Das Amt des Bundespräsidenten : Repräsentant mit "Reservefunktion"
Der Bundespräsident verkörpert die Einheit des Staates. Er wirkt vor allem durch die "Kraft des Wortes", doch seine Kompetenzen reichen weiter.
Fast zwei Monate waren schon seit der Bundestagswahl vom September 2017 vergangen, als FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht zum 20. November die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und Grünen über die Bildung einer Jamaika-Koalition für gescheitert erklärte. Die Überraschung war groß, die Ratlosigkeit nicht minder. Wie weiter? Die Republik brauchte eine Regierung, doch hatte die bislang mit der Union regierenden SPD nach ihrer verheerenden Wahlniederlage einer Neuauflage der großen Koalition eine strikte Absage erteilt, andere Konstellationen kamen erst recht nicht in Betracht. Schon war von Neuwahlen die Rede, über eine Minderheitsregierung der Union wurde spekuliert. Da nahm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, erst seit März im Amt, das Heft in die Hand, erinnerte die Parlamentarier an ihre Verpflichtung zum Gemeinwohl und führte intensive Gespräche mit Partei- und Fraktionschefs. Am Ende einigten sich Union und SPD doch auf eine Fortführung der bisherigen Koalition, und Mitte März 2018 konnte der Bundespräsident erneut Angela Merkel (CDU) zur Kanzlerin ernennen.
Vor allem repräsentative Befugnisse
Selten führte ein Bundespräsident so deutlich vor Augen, wie sehr es auf die Person an der Staatsspitze ankommen kann. Dabei ist das protokollarisch höchste der fünf ständigen Verfassungsorgane - dazu zählen auch Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht - mit vergleichsweise beschränkten, überwiegend repräsentativen Befugnissen versehen, reale Machtmittel sind rar in dem Amt.
Frank-Walter Steinmeier, geboren 1956 in Detmold, ist Jurist. Der ehemalige Bundesminister des Auswärtigen wurde im Jahr 2017 zum 12. Bundespräsidenten gewählt. Am 13. Februar 2022 steht er für eine zweite Amtszeit zur Wahl.
Das liegt nicht zuletzt an den Erfahrungen der Weimarer Republik, deren Verfassung dem Reichspräsidenten eine starke Stellung zuwies. Direkt vom Volk gewählt, stellte er ein Gegengewicht zum Reichstag dar, den er jederzeit auflösen konnte und auch nicht bei der Ernennung oder Entlassung des Kanzlers und seiner Minister beteiligen musste. Mit sogenannten Notverordnungen war ihm eine "Ersatzgesetzgebung" möglich, was für den Ausnahmezustand gedacht war, aber vor allem nach 1930 in Anspruch genommen wurde und seinen traurigen Höhepunkt in der "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933 fand, die die Bürgerrechte schleifte und den Weg in die NS-Diktatur ebnete.
Bundespräsidenten-Amt weist eine Art "Reservefunktion" auf
Angesichts solcher Lehren wurde das Amt des Bundespräsidenten mit deutlich beschränkteren Kompetenzen ausgestattet. Dabei ist er "nach der Ausgestaltung seines Amtes" keiner der drei klassischen Staatsgewalten - also Exekutive, Legislative und Judikative - zuzuordnen, wie das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2014 festhielt. Er ist das Staatsoberhaupt und "verkörpert die Einheit des Staates", heißt es darin weiter. "Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist", konstatierten die Karlsruher Richter. Über die dem Präsidenten von der Verfassung zugewiesenen Befugnisse hinaus kommen ihm laut Urteil "vor allem allgemeine Repräsentations- und Integrationsaufgaben zu". Da ihm aber im Krisenfall auch "politische Leitentscheidungen" zustehen, weist das Amt daneben eine Art "Reservefunktion" auf.
Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten sind zum Teil im Grundgesetz festgeschrieben oder im einfachen Recht, zum Teil haben sie sich durch ständige Übung entwickelt. Zur Repräsentationsfunktion gehört die völkerrechtliche Vertretung des Bundes nach außen; er schließt in dessen Namen die Verträge mit anderen Staaten, beglaubigt die diplomatischen Vertreter Deutschlands und nimmt die Beglaubigungsschreiben der ausländischen Diplomaten entgegen. In der Praxis bevollmächtigt er ein Regierungsmitglied zur Abgabe völkerrechtlich verbindlicher Erklärungen. Zudem repräsentiert er die Bundesrepublik nach innen und außen etwa durch Reden, Visiten in Ländern und Kommunen, Staatsbesuche im Ausland und den Empfang von Staatsgästen. Dabei wirkt er vor allem mit der vielzitierten "Kraft des Wortes", wobei er sich in der Regel mit Stellungnahmen zu parteipolitisch umstrittenen Fragen der Tagespolitik zurückhält.
