Piwik Webtracking Image

Gastkommentare : Braucht Deutschland Schutz durch einen US-Raketenschirm?

Braucht Deutschland gegen Bedrohungen Russlands den Schutz durch neue Mittelstreckenraketen der USA? Julia Weigelt und Stephan Hebel im Pro und Contra.

29.10.2024
True 2024-10-31T17:33:42.3600Z
3 Min

Pro

Richtig entschieden, aber mies erklärt

Foto: Inga Sommer
Julia Weigelt
arbeitet als freie Journalistin.
Foto: Inga Sommer

Die geplante Stationierung der US-Raketen in Deutschland ist wichtig, um sich im Fall eines russischen Angriffs verteidigen zu können. Und um zu zeigen, dass ein solcher Angriff große Verluste mit sich bringen würde. Doch politisch Verantwortliche dürfen nicht nur wichtige Entscheidungen treffen, sie dürfen diese auch emotional kompetent kommunizieren. Denn Sicherheit kann zwar objektiv gemessen werden, ist zugleich aber ein zutiefst subjektives Gefühl. Grundlage dafür ist Vertrauen, dass Interessen, Werte und Bedürfnisse verstanden und ernst genommen werden. Dass dieses Vertrauen bei der katastrophalen Kommunikation der Bundesregierung nicht entstand, ist - nun ja - "no rocket science". Wer die Pläne am Rande eines Nato-Gipfels unter ferner liefen verkündet, darf sich nicht wundern, dass Teile der Bevölkerung sich fragen: Weiß diese Regierung nicht, wie wichtig das ist?

Vier Millionen Euro kostet eine einzige SM-6-Rakete. So viel wie die jährlichen Kosten von 500 Kindergartenplätzen, 4.000 Stellen im Bundesfreiwilligendienst oder 30.000 Stunden Psychotherapie. Es wird schwer, unsere soziale Sicherheit und den Schutz unserer körperlichen Sicherheit in den nächsten Jahren zusammenzubringen. Davon hätte Olaf Scholz reden können. Er könnte die Sehnsucht nach Frieden thematisieren. Oder dass er das Verhältnis zu Russland gar weiterentwickeln will, auf Augenhöhe mit einer großen Nation.

Doch da sind wir gerade nicht. Bis die Zeit der Zusammenarbeit wieder kommen kann, brauchen wir Schutz. "Do no harm and take no shit" - "Tu niemandem weh und lass dir keinen Mist gefallen", habe ich neulich gelesen. Derzeit sind wir in der "Take no shit"-Phase. Dass sie möglichst schnell vorbeigehen wird, daran setzt diese Bundesregierung hoffentlich alles. Künftig darf sie es auch mit der nötigen emotionalen Kompetenz kommunizieren. 

Contra

Darüber ist noch zu streiten

Foto: Alex Kraus
Stephan Hebel
ist freier Journalist.
Foto: Alex Kraus

Es gehört leider zu den Begleiterscheinungen einer Mediendemokratie, dass Debatten über komplexe Themen oft auf vereinfachende Parolen reduziert werden. Die Diskussion über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stellt dafür ein Beispiel dar, sowohl in der Sache als auch in der Form. Am 10. Oktober hat der Bundestag über Anträge der Linken und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) zu diesem Thema debattiert - das Protokoll verzeichnet eine geplante Beratungsdauer von 26 Minuten, nicht einmal einer halben Stunde. Auch wer die Anträge vor dem Hintergrund eines teils verharmlosenden Umgangs mit dem Putin-Regime vor allem durch das BSW liest, wird in den Texten selbst nichts anderes finden als Kritik an der geplanten Stationierung selbst und an der fehlenden Einbeziehung des Bundestages durch die Regierung.

Es ist bedauerlich, dass die anderen Parteien die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser weitreichenden Rüstungsentscheidung den zwei kleinsten Oppositionskräften überlassen, statt sie - unter Beibehaltung einer harten Haltung gegenüber Moskau - kontrovers zu diskutieren. Tatsächlich sind die Zweifel an der militärischen "Fähigkeitslücke", auf die die Befürworter sich berufen, nicht mit Allgemeinplätzen aus der Welt zu schaffen. Auf die Lehre aus der Geschichte hinzuweisen, dass Freiheit und Demokratie verteidigt werden müssen (wie in der Debatte geschehen), genügt nicht, denn das würde in dieser allgemeinen Form niemand bestreiten. Die Frage ist vielmehr, welche Mittel dafür angemessen sind. Und die Kritik, dass die Stationierungsentscheidung nicht einmal (wie beim Nato-Doppelbeschluss von 1979) mit einem Ansatz für Verhandlungen verbunden ist, lässt sich so schon gar nicht entkräften.

Schon der Debattenkultur zuliebe wäre zu wünschen, dass die Bundesregierung eine solch schwerwiegende Entscheidung in Parlament und Gesellschaft zur ergebnisoffenen Diskussion stellt - und damit im Zweifel auch zur Disposition.

Mehr zum Thema

Olaf Scholz vor einer NATO-Flagge
US-Raketen in Deutschland: Nötiger Schutz oder neuer Kalter Krieg?
In Deutschland sollen US-Marschflugkörper stationiert werden. Für Kritiker ist es der Start in ein neues Wettrüsten.
Anträge von Linken und BSW: Bundestag streitet über Stationierung von US-Mittelstreckenraketen
Linke und BSW wollen eine neue Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland verhindern. Das BSW verlangt vorher eine Volksbefragung.
Kai Whittaker steht im Paul-Löbe-Haus
Parlamentarisches Profil: Der Abwägende: Kai Whittaker
Kai Whittaker ist ein überzeugter Transatlantiker. Doch er ärgert sich, dass Europa bei der Sicherheitspolitik nicht auf eigenen Beinen steht.