wie weit reicht der Satz "Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsraison"? Waffenlieferungen an Israel - Stichwort U-Boote - gab es schon. Oder geht das weiter, gegebenenfalls bis zum Einsatz von Soldaten, etwa mit UN-Mandat?
Marcus Faber: Wir müssen schauen, dass Israels Sicherheit und Existenz gar nicht in Frage gestellt werden kann, von niemandem, auch nicht von Terrororganisationen wie der Hamas. Deutschland und Israel kooperieren sehr gut im Bereich Verteidigung: Einmal liefert Deutschland an Israel U-Boote, auf der anderen Seite liefert Israel Luftverteidigung wie das Raketenabwehrsystem "Arrow 3". Das geht also in beide Richtungen. Und wei weit das gehen kann? An den Punkt, an dem sich diese Frage stellt, sollte man am besten gar nicht erst kommen, weil dann ja die Sicherheit Israels existenziell gefährdet wäre. Ein solches Szenario möchte ich mir nicht vorstellen.
Nach dem Hamas-Überfall wurde weltweit, ob in Dagestan, Australien, den USA oder Europa, unverhohlener Antisemitismus laut. So schlimm und furchtbar das ist - in Deutschland hat es noch eine andere Qualität, wenn hier Wohnungen von Juden mit Davidsternen am Hauseingang markiert werden, oder?
Marcus Faber: Wir haben Vorfälle von Antisemitismus in Deutschland, auf jeden Fall. Sie haben ein Beispiel genannt, ein zweites Beispiel ist, dass Molotow-Cocktails auf Synagogen geworfen wurden. Das sind sehr deutliche Beispiele. Häufig geht es aber auch um Gleichgültigkeit oder Unkenntnis. Wenn zum Beispiel jetzt in Sachsen-Anhalt ein Eltern-Kuratorium der Meinung war, eine Anne-Frank-Kindertagesstätte umbenennen zu wollen, ist das nicht historisches Bewusstsein, sondern fehlende Sensibilität. An beidem muss man arbeiten. Das ist auch ein Bildungsauftrag, zumal die Zeitzeugen des Holocaust immer weniger werden und man den historischen Aufarbeitungsprozess anders angehen muss.
Es wird oft beklagt, der Antisemitismus in Deutschland reiche bis in die Mitte der Gesellschaft. Stellt sich denn der Bevölkerungsteil, der antisemitische Einstellungen ablehnt, entschieden genug an die Seite der Juden hierzulande?
Marcus Faber: Mal so, mal so. Ich bin sehr stolz darauf, dass Zehntausende am Brandenburger Tor demonstrierten, als die deutsch-israelische Gesellschaft - deren Vizepräsident ich bin - dazu aufrief, und dass auch alle Parteien der demokratischen Mitte diesem Aufruf folgten. Andererseits ist vieles, was in Berlin oder anderen Großstädten geschieht, für Menschen im ländlichen Raum, insbesondere in Ostdeutschland, weit weg. Auch der Krieg, den die Hamas gegen Israel begonnen hat, wirkt für diese Menschen weit weg. Da fehlt die wahrgenommene persönliche Betroffenheit.
Gehen Polizei und Justiz entschieden genug gegen antisemitische Ausfälle vor?
Marcus Faber: Das ist unterschiedlich. Nach dem Anschlag von Halle etwa haben Polizei und Justiz ihre Arbeit getan: Dieser Rechtsextremist wurde verurteilt und verlässt das Gefängnis hoffentlich nie wieder. Mit vielen kleineren Dingen, etwa antisemitischen Äußerungen auch von Jugendlichen, gehen Polizei und Justiz ab und an sehr sanft um. Da wehrt man dann nicht den Anfängen.
Verstehen Sie, wenn die Polizei in Berlin Plakate mit Fotos israelischer Geiseln der Hamas entfernt?
