Starkregen und Sturzfluten : Wenn Städte wie Schwämme funktionieren
Der Klimawandel zwingt Kommunen zum Umdenken - und Umbauen. Einige Städte arbeiten daran, Regenwasser zu speichern und später zu nutzen: das Prinzip Schwammstadt.
Rotterdam und Amsterdam lieferten sich einen Wettstreit. Welche der beiden rivalisierenden Städte würde es schaffen, am meisten Pflastersteine zu ersetzen mit Rasen, Blumenbeeten, Bäumen? Etliche Bürger beteiligten sich, rissen in ihren Vorgärten knapp 100.000 Pflastersteine raus. Am Ende gewannen die Rotterdamer knapp. Das war 2020 und der Anfang vom "Tegelwippen", sprich: techel wippen.
Dieses Kachelndrehen ist in den Niederlanden längst zum jährlichen Spektakel geworden, immer mehr Städte, Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger machen dort mit. Unter anderem unterstützt das niederländische Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft den Wettbewerb. Am 21. März dieses Jahres ging es wieder los. Seither sind im ganzen Land, Stand 23. Juli, 1.811.841 Pflastersteine "gewippt" worden. Aber wozu das alles?
Auch Berlin baut um für die Zukunft: Der Gendarmenmarkt erhält unter anderem ein wasserdurchlässiges Natursteinpflaster.
Auf der niederländischen Internetseite heißt es sinngemäß: Ist es heiß, kühlen Steine nicht ab. Regnet es, lassen sie kein Wasser durch. Stattdessen überlastet das Wasser dann die Kanalisation, läuft im schlimmsten Fall in die Keller. Fazit der Tegelwippeninitiatoren: "Mehr Grün wirkt dem entgegen."
Hitzetote und Milliardenschäden nach Dauerregen
Anders gesagt: Weniger gepflastertes Grau, mehr lebendiges Grün - es ist entscheidend, um sich gegen die Erderhitzung zu wappnen, wenn das Wetter extremer wird, seine Berechenbarkeit abnimmt. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Deutschland. Denn dass die Sommer extrem heiß und trocken werden können, hat sich spätestens in den Jahren 2018, 2019, 2020 gezeigt. Und dann fällt der Niederschlag wiederum als Starkregen vom Himmel. Selbst der beste Klimaschutz kann das nicht mehr verhindern. Die Folgen sind längst spürbar.
Im Jahr 2023 zählte das Robert-Koch-Institut (RKI) in Deutschland 3.200 Hitzetote, im Jahr davor waren es 4.500. Und als zu Pfingsten dieses Jahres Dauerregen das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz unter Wasser setzte, später dann Straßen in Bayern und Baden-Württemberg geflutet wurden, machten Versicherer Schadensummen in Milliardenhöhe aus.
Sollen Menschen nicht gefährdet werden, ihr Hab und Gut behalten, müssen Städte und Gemeinden bundesweit umdenken, ja: umbauen. Wasser bekommt dabei eine neue Rolle.
Bisher gibt es meist nur den Weg in die Kanalisation
Bisher gibt es für das Regenwasser in den Städten mit den vielen gepflasterten, auch asphaltierten, betonierten, bebauten Plätzen und Straßen zumeist nur einen Weg: ab in die Kanalisation, bloß rasch weg. Doch kommt das Wasser mit voller Wucht in Massen, ist diese schnell überlastet, plötzlich überfluten Straßen, versinken Autos. Das soll anders werden.
Augsburg, Berlin, Bremen, Bochum, Essen, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Offenbach - zahlreiche Städte arbeiten daran, das Wasser vor Ort zu halten und zu speichern, wenn unfassbarer Regen fällt. Bei schweißtreibenden Temperaturen und Dürre im Sommer soll es dann wieder verwendet werden, um Parks, Rasen und Straßenbäume zu bewässern. Verdunstet es dann, kühlt es auch noch. Es ist das Prinzip Schwammstadt.
Lernen vom Wald als idealer Wasserspeicher
Städte sollen an vielen Stellen, einem Schwamm ähnlich, Wasser aufnehmen, also speichern und wenn nötig wieder abgeben können, statt es einfach abzuleiten. Das ist keine neue Erfindung, sondern längst bewährt in der Natur. Der Wald zum Beispiel ist ein idealer Wasserspeicher. Der Boden saugt den Regen, der nicht in den Baumkronen hängenbleibt, auch auf wie ein Schwamm - im Moos, im Humus, in den verschiedenen Bodenschichten mit Gängen und Hohlräumen. So kann er selbst in längeren Trockenzeiten die Pflanzen noch mit Wasser versorgen. Wasser, das er nicht mehr speichern kann, versickert in das Grundwasser.
