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Gastkommentare : Liegt ein zu starker Fokus auf Migration? Ein Pro und Contra

Steht die Migrationspolitik zu sehr im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte? Kerstin Münstermann findet das nicht, Anja Krüger hält andere Themen für viel wichtiger.

17.10.2024
True 2024-10-18T16:49:26.7200Z
3 Min

Pro

Die unverhältnismäßige Fokussierung verstellt den Blick

Foto: Pascal Beucker
Anja Krüger
schreibt für "die tageszeitung" in Berlin.
Foto: Pascal Beucker

Die Politik konzentriert sich viel zu stark auf den Themenkomplex Flucht, Asyl und Migration. Die Folge ist eine verzerrte Wahrnehmung vieler Menschen von den Verhältnissen in Deutschland. Die Debatte über Migration ist aus den Fugen geraten. Viel zu oft werden Ressentiments gegen Menschen, die keine deutschen Wurzeln haben, und rassistische Narrative bedient, Ängste geschürt. Probleme, die tatsächlich mit Migration in Zusammenhang stehen oder von Bürgern so wahrgenommen werden, müssen sachlich benannt, nüchtern diskutiert und gelöst werden.

Das Sicherheitspaket der Bundesregierung ist kein Ausdruck davon, im Gegenteil. Es spiegelt nur die überhitzte Diskussion. Neben Sinnvollem wie der Ausweitung von Messerverboten hat es hochproblematische Elemente, etwa Befugnisse der Sicherheitsbehörden für die biometrische Massenüberwachung. Und wer glaubt, mit Leistungskürzungen für Flüchtlinge etwas gegen islamistischen Terror auszurichten, verkennt die Lage.

Die unverhältnismäßige Fokussierung auf das Thema Migration verstellt den Blick auf die Missstände, die die meisten Bundesbürger unmittelbar betreffen. Nur ein Beispiel: Deutschland wird 2024 das zweite Jahr in Folge in einer Rezession sein. Viele Menschen haben Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und fürchten unabhängig vom aktuellen Konjunkturtief, dass sie zu den Verlierern des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft gehören werden. Doch das findet in der politischen Debatte viel zu wenig Beachtung. Dabei wäre eine produktive Kontroverse darüber wichtig, wie es wirtschaftlich weitergeht und wie die Folgen des Klimawandels abgefedert werden können. Die Klimakrise ist ein echtes großes Sicherheitsrisiko.

Contra

Es ist gut so, dass die Debatte über irreguläre Migration nun wieder in Gang gekommen ist

Foto: RP/Andreas Krebs
Kerstin Münstermann
schreibt für die "Rheinische Post" in Düsseldorf.
Foto: RP/Andreas Krebs

Die Debatte um das Sicherheitspaket der Ampel-Koalition bringt die Debatte über irreguläre Migration wie unter einem Brennglas zurück. Gut so. Denn das Thema Migration ist seit 2015 nicht wirklich angegangen worden. Man war irgendwann einfach nur froh, dass sich die Situation aufgelöst zu haben schien. Hat sie nicht. Richtig, es gibt nicht die eine "Zaubermaßnahme", die der irregulären Migration ins Land plötzlich einen Riegel vorschiebt. Aber erstaunlich und gut für die öffentliche Debatte ist es, dass das Land das Thema diskutiert. Den Schaum vor dem Mund wird man in keinem politischen Lager so ganz wegbekommen. Und dennoch: Den einen eine anti-humanitäre und amoralische Haltung vorzuwerfen, weil man den nicht kontrollierten Zuzug nach Deutschland kritisch sieht, ist ebenso falsch, wie die Befürworter leichterer Aufnahmeregelungen nur für verblendete Ideologen zu halten.

Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" musste angepasst werden. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hat neue Fakten geschaffen; mit mehr als einer Million Kriegsflüchtlingen in Deutschland konnte niemand rechnen. Dies zu unterschlagen ist fahrlässig. Die Kommunen sind in Teilen überlastet. Wer das negiert, sollte sich in Flüchtlingsunterkünften, Kitas und Schulen vor Ort ein Bild machen. Eine Begrenzung der Migration ist daher auch im Sinne derer, die bereits hier sind und teils unter menschenunwürdigen Bedingungen darauf warten, dass sich irgendetwas bei den Behörden tut. Migration beschäftigt Gesellschaften und beeinflusst Wahlentscheidungen. Hierzulande, im europäischen Ausland, in den USA. Darüber nicht offen zu sprechen, wäre ein großer Fehler.

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