Polizeibeauftragter im Interview : "Ich höre jeden Tag Berichte über übelste Beleidigungen"
Der Polizeibeauftragte, Uli Grötsch, über seine Erfahrungen in den ersten 100 Tagen im neu geschaffenen Amt und mangelnden Respekt gegenüber Polizeibeschäftigten.
Uli Grötsch ist der erste Polizeibeauftragte des Bundes beim Deutschen Bundestag.
Herr Grötsch, nach gerade mal 100 Tagen im Amt haben Sie diese Woche dem Bundestag Ihren ersten Bericht als Polizeibeauftragter des Bundes vorgelegt. War das schon genug Zeit für substanzielle Aussagen?
Uli Grötsch: Es war genug Zeit für einen guten Start. Wir haben den Bericht ganz bewusst "100-Tage-Bericht" genannt, weil ich nun ein bisschen mehr als 100 Tage im Amt bin und glaube, für die kurze Zeit einiges vorzuweisen habe.
An Sie können sich Bürger wenden, die sich von Polizeibeamten falsch behandelt fühlen, aber auch Polizisten, die auf Missstände in ihren Dienststellen oder Fehlverhalten von Kollegen hinweisen wollen. Wie viele Eingaben hat Sie denn schon erreicht?
Uli Grötsch: Mehr als 130 Eingaben haben wir schon bekommen, von denen ein Teil in der Bearbeitung ziemlich umfangreich ist. Wir freuen uns natürlich über die hohe Frequenz, die wir schon haben.
Um welche Themen geht es dabei?
Uli Grötsch: Es ist das ganze Leben. Etwa 70 bis 80 Prozent kommen aus der Bevölkerung, aber das dreht sich gerade: Wir merken - und das war bei meinen Kollegen in den Ländern genauso -, dass es sich gerade stark in Richtung Eingaben aus den Polizeibehörden des Bundes verlagert.
Zur Themenpalette Ihrer Arbeit zählt auch das Problem rechtsextremen Gedankenguts bei den Polizeien des Bundes. Von welcher Dimension sprechen wir da?
Uli Grötsch: Wir haben im Moment zwei Eingaben, die sich ganz konkret auf Rechtsextremismus beziehen. Mit ist aber wichtig, zu sagen, dass ich bei meinen Reisen durch die Polizeibehörden des Bundes ausnahmslos Polizeibeamtinnen und -beamte treffe, die sich Sorgen um das Thema machen, und die mit allem, was sie haben, für die freiheitlich demokratische Grundordnung stehen.
Sie hatten in den ersten Wochen Ihrer Amtszeit Sensibilität in den Polizeibehörden gegenüber diesem Thema angemahnt. Sehen Sie da ein Manko?
Uli Grötsch: Ich sehe kein Manko, sondern die Notwendigkeit. Wir sehen - auch zuletzt bei der Europawahl -, dass sich Europa teils stark nach rechts gewendet hat. Von dort kommt immer, wie die Geschichte zeigt, eine Gefahr für die Demokratie, und es müssen zuallererst Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sein, die die Demokratie verteidigen. Das ist in Deutschland so und das soll auch so bleiben.
Es gibt immer mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte, man denke nur an den Messerangriff in Mannheim, der einen Polizisten das Leben kostete. Inwieweit berührt diese Entwicklung Ihren Arbeitsbereich?
Uli Grötsch: Diese Entwicklung berührt meinen Arbeitsbereich jeden Tag. Ich bin sehr viel in den Polizeibehörden unterwegs und höre jeden Tag Berichte über übelste, teils sexualisierte Beleidigungen gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten; ich höre von massiv fehlendem Respekt gegenüber Polizeibeschäftigten. Dieses Thema halten auch die Bundesregierung und die Koalition im Bundestag ganz weit oben. Es verbindet alle demokratischen Akteure in diesem Land, dass es wichtig ist, sich in jeder Lebenslage mit Respekt zu begegnen, und dass man auch und gerade den Repräsentanten des Staates mit Respekt gegenübertritt. Und das sind nun mal in vielen Dingen zuallererst Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.
Sie sollen auch strukturelle Mängel, so vorhanden, aufdecken. Wie hat man sich das vorzustellen?
Uli Grötsch: Das kann auf zwei Wegen vonstattengehen: Zum einen durch Eingaben und Beschwerden, und davon habe ich schon jede Menge. Zum anderen auch durch eigene Wahrnehmungen, in erster Linie durch meine Besuche bei den Polizeibehörden. Es gibt eben trotz einer höchst professionell agierenden Polizei Verbesserungsbedarf, und daran arbeite ich - gemeinsam mit den Verantwortlichen in den Polizeibehörden und dem Parlament.
Nennen Sie ein Beispiel dafür?
Uli Grötsch: Das hat viel mit Personal- und Sachmittelausstattung zu tun, mit Arbeitsbedingungen, mit Arbeitsbelastung. Ein Beispiel: Die Bundesbereitschaftspolizei, die an manchen Stellen seit 2015 fortwährend die deutschen Binnengrenzen schützt, muss von dort aus, auch jetzt zur Europameisterschaft, quasi direkt zum Fußballstadion fahren, dann kurz nach Hause und wieder zurück an die Grenze - und das seit vielen Jahren. Das bringt einfach eine hohe Einsatzbelastung mit sich: ein großes Thema.
Kritiker sehen in der Einrichtung Ihres Amtes eine Art pauschales Misstrauensvotum gegenüber der Polizei. Was entgegnen Sie denen?
Uli Grötsch: Dass es genau das Gegenteil ist: Es ist ein Vertrauensvotum und die Gelegenheit für Polizeibeschäftigte, sich außerhalb des Dienstweges direkt an eine unabhängige Stelle wenden zu können. Also bei Weitem kein Misstrauensvotum oder Generalverdacht, sondern das Gegenteil.