Debatte um Flüchtlingspolitik : Migration im Dauerstreit
Der Kanzler verteidigt die Asylpolitik der Ampel gegen heftige Oppositionskritik. Die Union sieht Vereinbarungen mit den Ländern nicht umgesetzt.
Es war der AfD-Mann Gottfried Curio, der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei dessen Befragung durch den Bundestag am vergangenen Mittwoch die Gelegenheit gab, auf einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu antworten, über den das Parlament erst am Freitag debattierte. Schon dessen Titel adressierte eine implizite Schuldzuweisung an den Kanzler: "Länder und Kommunen in der Migrationskrise nicht im Stich lassen - Bund muss Vereinbarungen mit den Ländern umsetzen" lautete die Überschrift.
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Ihr folgten nicht nur umfangreiche Forderungen zur Migrationspolitik, sondern auch heftige Vorwürfe gegenüber Scholz und seiner Regierung: Vor dem Bundestag habe der Kanzler Ende Januar behauptet, dass alle migrationspolitischen Vereinbarungen seines mit dem Regierungschefs der 16 Bundesländer gefassten Beschlusses vom November 2023 umgesetzt seien, heißt es in der Unions-Vorlage. Dies sei jedoch unzutreffend: "Im Gegenteil haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien unmittelbar nach Abschluss dieser Vereinbarungen damit begonnen, die Beschlüsse mit den Ländern aktiv zu hintertreiben".
AfD beklagt "Überlastung Deutschlands"
Als Beispiele dafür nennt der Antrag etwa "die Vereinbarung, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht ausgeweitet wird". Nur fünf Tage später habe sich der SPD-Bundesparteitag darauf festgelegt, diesen Familiennachzug auszuweiten, kritisierte die Unions-Fraktion. Und die von der Regierung versprochenen Gesetzesanpassungen zur Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber seien erstmal von den Grünen blockiert worden.
Curio gingen die Beschlüsse des Kanzlers mit der Ministerpräsidentenkonferenz ohnedies nicht weit genug. "Nach zwei Monaten dieses Jahres haben wir wieder fast 50.000 Asylbewerber; macht im Jahr 300.000", sagte er am Mittwoch bei der Befragung des Kanzlers. Dabei sei Deutschland längst über der Belastungsgrenze, doch habe es auf der Ministerpräsidentenkonferenz wieder kein Umsteuern in der Migrationspolitik gegeben, fügte Curio hinzu und fragte Scholz: "Wieso tun Sie nichts gegen die Überlastung Deutschlands?"
Für den ging Curios Rede "ins Leere". Auf seinen drei Zusammenkünften mit den Länder-Chefs habe man "weitreichende Vereinbarungen getroffen", die vom Bundestag genauso wie von der Bundesregierung fast alle schon auf den Weg gebracht und umgesetzt seien und bei denen auch die Länder ihre entsprechenden Pakete übernommen hätten, sagte er. Die Umsetzung dieser Maßnahmen solle dazu beitragen, dass man alles mache, was vernünftigerweise beim Management der irregulären Migration gemacht werden müsse. Dazu seien "die weitreichendsten Veränderungen seit 20, 25 Jahren" auf den Weg gebracht worden. "Wir tun das, was richtig ist", sagte der Kanzler, "aber wir erhalten gleichzeitig die Offenheit unserer Gesellschaft für die Zukunftsfähigkeit, die wir brauchen, damit unsere Wirtschaft wachsen kann, damit die Renten sicher sind und der Sozialstaat funktioniert".
Scharfe Kontroverse um Unions-Antrag
Bei der Debatte über den CDU/CSU-Antrag kam es dann im Hohen Haus am Freitag im Dauerstreit um die deutsche Migrationspolitik zu der erwartet scharfen Kontroverse. In der Vorlage, die mit den Stimmen der Koalition sowie der Gruppe Die Linke abgelehnt wurde, forderte die Union die Bundesregierung unter anderem auf, weitere Migrationsabkommen "auf höchster Ebene intensiv voranzutreiben, damit die Herkunftsländer bei der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen besser kooperieren".
Alexander Throm (CDU) warf Scholz in der Aussprache vor, die Öffentlichkeit "mit großen Worten" täuschen zu wollen. Die Aussage des Kanzlers vom 31. Januar, dass "alle Fragen mit den Ländern abgearbeitet" seien, sei bis heute falsch. So werde etwa die Bundesregelung zur Bezahlkarte für Asylbewerber von den Grünen blockiert, und in der "Frage der sicheren Drittstaaten-Lösung" habe die Koalition gar nichts geliefert.
SPD: Migrationspolitik der Union weit weg von Merkels "Wir schaffen das"
Helge Lindh (SPD) hielt der Union im Gegenzug eine "Politik der Scheinheiligkeit" vor. So wende sie sich gegen das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen, obwohl sie immer erklärt habe, besonders schutzbedürftige Menschen stünden im Zentrum ihres Fokus. Mittlerweile sei die Migrationspolitik der Union "ganz weit weg" vom "Wir schaffen das" der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Jahr 2015.
Christian Wirth (AfD) sagte, die Einhaltung der Bund-Länder-Beschlüsse sollte selbstverständlich sein, scheitere aber etwa bei der Bezahlkarte wieder an den Grünen. Der Antrag der Union sei allerdings eine "Dokumentation ihres Scheiterns seit 2015". Notwendig sei, die Migration "auf Null" zurückzuführen.
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Marcel Emmerich (Grüne) entgegnete, die Koalition habe mit einem "ganzen Bündel von Maßnahmen auf die Migrationslage reagiert". Dabei seien die Beschlüsse von Scholz und der Ministerpräsidentenkonferenz "fast vollständig" umgesetzt. Für Teile seiner Partei bedeute der Maßnahmenkatalog eine Zumutung, doch trage sie den dahinter stehenden Kompromiss "in Verantwortung für unser Land" mit.
Ann-Veruschka Jurisch (FDP) wertete den CDU/CSU-Antrag als "heiße Luft". Mit solchen "blutleeren, abgelutschten Forderungen" funktioniere Migrationspolitik nicht, fügte sie hinzu.