Mehrheit im zweiten Wahlgang : Kretschmer erneut zum Ministerpräsidenten gewählt
Im zweiten Wahldurchgang ist Michael Kretschmer erneut zum Ministerpräsidenten in Sachsen gewählt worden. Er führt eine Minderheitsregierung mit der SPD an.
Ziemlich nervös wirkte Michael Kretschmer (CDU), während er im Plenarsaal des Dresdner Landtags auf das Abstimmungsergebnis wartete. Mit Keksen einer Kollegin wurde der Regierungschef versorgt und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Dann die Erlösung. Mit einer deutlichen Mehrheit von 69 der 120 Stimmen wurde Kretschmer am Mittwoch im zweiten Wahlgang wieder zum Ministerpräsidenten gewählt. Sichtlich erleichtert nahm der CDU-Politiker das Ergebnis auf.
In seiner Dankesrede wertete er die Wahl als Signal des Aufbruchs. "Wir können für Sachsen gestalten. Wir können diesem Land Sicherheit geben. Wir können eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen", sagte er und fügte hinzu, sein Wunsch sei eine Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg.
Der alte und neue Ministerpräsident legt den Amtseid ab. Kretschmer erhofft sich eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition.
Im ersten Wahlgang war er auf nur 55 Stimmen gekommen, 61 Stimmen wären für die absolute Mehrheit nötig gewesen. Bei der Wahl kandidierten neben Kretschmer auch AfD-Fraktionschef Jörg Urban sowie Matthias Berger von den Freien Wählern.
Kretschmer geht in seine dritte Amtszeit als Ministerpräsident
Es ist schon Kretschmers dritte Amtszeit. Der 49-jährige gebürtige Görlitzer hatte 2017 das Amt von Stanislaw Tillich (CDU) übernommen, der nach Wahlerfolgen der AfD in Sachsen zurückgetreten war. Der gelernte Büroinformationselektroniker und Diplom-Wirtschaftsingenieur saß zuvor 15 Jahre lang für die CDU im Bundestag. Auch Kretschmer konnte nicht verhindern, dass die CDU bei der Wahl 2019 von fast 40 auf 32,1 Prozent abstürzte.
Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen, die Kretschmer seit 2019 anführte, erreichte bei der Landtagswahl am 1. September 2024 keine Mehrheit mehr, auch wenn sich die CDU mit 31,9 Prozent vor der AfD mit 30,6 Prozent knapp als stärkste Kraft behaupten konnte.
Die Koalitionäre sind auf Unterstützung aus anderen Fraktionen angewiesen
Die CDU kommt damit nur noch auf 41 Abgeordnete, die SPD mit 7,3 Prozent auf zehn Sitze. Kretschmer hatte sich strikt für eine Regierung mit einer stabilen Mehrheit ausgesprochen. Er wolle keine "Thüringer Verhältnisse", hatte er mit Blick auf die Minderheitsregierung im Nachbarland betont. Doch nachdem das BSW aus den gemeinsamen Sondierungsgesprächen ausgestiegen war, verfügen die Koalitionäre über keine eigene Mehrheit mehr und sind mit zusammen 51 Abgeordneten auf Unterstützung aus anderen Fraktionen angewiesen. Es fehlen zehn Stimmen.
Das BSW ist nach 11,8 Prozent bei der Landtagswahl mit 15 Frauen und Männern im Sächsischen Landtag vertreten. Zweitstärkste Fraktion ist jedoch die AfD mit 40 Abgeordneten. Grüne und Linke kommen auf sieben beziehungsweise sechs Parlamentarier, die Freien Wähler auf einen.
Nervös berieten die Fraktionen bis kurz vor der Wahl des Ministerpräsidenten über ihre Strategie. So schien der Ausgang der Wahl zunächst völlig ungewiss. Erst am Tag zuvor hatten CDU und SPD ihren 110-seitigen Koalitionsvertrag unterzeichnet.
Verletzungen aus der Regierungszeit und im Wahlkampf
Die BSW-Fraktion hatte Kretschmer und dessen Herausforderer Matthias Berger noch einmal eingeladen und soll auf Zugeständnisse beim Thema Krieg und Frieden gedrungen haben. Keiner der beiden Kandidaten soll dabei völlig überzeugt haben, gab BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann später zu Protokoll. Den Abgeordneten ihrer Fraktion sei sodann das Abstimmverhalten freigestellt worden.
Wer dem Kabinett in Sachsen angehört
⚫️ Ministerpräsident: Michael Kretschmer (CDU)
⚫️ Leiter der Staatskanzlei: Andreas Handschuh (CDU)
🔴 Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz: Dirk Panter (SPD)
⚫️ Inneres: Armin Schuster (CDU)
🔴 Soziales, Gesundheit und Gesellschaftliche Zusammenarbeit: Petra Köpping (SPD)
⚫️ Finanzen: Christian Piwarz (CDU)
⚫️ Justiz: Constanze Geiert (CDU)
⚫️ Kultus: Conrad Clemens (CDU)
⚫️ Infrastruktur und Landesentwicklung: Regina Kraushaar (CDU)
⚫️ Wissenschaft: Sebastian Gemkow (CDU)
⚫️ Umwelt und Landwirtschaft: Georg-Ludwig von Breitenbuch (CDU)
⚫️ Kultur und Tourismus: Barbara Klepsch (CDU)
Zudem wirkten offensichtlich Verletzungen fort, die Kretschmer den Grünen während der Regierungszeit und im Wahlkampf zugefügt hatte. Immer wieder hatte er betont, dass er mit ihnen nicht weiter regieren wolle. Die Grünen empfanden es zudem als demütigend, dass er erst lange nach der Landtagswahl mit einem Gesprächsangebot bei ihnen anklopfte. Sie hielten Kretschmer zudem vor, auch mit der AfD gesprochen zu haben. Zumindest im ersten Wahlgang sollte es daher keine Grünen-Stimmen für Kretschmer geben. Ungewiss war zunächst das Stimmverhalten der Linken.
