Brombeer-Koalition ohne eigene Mehrheit : Mario Voigt ist neuer Ministerpräsident in Thüringen
Schon im ersten Wahlgang hat der Landtag in Erfurt den CDU-Politiker Mario Voigt zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt. Er setzt auf Verständigung.
Der Freistaat Thüringen wird erstmals von einer Koalition aus CDU, SPD und BSW regiert. Der neue Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) wurde am Donnerstag im Erfurter Landtag in geheimer Abstimmung in das Spitzenamt gewählt. Schon im ersten Wahlgang erhielt der 47-jährige Politikwissenschaftler aus Jena die absolute Mehrheit, obgleich das neue Parteienbündnis keine eigene Mehrheit im Landtag hat, sondern nur auf 44 der insgesamt 88 Mandate kommt. Die CDU stellt im Landtag 23 Abgeordnete, das BSW 15 und die SPD sechs.
Für den bisherigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Voigt stimmten bei der Wahl zum Ministerpräsidenten 51 Abgeordnete, 33 votierten gegen ihn, vier Abgeordnete enthielten sich. Für die absolute Mehrheit waren 45 Stimmen nötig. Er erhielt also auch Stimmen aus der Opposition.
Dank an den bisherigen Regierungschef Ramelow
Voigt nahm die Wahl an und versicherte in seiner ersten Rede als Regierungschef, er wolle sich zuvorderst am Wohl des Landes orientieren. Er dankte den bisherigen Ministerpräsidenten des Freistaates, darunter auch ausdrücklich dem scheidenden Regierungschef Bodo Ramelow von der Linkspartei, der das Land durch „schwierige“ Zeiten geführt habe. Ramelow war zehn Jahre lang Ministerpräsident in Thüringen und führte seit März 2020 eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen.
Die überraschend geräuschlose Wahl des Ministerpräsidenten ist auf eine Vereinbarung mit der Linkspartei zurückzuführen, die der Koalition kurz vor der Abstimmung zugesagt hatte, für Voigt zu stimmen, um die politische Pattsituation im Parlament aufzuheben. "Die AfD darf keine Bühne bekommen", begründete der Thüringer Linksfraktionschef Christian Schaft die Entscheidung. Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft. Eine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD schlossen alle anderen Parteien aus.
Chaos bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments
Schon bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments Ende September hatte es unter der Leitung des AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler tumultartige Szenen und Chaos im Plenarsaal gegeben. Hintergrund war ein Streit über die Geschäftsordnung. Die Sitzung musste unterbrochen werden. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof verkündete später, dass Treutler seine Kompetenzen in der ersten Landtagssitzung überschritten und die Rechte der Abgeordneten verletzt habe.
Die AfD hatte am 1. September in Thüringen einen historischen Wahlerfolg errungen und wurde erstmals bei einer Landtagswahl stärkste politische Kraft. Die AfD erreichte mit ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke 32,8 Prozent der Zweitstimmen und damit im Landtag eine Sperrminorität. Die CDU kam auf 23,6 Prozent der Stimmen.
Ungute Erinnerungen an die Wahl von Kemmerich
Das BSW erzielte bei der Wahl 15,8 Prozent der Stimmen, die Linke stürzte hingegen auf 13,1 Prozent ab (2019: 31 Prozent). Die SPD kam auf 6,1 Prozent. Grüne und FDP blieben mit 3,2 beziehungsweise 1,1 Prozent klar unter der Fünf-Prozent-Hürde und sind im neuen Erfurter Landtag nicht mehr vertreten.
Die kurzfristige Vereinbarung mit der Linken sollte auch ein politisches Fiasko wie im Jahr 2020 verhindern, als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich durch AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, nach heftiger Kritik von verschiedenen Seiten wenige Tage später jedoch von dem Amt zurücktrat. Die Linke knüpfte ihre Unterstützung jedoch an Bedingungen.
Regeln der Fraktionen im Umgang mit Abstimmungen
So sollen Regeln aufgestellt werden im Umgang der vier Fraktionen mit Abstimmungen. Zudem soll eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sein. Voigt sprach von einem "Pflichtenheft". Die in der Nacht zu Donnerstag getroffene Vereinbarung soll für die gesamte Legislaturperiode gelten. Für die CDU gilt eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken.
Voigt ist schon seit 2009 Mitglied im Thüringer Landtag. Er hat sich in der Bildungspolitik engagiert sowie im Haushalts- und Finanzausschuss. Seit 2022 ist er auch Landesvorsitzender der CDU in Thüringen und hat mit BSW und SPD den Koalitionsvertrag ausgehandelt.
Streitfragen über Krieg und Frieden begleiteten die Koalitionsverhandlungen
Die Verhandlungen waren begleitet von Streitfragen über Krieg und Frieden und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Die BSW-Spitze hatte gefordert, dass das Bekenntnis zum Frieden eine prägende Rolle auch in der Landespolitik spielen müsse. Die Friedenspolitik hat nun Einzug gefunden in die Präambel des Koalitionsvertrags.
In seiner Antrittsrede kündigte Voigt eine auf Verständigung und Respekt angelegte Politik an. In Anspielung auf seine erfolgreiche Wahl als Ministerpräsident gleich im ersten Wahlgang sprach er von einem „Geist der Zusammenarbeit“ und einer „neuen politischen Kultur".
Voigt benennt sechs Themenschwerpunkte für die Arbeit
Die Koalition wolle sich von einem menschlichen Umgang leiten lassen, um das Beste für Thüringen zu erreichen. Voigt kündigte sechs Schwerpunkte für die Arbeit der Koalition an: Bildung, Wirtschaft, Gesundheit, Migration, Kommunalstrukturen und Digitales und lud alle Interessierten ein, daran mitzuwirken. Er betonte: „Wir sind nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der Tüftler und Bastler.“
Mehr zu den Landtagswahlen lesen
In Brandenburg ist die bundesweit erste Landesregierung aus SPD und BSW nach einem Holperstart im Amt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wurde vereidigt.
Die konstituierende Sitzung endete mit einem Eklat. Nun muss das Verfassungsgericht entscheiden, wie es weitergeht. Die AfD hat aber künftig noch ein Druckmittel.
Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen stehen schwierige Regierungsbildungen an. Mit der starken AfD will niemand ein Bündnis eingehen.