Ferner schlägt der Präsident dem Bundestag den Kanzler zur Wahl vor und ernennt den Gewählten. Auf dessen Vorschlag hin ernennt oder entlässt er auch die Bundesminister. Auch die Bundesrichter, Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffiziere ernennt der Präsident, wobei dies zum Teil anderen Behörden übertragen ist.
Rolle im Gesetzgebungsverfahren
Im Gesetzgebungsverfahren werden die Bundesgesetze vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet, nachdem er geprüft hat, ob sie nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen sind. "Nach der Staatspraxis und der herrschenden Meinung umfasst dieses Prüfungsrecht sowohl formelle Gesichtspunkte (Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften) als auch materielle Fragen (Grundrechte, Staatszielbestimmungen, Staatsorganisationsrecht)", heißt es dazu auf der Webseite des Staatsoberhauptes. Acht Mal hat bislang ein Bundespräsident die Ausfertigung eines Gesetzes abgelehnt, zuletzt im Jahr 2006 Horst Köhler bei zwei Vorlagen zu Neuregelungen der Flugsicherung sowie des Verbraucherinformationsrechts.
Die Reservefunktion zeigt sich in den besonderen Befugnissen, die das Grundgesetz dem Präsidenten für Ausnahmefälle zuweist. Findet bei einer Kanzlerwahl kein Bewerber die absolute Mehrheit, hat der Bundespräsident einen mit einfacher Mehrheit gewählten Kandidaten zu ernennen oder das Parlament aufzulösen. Auch kann er den Bundestag auf Antrag des Kanzlers auflösen, wenn dessen Vertrauensfrage im Parlament keine Mehrheit findet. Löst der Präsident in diesem Fall den Bundestag nicht auf, kann er "auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates für eine Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand erklären, wenn der Bundestag sie ablehnt, obwohl die Regierung sie als dringlich bezeichnet hat". Das Gleiche gilt, wenn eine Gesetzesvorlage abgelehnt worden ist, obwohl der Kanzler mit ihr die Vertrauensfrage verband. Nach Erklärung des Gesetzgebungsnotstands gilt das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen trotz Ablehnung durch den Bundestag als zustande gekommen.
Ausübung des Begnadigungsrechts gehört ebenfalls zu Kompetenzen
Zu den weiteren Kompetenzen des Staatsoberhauptes zählt laut Verfassung auch, für den Bund das Begnadigungsrecht auszuüben. In einfachen Gesetzen geregelt ist beispielsweise seine Zuständigkeit, den Tag der Bundestagswahl zu bestimmen; zu den ungeschriebenen Kompetenzen gehört etwa die Verleihung von Orden des Bundes.
Der Bundestag lehnt eine Direktwahl des Staatsoberhauptes ab. Schon der Parlamentarische Rat wollte keinen "plebiszitären Präsidenten".
Mit 1.472 Mitgliedern größer denn je, tagt das Verfassungsorgan am 13. Februar Corona-bedingt im Paul-Löbe-Haus in Berlin.
Mal absehbar, mal spannend: ein Streifzug durch 16 Bundesversammlungen. Kandidatinnen standen stets auf verlorenem Posten.
Zum Bundespräsidenten gewählt werden kann jeder wahlberechtigte Deutsche, der 40 Jahre oder älter ist. Der Regierung oder dem Bundestag beziehungsweise einem Landtag darf das Staatsoberhaupt nicht angehören, auch nicht der Leitung oder dem Aufsichtsrat eines Unternehmens; ebenso darf er kein besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben. Die Amtsdauer beträgt fünf Jahre, eine Wiederwahl ist einmal zulässig. Ein vorzeitiges Ende finden kann die Amtszeit des Bundespräsidenten etwa durch den Rücktritt des Amtsinhabers oder ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dem eine Präsidentenanklage durch Bundestag oder Bundesrat vorhergeht. Zu Letzterem ist es freilich bislang noch nie gekommen.