Die Grünen wollten auch mit Nein stimmen dürfen
Dass Kretschmer im ersten Wahlgang mit 55 Stimmen die absolute Mehrheit zunächst verfehlte, überraschte unter diesen Umständen nicht. AfD-Fraktionschef Urban kam auf 40 Stimmen, was der Zahl der AfD-Abgeordneten entsprach. Auf Berger entfielen sechs Stimmen. Er hatte für eine "Expertenregierung" unter Beteiligung aller Fraktionen geworben.
Vor der Wahl hatten die Grünen vergeblich beantragt, auf dem Stimmzettel auch die Möglichkeit für eine Nein-Stimme vorzusehen, damit Abgeordnete sämtliche Wahlvorschläge ablehnen könnten. Dem mochte jedoch die Mehrheit des Landtags nicht folgen.
Im zweiten Wahlgang trugen dann möglicherweise die Zusagen Kretschmers an Grüne, BSW und Linke Früchte, sie im Rahmen eines "Konsultationsmechanismus" bei Gesetzesvorhaben einzubinden. Möglicherweise hat aber auch die Furcht vor Winkelzügen der AfD-Fraktion zu dem guten Ergebnis Kretschmers einen Beitrag geleistet. "Wir wussten, dass die AfD den 'Kemmerich-Moment' versuchen wird", sagte Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert später in Anspielung auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich 2020 durch AfD-Stimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten. Die Fraktion habe deshalb entschieden, die Wahl eines demokratisch gewählten Regierungschefs "nicht zu verhindern".
AfD-Kandidat Urban erhielt im zweiten Wahlgang nur noch eine Stimme
Auch die Linken stimmten wohl für Kretschmer, damit "kein Chaos" entstehe, wie die Fraktionsvorsitzende Susann Schaper es formulierte. Tatsächlich entfiel auf Urban im zweiten Wahlgang nur noch eine Stimme, während Berger von den Freien Wählern 39 Stimmen auf sich vereinen konnte. Urban räumte später ein, dass die AfD-Fraktion den Konkurrenten Berger in der Hoffnung auf weitere Abweichler unterstützt habe.
Wie der von Kretschmer angekündigte Konsultationsmechanismus praktisch ausgestaltet werden soll, ist indes noch etwas unklar. Offensichtlich denkt er dabei an ein Verfahren jenseits von Parlamentsausschüssen.
Opposition will Zugeständnisse von der Koalition
Die anderen Fraktionen gaben jedoch noch am Wahltag zu verstehen, dass ihre Zustimmung zu Vorhaben der Regierung einen Preis haben werden. Das BSW sei jetzt in einer anderen Position als bei den Sondierungsgesprächen, machte Zimmermann klar. "Wir können mehr machen als in einer Koalition." Jetzt müssten CDU und SPD auf das BSW zukommen und verhandeln. "Wir sitzen am längeren Hebel." Für die Grünen stellte Schubert klar, dass der Konsultationsmechanismus auf Augenhöhe stattfinden müsse. Die Linke Schaper bekundete: "Wir sehen den Konsultationsmechanismus und die Minderheitsregierung als Chance." Dann könnten die Linken ihre Anliegen umsetzen, was 34 Jahre lang in Sachsen nicht möglich gewesen sei.
Schon einen Tag nach der Wahl Kretschmers kündigte die Fraktion eine Gesetzesinitiative an: Der Tag des Kriegsendes, der 8. Mai, solle als "Tag der Befreiung von Nationalsozialismus und Krieg" staatlicher Gedenk- und Trauertag werden.
Mehr zum Ausgang der Landtagswahlen in Ostdeutschland
Schon im ersten Wahlgang hat der Landtag in Erfurt den CDU-Politiker Mario Voigt zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt. Er setzt auf Verständigung.
In Brandenburg ist die bundesweit erste Landesregierung aus SPD und BSW nach einem Holperstart im Amt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wurde vereidigt.
Mit einer "Allianz der Tat" und einer neuen Art der Zusammenarbeit will Ministerpräsident Mario Voigt mit seiner Minderheitsregierung in Thüringen bestehen.
Kretschmer sieht den Konsultationsmechanismus als direkte Folge des Landtagswahlergebnisses an. Die erste große Aufgabe sei die Verabschiedung eines neuen Haushalts. Ein Knackpunkt bleibt der Umgang mit der AfD. Zwar haben die Koalitionäre eine Zusammenarbeit formal ausgeschlossen. Dennoch ist zumindest zeitweise eine Änderung im Ton hörbar. Es sei vereinbart worden, dass zusammen mit der AfD keine Suche nach Mehrheiten betrieben werde, betonte CDU-Fraktionschef Christian Hartmann. Und weiter: "Wir werden verantwortungsvolle Angebote machen, und andere werden sich genau überlegen müssen, ob sie diese Kompromisse mittragen."
Kretschmer sagte im MDR: "Wir werden mit jedem reden." Er sehe die große Chance für eine neue politische Kultur.