Piwik Webtracking Image

Deutschland auf einem Spitzenplatz : Wie das Abwasser gereinigt wird

97 Prozent der deutschen Haushalte sind an Kläranlagen angeschlossen. Doch was genau passiert mit unserem Abwasser, bevor es wieder in die Umwelt gelangt?

05.08.2024
True 2024-08-07T14:22:18.7200Z
5 Min

In Deutschland sind 97 Prozent der Haushalte an ein Kläranlagensystem angeschlossen. Was den sanitären und hygienischen Komfort in diesem Zusammenhang betrifft, nimmt die Bundesrepublik weltweit einen Spitzenplatz ein. Kommunale Unternehmen betreiben einen immensen Aufwand, um Abwasser so zu reinigen, dass es guten Gewissens wieder in die Umwelt zurückfließen kann.

Foto: picture alliance/dpa

Blick auf eine moderne Kläranlage der Stadtentwässerung in Dresden.

Die Stadtwerke in Görlitz betreiben eine von bundesweit mehr als 9.000 kommunalen Anlagen zur Abwasserbehandlung. Die Größe des Klärwerks, das sich im Norden der deutsch-polnischen Grenzstadt befindet, wird mit 140.000 Einwohnerwerten angegeben. Über ein Netz von Schmutzwasserkanälen mit rund 350 Kilometern Gesamtlänge sind Privathaushalte, Industrieunternehmen und Gewerbetreibende an die Anlage angeschlossen. Jährlich werden dort mehr als drei Millionen Kubikmeter Abwasser in einem dreistufigen Verfahren gereinigt.

Mehrere Klärstufen müssen durchlaufen werden

Die mechanische Behandlungsstufe beginnt in der Rechenanlage, die grobe und faserige Bestandteile zurückhält. Im belüfteten Sand- und Fettfang setzen sich Sedimente am Boden ab, Öle und Fette schwimmen oben. Während der Sand deponiert wird, gelangen Fette in den Faulturm, um sie zur Klärgasproduktion zu nutzen. Über ein Zwischenpumpwerk wird das Abwasser ins Vorklärbecken transportiert, um absetzbare, vorwiegend organische Substanzen zu entfernen. Der auf diese Weise entstehende Primärschlamm wird ebenfalls in den Faulturm befördert.

Das mechanisch vorgereinigte Abwasser durchströmt dann das Belebungsbecken. Bei der biologischen Reinigung übernehmen Mikroorganismen den Abbau von Schmutzstoffen. 18 Rührwerke halten den Schlamm in der Schwebe. Bis zu fünf Gebläse sorgen für die gleichmäßige Versorgung der aeroben Mikroorganismen mit Sauerstoff. Für die chemische Abwasserbehandlung können schließlich spezielle Fällmittel dosiert zum Einsatz kommen.

Das saubere Wasser geht in den Fluss

Am Ende landet das gereinigte Wasser im Nachklärbecken, wo es von Mikroorganismen getrennt wird. Nach Angaben der Stadtwerke erzielt das im Görlitzer Klärwerk gereinigte Wasser einen Reinigungsgrad von mehr als 95 Prozent in Bezug auf den chemischen Sauerstoffbedarf und sogar rund 97 Prozent bei der Elimination von Phosphor. Regelmäßige Laboruntersuchungen gewährleisten, dass die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden, um das gereinigte Wasser in die nahe Neiße einleiten zu können.

Das gehört nicht in die Toilette 🚽

⛔️ Täglich werden viele Dinge im WC weggespült, die dort nichts zu suchen haben. Nicht in die Toilette gehören: feuchtes Toilettenpapier, Hygieneartikel wie Kosmetiktücher, Zahnseide, Tampons, Kondome, Rasierklingen und Haare - das alles ist Müll und gehört in den Abfall.

🐭 Speisereste führen zwar nicht zu Verstopfungen im WC, allerdings ernähren sich Ratten vom heruntergespültem Essen und werden schnell zur Plage. Warme und flüssige Öle und Fette erhärten im weiteren Verlauf des Abwassersystems und führen zu teuren Reinigungsmaßnahmen.

💊 Tabletten, Pillen und flüssige Arzneimittel gehören allesamt in den Restmüll. Ein Teil der Wirkstoffe gelangt beim Wegspülen in den Wasserkreislauf und schadet der Umwelt.



In der Veolia Gruppe, zu der die Stadtwerke Görlitz gehören, sind Lösungen für eine Wiederverwendung von recyceltem Abwasser erprobt worden. Es wird zur Bewässerung von Grünanlagen oder Sportplätzen, zur Spülung von Kanälen, zur Reinigung von Straßen, für bestimmte Prozesse in der Industrie oder direkt in der Kläranlage für betriebliche Abläufe genutzt. Im niedersächsischen Bad Münder wird mit gereinigtem Abwasser der Golfplatz beregnet, der sich direkt neben der Kläranlage befindet. Außerhalb Deutschlands hat Veolia Anlagen in Betrieb genommen, in denen Abwasser zu Trinkwasser aufbereitet wird. In Windhoek (Namibia) kann auf diese Weise die Versorgung für 400.000 Einwohner gesichert werden.

