Nach dem Koalitionsausschuss : Werkstück oder Stückwerk?
Nach mehr als 30 Stunden Verhandlungen im Koalitionsausschuss zweifelt die Opposition an der Handlungsfähigkeit der Ampel.
Marathonverhandlungen: Nach rund 30-stündigen Gesprächen präsentierten die Parteichefs Lindner (FDP), Lang (Grüne) und Klingbeil (SPD) (v.l.n.r.) die Ergebnisse des Koalitionsausschusses.
Dass die Stimmung zwischen den Partnern der Ampelkoalition in den vergangenen Wochen nicht unbedingt rosig war, ist kein allzu großes Geheimnis. Öffentlich tauschten Parteigranden Nickligkeiten aus, die Liste der strittigen Themen wuchs. Ein Koalitionsausschuss sollte die Lösung bringen und offenbar gab es Diskussionsbedarf. Rund 30 Stunden verbrachten die Ampelspitzen miteinander, unterbrochen unter anderem von deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen. Vergangenen Dienstag präsentierten dann die Parteichefs Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes die Ergebnisse des Verhandlungsmarathons. Man gab sich - mehr oder weniger - zufrieden mit den Beschlüssen, die die Ampel in einem 16-seitigen Papier unter dem Titel "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung" zusammengefasst hat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte schon vor Abschluss der Verhandlungen ein "großes Werkstück" angekündigt - und fand am Mittwoch in der Regierungsbefragung entsprechend lobende Worte für die Beschlüsse. Diese Einschätzung wollte die Opposition allerdings nicht teilen. Es sei weder ein Werk noch ein Stück, "das ist allerhöchstens Stückwerk", beschied Mario Czaja (CDU) der Koalition vergangenen Donnerstag in einer von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Stunde.
Auch Autobahnprojekte sollten beschleunigt werden
Zu den wesentlichen Streitpunkten innerhalb der Koalition gehörte in den vergangenen Wochen die Frage, welche Infrastrukturprojekte besonders beschleunigt werden sollen. Klar ist nun: Die Koalition will auch bestimmte Autobahnprojekte schneller umsetzen. Für eine "eng begrenzte Zahl" von Projekten zur Engpassbeseitigung - 144 sollen es sein - soll künftig das "überragende öffentliche Interesse" festgestellt werden, was Planung und Genehmigung zeitlich deutlich straffen soll. Dieses überragende öffentliche Interesse soll auch für zahlreiche Schienenprojekte festgestellt werden. Die Koalition strebt einen Investitionshochlauf bei der Bahn an. Der Bedarf liege bis 2027 bei rund 45 Milliarden Euro, heißt es in dem Papier. Ein großer Teil davon soll durch die Erhöhung der LKW-Maut gestemmt werden.
Ein zweiter großer Streitpunkt der Koalition betraf die Klimaziele: Sowohl im Gebäude- als auch im Verkehrssektor reißt Deutschland die selbstgesteckten Sektorziele. Nun will die Koalition mit einer Novelle des Klimaschutzgesetzes eine andere Form der Betrachtung einführen. "Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", heißt es in dem Beschlusspapier. Bei Zielverfehlung sollen alle Ressorts gegensteuern. Klimafreundlicheres Heizen soll "technologieoffen" unterstützt werden, ein Verbot von Gas- und Ölheizungen findet sich nicht im Papier. Weitere Beschlüsse beziehen sich etwa auf die Förderung von E-Fuels und der Elektromobilität und den Umgang mit naturschutzrechtlichen Ausgleichsflächen. Sie eint: Sie müssen allesamt noch in Gesetzesform gebracht werden.
Grüne wollen eigentlich mehr Klimaschutz als mit SPD und FDP möglich
Gänzlich ausgeräumt scheinen die Differenzen allerdings noch nicht zu sein. In der Aktuellen Stunde betonte etwa Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen), dass ihre Partei mehr für den Klimaschutz wolle, "als aktuell mit SPD und FDP möglich ist". Für die FDP stellte Lukas Köhler mit Blick auf die Novelle des Klimaschutzgesetzes und die angekündigte Gesamtrechnung klar, dass die Koalition eine "Neuordnung der Klimapolitik" plane. Sozialdemokrat Matthias Miersch wiederum betonte, dass eine Weiterentwicklung notwendig sei, sich aber an den "Zielen und Pfaden" und auch bei den "sektorspezifischen Zielen" nichts ändern werde. Bei allen Unterschieden, die auch in den anstehenden Gesetzgebungsverfahren noch zu Diskussionen führen dürften, bejahten die Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen die "Handlungsfähigkeit und Lösungskompetenz der Bundesregierung" deutlich, die die Union mit ihrer Aktuellen Stunde in Frage gestellt hatte.
Für die Union machte Czaja wiederum vor allem die Grünen als Verlierer des Koalitionsausschusses aus. Er gehe davon aus, "dass Sie dem Ganzen mit der Faust in der Tasche zugestimmt haben". Die drei Parteien agierten wie in einer "On-Off-Beziehung". "Man hält es nicht mehr miteinander aus, aber man kommt auch irgendwie nicht voneinander los", meinte der Christdemokrat.
Linke: Koalition gibt "desolates Bild" ab
Zu einem ähnlichen Urteil kam Linken-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch. Die selbsternannte Fortschrittskoalition gebe ein "desolates Bild" ab, sei in Wirklichkeit eine "Enttäuschungskoalition", befand der Abgeordnete. Zudem erinnerte Bartsch daran, dass die Koalition zu anderen Streitthemen wie der Kindergrundsicherung oder dem Haushalt 2024 keine Beschlüsse gefasst habe. "Das ist nicht akzeptabel", sagte der Fraktionschef.
AfD-Fraktionsvorsitzender Tino Chrupalla ließ ebenfalls kein gutes Haar an der Ampelkoalition und warf ihr vor, das Land in die "Deindustrialisierung und postmoderne Beliebigkeit" zu führen. Die geplante Erhöhung der LKW-Maut lehnte er scharf ab. "Die Mehrkosten werden direkt an die Endverbraucher weitergegeben werden müssen", kritisierte Chrupalla, damit werde die Inflation weiter steigen. "Machen Sie endlich Politik im Interesse Deutschlands und unserer Bürger", forderte der Fraktionsvorsitzende.
Die Ampel will Gerichtsverfahren zu Infrastrukturprojekten verkürzen. Ein nach Kritik erheblich geänderter Gesetzentwurf passierte nun den Bundestag.
Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern in Deutschland zu lange. De LNG-Sonderregelungen sind aus Sicht von Umweltschutzverbänden aber der falsche Weg.