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Landtagswahl in Brandenburg : SPD-Regierungschef Woidke setzt alles auf eine Karte

Noch-Ministerpräsident Dietmar Woidke will die AfD bei der Landtagswahl am 22. September in die Schranken weisen. Umfragen sehen die rechte Partei aber vorne.

12.09.2024
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6 Min

Brandenburgs SPD spricht gar nicht erst von einem Wahlprogramm. Mit "Regierungsprogramm" hat sie das 50-Seiten-Angebot an die rund 2,1 Millionen wahlberechtigten Brandenburgerinnen und Brandenburger überschrieben, die am 22. September über die Zusammensetzung des neuen Landtags in Potsdam bestimmen. Die Wähler werden entscheiden, ob im Land Brandenburg erstmals seit der Wende die rote Bastion im Osten, die letzte Herzkammer der SPD, fällt und womöglich, wie in Thüringen, die AfD stärkste Kraft wird.

Brandenburg ist das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem seit 1990 durchgehend die SPD mit verschiedenen Partnern regiert und die Sozialdemokraten stets den Ministerpräsidenten stellten. Erst Manfred Stolpe, dann Matthias Platzeck und seit elf Jahren Dietmar Woidke. Auf den 62-jährigen Agraringenieur aus Forst in der Lausitz, der es vor fünf Jahren geschafft hat, den schlechten Umfragetrend zu drehen und die AfD auf Platz zwei zu verweisen, kaprizieren sich erneut alle Hoffnungen seiner Partei. "Wer Woidke will, wählt SPD", plakatiert die selbsternannte "Brandenburg-Partei", die in den Nachwendejahren teils absolute Mehrheiten erringen konnte.

Ausgangslage für Woidke ist nach Wahlen in Sachsen und Thüringen noch schlechter

Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen, bei denen die sozialdemokratische Kanzlerpartei auf 7,3 und 6,1 Prozent abschmierte, ist es für Woidke noch schwieriger geworden. Er setzt alles auf eine Karte. "Wenn die AfD auf Platz eins landet, kann ich als Ministerpräsident nicht weitermachen", betonte er Anfang September erneut im Interview mit dem "Tagesspiegel". Auch wenn klar ist, dass die AfD bei einem Wahlsieg nicht regieren könnte, weil alle anderen Parteien die Zusammenarbeit ablehnen.

Foto: picture alliance/dpa

Die Sozialdemokraten setzen im Wahlkampf vor allem auf ihren Ministerpräsidenten Dietmar Woidke, doch die AfD liegt in Umfragen vorn.

Bei Prognosen liegt die AfD, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet und deren Spitzenkandidat Hans-Christoph Bernd als Rechtsextremist eingestuft wird, seit einem Jahr stets vorne. In einer nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen erhobenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des ARD-Politikmagazins "Kontraste" legte die AfD im Vergleich zur vorherigen Umfrage im Juli zu und liegt mit 27 Prozent weiter auf Platz eins.

Mit mehr Personalisierung gegen den Rechtsruck

Die Sozialdemokraten haben sich zwar ebenfalls um vier Prozentpunkte auf 23 Prozent verbessert, können aber ihren Abstand zur AfD nicht verringern - und setzen im Endspurt nun noch mehr auf Personalisierung gegen den Rechtsruck. Mit der am Dienstag vorgestellten Digitalplakatkampagne "Wenn Glatze, dann Woidke", die auf den Glatzkopf des Regierungschefs anspielt, sollen vor allem jüngere Wähler angesprochen werden.

Lagen im Juli SPD und CDU noch gleichauf auf Platz zwei, scheinen die Chancen für Woidkes CDU-Herausforderer Jan Redmann zu sinken. Der märkische Partei- und Fraktionschef will der erste CDU-Ministerpräsident Brandenburgs werden. Auch die CDU, derzeit mit SPD und Grünen in einer sogenannten Kenia-Koalition, nennt ihr Angebot an die Wähler entsprechend "Regierungsprogramm". Der Titel: "Dein Land kann's besser."

Betrunken gefahren: CDU-Spitzenkandidat Redmann sorgte für Schlagzeilen

Während Woidke der bekannteste Politiker im Land ist, konnten in der Juli-Umfrage nur 32 Prozent der Befragten mit dem Namen Jan Redmann etwas anfangen. Das dürfte sich geändert haben, nachdem Redmann bundesweit Schlagzeilen machte: Der 44 Jahre alte Jurist aus Wittstock gestand ein, mit 1,3 Promille auf dem E-Roller von der Polizei in Potsdam gestoppt worden zu sein. Das unfreiwillige Aufeinandertreffen hat die Zustimmung zur CDU nicht gesteigert: Die Partei hat einen Punkt verloren und kommt jetzt auf 18 Prozent.

Die Landtagswahl in Brandenburg auf einen Blick

📅 Am 22. September 2024 wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Circa 2,1 Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger ab 16 Jahren sind zur Wahl aufgerufen.

👩‍💼 👨‍💼  Im Landtag von Brandenburg sind aktuell 88 Abgeordnete vertreten. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.

🗳️ Abgestimmt wird mit Erst- (Wahlkreis) und Zweitstimme (Liste). Überhangs- und Ausgleichsmandate sind möglich. 



Die Union erklärt die Brandenburg-Abstimmung nun zur Schicksalswahl der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP im Bund. Wenn der Beitrag der Wähler groß genug ausfalle, dann "brennt am 23. September - am Tag danach - das Haus der Ampel auf allen drei Etagen", sagte CDU-Parteichef Friedrich Merz bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg an der Havel wenige Tage nach dem Votum in Sachsen und Thüringen.