Abwasser wird nach höchstem Standard behandelt

In Deutschland werden jährlich etwa zehn Milliarden Kubikmeter Abwasser nach höchstem Standard behandelt. Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie, die seit 1991 in Kraft ist, wurde inzwischen überarbeitet. Nach Angaben der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) sieht die Novellierung unter anderem verschärfte Grenzwerte für Phosphor und Stickstoff vor. Bereits 1986 wurden phosphathaltige Waschmittel verboten. Dennoch enthalten einige Reinigungsmittel nach wie vor Phosphate zur Wasserenthärtung und zur Bindung von Schmutzpartikeln.

Auch interessant

Die Baustelle auf dem Berliner Gendarmenmarkt aus der Vogelperspektive
Starkregen und Sturzfluten: Wenn Städte wie Schwämme funktionieren
Der Klimawandel zwingt Kommunen zum Umdenken - und Umbauen. Einige Städte arbeiten daran, Regenwasser zu speichern und später zu nutzen: das Prinzip Schwammstadt.
Julia Schoierer im Portrait
Hitzewellen im Hochsommer: "Wir müssen unsere Alltagsroutinen ändern"
Der Klimawandel bringt Hitzewellen mit sich, auf die sich Menschen vorbereiten müssen. Nötig sind Anpassungen im Verhalten, sagt Medizinpädagogin Julia Schoierer.

Mit der Novellierung soll zudem die Erweiterung von Kläranlagen um eine vierte Reinigungsstufe vorangetrieben werden, um sogenannte anthropogene Spurenstoffe zu entfernen. In erster Linie geht es dabei um Rückstände von Arzneimitteln, aber auch von Haushaltschemikalien, Produkten zur Körperpflege oder Reinigungs-, Wasch- und Desinfektionsmitteln.

Abwasser als Indikator für den Gesundheitszustand der Menschen

Im Abwasser finden sich viele Hinweise auf die Lebensumstände der Menschen. Seit der Corona-Pandemie ist bekannt, dass Abwasser ein zuverlässiger Indikator für den Gesundheitszustand der Bevölkerung ist. Die Veolia Gruppe startete im Frühjahr 2021 das Abwassermonitoring auf Sars-CoV-2-Viren. Abwasser aus dem Görlitzer Klärwerk wird seither regelmäßig in einem Labor in Döbeln untersucht. Die Ergebnisse werden an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet und sind Teil eines Projektes für die epidemiologische Lagebewertung.

Das Umweltbundesamt (UBA) verweist auf Untersuchungen, wonach in Deutschland mehr als 400 unterschiedliche Arzneimittelrückstände im Wasser und im Boden nachgewiesen wurden. In meist niedriger Konzentration waren das beispielsweise Schmerzmittel, Antibiotika und Hormone. In höheren Konzentrationen können einige dieser Substanzen der Umwelt schaden. So wurde in der Nähe von Kläranlagen eine Verweiblichung männlicher Fische beobachtet, die in Kontakt mit hormonell wirksamen Wirkstoffen gekommen waren.

700 der 9.000 Kläranlagen müssen erweitert werden

Aktuell verfügen in Deutschland gut 80 Abwasserbehandlungsanlagen über eine Reinigungsstufe zum Abbau von Spurenstoffen. Fachleute schätzen, dass rund 700 der gut 9.000 Kläranlagen in Deutschland bis 2045 erweitert werden müssen, um die neuen EU-Vorgaben zu erfüllen. Das betrifft unter anderem alle Anlagen mit mehr als 150.000 Einwohnerwerten sowie wahrscheinlich etwa jede dritte Anlage in der Größenklasse zwischen 10.000 und 150.000 Einwohnerwerten.

Laut DWA ist die novellierte Richtlinie in der EU weitgehend verabschiedet. Die letzte formale Zustimmung des EU-Ministerrates ist für Oktober angekündigt. Nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt hat Deutschland dann zweieinhalb Jahre Zeit, um die Richtlinie umzusetzen.

Gewässerschutz gilt auch im privaten Haushalt

Die Stadtwerke Görlitz jedenfalls wollen eine detaillierte Planung zur Erweiterung der Kläranlage erst angehen, wenn von regulatorischer Seite Klarheit herrscht, welche Reinigungsziele im Hinblick auf die Eliminierung von Spurenstoffen zu erreichen sind.

Unabhängig von der Ausstattung der Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe gilt schon jetzt der Grundsatz: Was nicht in das Abwasser gelangt, muss auch nicht wieder daraus entfernt werden. Küchenrolle, Feucht- und Taschentücher, Essenreste, Medikamente, Farben, Lösungsmittel oder Frittierfett gehören nicht in die Toilette oder den Ausguss. Die Einleitung problematischer Stoffe an der Quelle, also auch im privaten Haushalt, ist daher unbedingt zu vermeiden - nicht nur aus Kostengründen, sondern vor allem als wichtiger Beitrag zum Gewässerschutz.