Marcus Faber: Nein, dafür habe ich kein Verständnis. Wenn Kinder als Geiseln genommen werden oder an anderer Stelle auch brutal enthauptet werden, dann muss man auch im öffentlichen Raum darauf aufmerksam machen können, dass so etwas nirgends Platz haben darf. Da darf man nicht aufgrund von Beschwichtigungen solche Plakate abnehmen. Man muss auch auf solche Grausamkeiten aufmerksam machen, statt den Kopf in den Sand zu stecken.
Es kam nach dem Überfall der Hamas bei pro-palästinensischen Kundgebungen hierzulande zu einer Reihe von Straftaten. Wie ist in Ihren Augen damit umzugehen?
Marcus Faber: Solche Kundgebungen müssen unter Auflagen stattfinden, damit die Polizei definitiv die Kontrolle darüber behalten kann, falls es zu Straftaten kommt. Und wenn Straftaten durchgeführt werden, ob nun verbal oder durch andere Handlungen, müssen die Personalien festgestellt und diese Personen dann auch zur Verantwortung gezogen werden. Das habe ich nach dem Angriff der Hamas auf Israel am Anfang vermisst.
Bei den pro-palästinensischen oder anti-israelischen Kundgebungen waren auch deutsche Gruppierungen aus dem linken Spektrum auf die Straße gegangen und dadurch verstärkt in den Fokus öffentlicher Kritik geraten. Gerät darüber der rechtsextreme Terror hierzulande in den Hintergrund, der sich sowohl gegen Muslime - siehe den Anschlag in Hanau 2020 - als auch gegen Juden richtet wie in Halle fünf Monate zuvor?
Marcus Faber: Antisemitismus kommt von rechts, von links, es gibt islamistischen Antisemitismus, religiös bedingten Antisemitismus, den es auch im Christentum gab und in Teilen noch gibt. Ich war vor ein paar Jahren in Magdeburg mit einer Israel-Flagge auf einer Christopher-Street-Day-Parade, als mir vermummte Antifa-Leute mit einer körperlichen Auseinandersetzung drohten, wenn ich diese Fahne nicht einrolle. Solche Erlebnisse gibt es immer wieder in Deutschland. Sie sollten keinen Platz haben, aber dazu gehört viel Aufklärungsarbeit.
Sehen Sie da Änderungsbedarf?
Marcus Faber: Es ist gut und wichtig, wenn wir etwa im Bundestag Gedenkstunden veranstalten, aber wir müssen uns fragen, ob wir damit die Masse der Bevölkerung erreichen und diejenigen, die gefährdet sind, solchen antisemitischen Ideologien zu folgen. Hier ist der Schwachpunkt, an dem wir arbeiten müssen.
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Es gab Kritik am Bundesinnenministerium und Ressortchefin Nancy Faeser, weil die vom Kanzler in der Regierungserklärung angekündigten Verbote der Hamas und des Samidoun-Netzwerks in Deutschland erst drei Wochen danach erfolgten, und dann ohne Durchsuchungen, ohne Razzien...
Marcus Faber: Ich bin jetzt 23 Jahre politisch aktiv und habe in dieser Zeit schon einige Vereinsverbote erlebt. Üblicherweise werden dabei die Vereinsstrukturen beschlagnahmt und das Vereinsverbot zeitgleich verkündet, damit dessen Mitglieder nicht noch Wertgegenstände oder Logistik wie Mitgliederlisten und Kontaktdaten in Sicherheit bringen können. So habe ich das in der Vergangenheit erlebt, und so wäre es sicherlich auch am sinnvollsten gewesen.
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Marcus Faber: Das war ein Abstimmungsprozess zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt. Das Ergebnis ist aus heutiger Perspektive klar das falsche: Deutschland hätte mit Nein stimmen müssen. Ich hoffe, dass Deutschland künftig bei solchen Resolutionen, die sich klar gegen Israel richten, dem Opfer des Hamas-Terrors, an dessen Seite steht. Das gehört auch zur Staatsraison.