Vor allem die SPD, aber auch Bündnis 90/Die Grünen leiden in Brandenburg unter dem schlechten Ruf der Ampel, der sich in Brandenburg personalisiert: Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) leben in Potsdam. Die Grünen drohen nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung aus dem Landtag zu fliegen. Die am 5. September veröffentlichte Infratest-Umfrage sah die Umweltpartei bei fünf Prozent. Während Woidke bewusst auf Distanz zu Scholz geht, auf gemeinsame Auftritte verzichtet, setzen die Grünen unbeirrt auf ihre Bundesprominenz. Neben Baerbock zeigen sich Wirtschaftsminister Robert Habeck und Parteichefin Ricarda Lang im Wahlkampf mit dem wenig bekannten Grünen-Spitzenkandidatenduo, Sozial-Staatssekretärin Antje Töpfer und Landtagsfraktionschef Benjamin Raschke.

Weder SPD noch CDU schließen eine Zusammenarbeit mit dem BSW aus

Auch für die Linke, die von 2009 bis 2019 mit der SPD regierte, wird es eng. Infratest sieht die Partei nur noch bei vier Prozent. BVB/Freie Wähler liegen bei drei Prozent und hoffen, über ein Direktmandat im Landtag zu bleiben. Und die FDP, in Brandenburg seit zehn Jahren nicht mehr im Parlament, wird in Umfragen schon gar nicht mehr gesondert ausgewiesen.


„Die Bevölkerung hat das Gefühl, es sei etwas im Wanken, im Umbruch.“
Martina Weyrauch, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung

Viertstärkste Kraft und damit womöglich Königsmacher wäre das auf Landesebene erst im Juni gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das bei 16 Prozent liegt. Weder SPD noch CDU schließen eine Zusammenarbeit mit dem BSW aus. Die Brandenburger sind in der Frage gespalten: In der Umfrage für "Kontraste" sagten 42 Prozent, sie fänden eine Regierungsbeteiligung des BSW gut, ebenso viele lehnen sie ab. Brandenburgs BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach, Arbeitsrichter und vorher viele Jahre SPD-Mitglied, bekräftigt die BSW-Linie, dass Friedensdiplomatie im Ukraine-Krieg eine Bedingung für Koalitionsverhandlungen sei.

Sorgen im Umland vor sozialem Abstieg

Das bundespolitische Thema Ukraine tangiert Brandenburg auch insofern, weil die PCK-Raffinerie in Schwedt direkt vom Öl-Embargo gegen Russland betroffen ist. Vor allem Brandenburger außerhalb des städtisch geprägten "Speckgürtels" rund um Berlin fürchten einen sozialen Abstieg, verstärkt durch internationale Krisen.

"Die Bevölkerung hat das Gefühl, es sei etwas im Wanken, im Umbruch", sagt Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung. Auch wenn objektiv die Lage in Brandenburg nicht so schlecht ist wie die Stimmung. Die Arbeitslosenquote lag im August bei 6,2 Prozent, nur minimal über dem Bundesschnitt. Mit der Ansiedlung des US-Elektroautobauers Tesla in Grünheide gelang ein wirtschaftspolitischer Coup. 12.000 Menschen sind derzeit an dem Standort beschäftigt.

Themen Sicherheit und Migration dominieren die letzte Wahlkampfphase 

Nicht gut da steht Brandenburg hingegen bei der Bildung, einem Schwerpunkt vor allem für die CDU, die das Ressort nach mehr als 30 Jahren von der SPD übernehmen will. Bei Schülerleistungsvergleichen in Mathematik und Deutsch zuletzt auf hinteren Plätzen, hat das Land mit einem gravierenden Lehrermangel zu kämpfen.

Doch nach der Messerattacke im nordrhein-westfälischen Solingen, bei der ein 26-jähriger Syrer auf einem Volksfest drei Menschen tötete, dominieren die Themen Sicherheit und Migration die heiße Wahlkampfphase im Grenzland zu Polen. Im vergangenen Jahr sind die Straftaten erneut gestiegen, was auch an einer Vielzahl illegale Grenzübertritte liegt.

Wahl könnte für das Schicksal der Ampelkoalition entscheidend werden

Bei der Gewaltkriminalität wurde 2023 der höchste Stand seit 15 Jahren verzeichnet. Zwei Wochen vor der Wahl hatte Woidke zu einem Gipfel mit den Kommunen geladen, um nach dem Solingen-Attentat die Abschiebepraxis zu verschärfen. "Wir sind das den Brandenburgern schuldig, aber auch den Neu-Brandenburgern", sagte er.

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Herausforderer Jan Redmann, dessen CDU das Innenministerium führt, hatte im Vorfeld vor einer "Wahlkampfshow" gewarnt. "Dietmar Woidke sollte seine Energie besser darauf verwenden, Kevin Kühnert, Saskia Esken und Olaf Scholz zu überzeugen, dass es jetzt wirksame Maßnahmen für ein Ende irregulärer Migration braucht", erklärte der Spitzenkandidat, der die Wahl damit erneut auf deren Bedeutung für die Bundesebene dreht.

Es sei "eine Schicksalswahl für Brandenburg", sagt Ministerpräsident Woidke mit Blick auf den 22. September. Doch die dritte Wahl im Osten in diesem Jahr, sie könnte auch für das Schicksal der Ampel-Koalition auf Bundesebene entscheidend werden.

Die Autorin ist stellvertretende Chefredakteurin der "Potsdamer Neuesten Nachrichten".