In der Mitte Berlins, am Gendarmenmarkt, lässt sich derzeit sehen, wie eine Stadt entsprechend für die Zukunft umgebaut wird. Der 14.000 Quadratmeter große historische Platz zwischen Konzerthaus, Deutschem und Französischem Dom bekommt ein neues, wasserdurchlässiges Pflaster. In das Erdreich sind sechs mehrere Hundert Quadratmeter große, 61 Zentimeter tiefe Auffangbecken eingelassen, sogenannte Rigolen. Dort soll Regenwasser gesammelt und dann nach und nach an den darunter liegenden Boden abgegeben werden. Die Planung und der Bau der Entwässerung haben rund 4,2 Millionen Euro gekostet.
Berlin gilt als Vorreiter. Die Hauptstadt arbeitet schon lange daran, besser mit dem Regenwasser umzugehen. Seit 2018 braucht zum Beispiel jedes Neubauprojekt ein Regenwasser-Bewirtschaftungskonzept, so dass so wenig Wasser wie möglich in die Kanalisation geht. Und große Projekte wie das neue Stadtquartier auf den Buckower Feldern, wo im Berliner Stadtteil Neukölln auf gut 16 Hektar derzeit 900 Wohnungen entstehen, werden von vornherein nach dem Prinzip der Schwammstadt konstruiert.
Regenwasser ist eine kostbare Ressource
Schon Ende der 1990er Jahre begrünte Berlin auch am Potsdamer Platz Dächer und Fassaden, legte Beete und künstliche Gewässer an. Damals ging es vor allem darum, die Mischkanalisation zu entlasten, erklärt Valentin Meilinger vom Umweltbundesamt (UBA): "In Berlin werden Regen- und Abwasser teilweise in einer Kanalisation gesammelt; läuft sie bei starkem Regen über, schwappt ungeklärtes Abwasser durch Straßen und in Flüsse und Seen." Erst in den vergangenen Jahren sei erkannt worden, dass Regenwasser auch eine kostbare Ressource ist für eine grünere, kühlere, gesündere und damit lebenswertere Stadt.
Darum spreche heute kaum noch jemand wie früher von Regenwassermanagement. Stattdessen findet sich nun der Begriff Schwammstadt, der einst in China erfunden und zunächst in Skandinavien aufgegriffen wurde, etwa in der Nationalen Wasserstrategie der Bundesregierung oder im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundesumweltministeriums.
Kopenhagen gilt europaweit als Vorbild
Da bewegt sich etwas, zumal seit Juli dieses Jahres in Deutschland das Klimaanpassungsgesetz gilt und Kommunen Konzepte erstellen müssen, wie sie widerstandsfähig werden wollen gegen Hitze und Sturzfluten. "Wir raten Städten und Gemeinden dazu, in ihren Konzepten zu verankern, dass sie Schwammstadt werden wollen. Und dann sollten sie erst einmal erfassen, wo Hitze-Hotspots sind und Starkregenrisiken", sagt UBA-Mann Meilinger. Bisher fehle vielerorts noch dieses große Denken, ein konkretes Konzept.
Europaweit, wenn nicht weltweit gilt Kopenhagen da als vorbildlich. Die dänische Hauptstadt arbeitet konsequent an der Schwammstadt, seit ein Starkregen, der als Jahrtausendregen galt, die Stadt 2011 in ein Chaos versetzte. Am Ende schwammen tote Ratten in den Straßen. Kein Jahr später stand der erste Skybrudsplan, ein Wolkenbruch-Plan, er wird immer weiterentwickelt, zählt derzeit gut 350 Orte, die umgebaut werden sollen. Einen Bruchteil finanziert die Stadt mit Steuermitteln. Das Gros zahlen Bürger, die erwarteten Kosten werden über die Wassergebühren eingezogen.
"Das wäre in Deutschland kaum denkbar, das Murren in der Bevölkerung wäre sicher groß", sagt Ulf Jacob. Als Leiter des Bereiches Strategie und Politik der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) sitzt er in der Koordinierungsgruppe "Wasserbewusste Stadt", die die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) ins Leben gerufen hat.
Also ist die Schwammstadt vor allem eine Frage des Geldes? "Natürlich spielt Geld eine Rolle. Aber es gibt viele öffentliche Fördertöpfe", sagt Jacob. Das Schwammstadt-Prinzip könne dabei oft im Huckepack umgesetzt werden, wenn ohnehin schon gebaut, saniert, also gebuddelt werde. Der Umbau ist ein Projekt über Jahre.
Bochum baut um
Doch ist Wasser bisher nicht für jeden das große Thema, da fehlt Personal, auch Wissen. In Berlin berät seit 2018 eine Regenwasseragentur Planer, Architekten und Ingenieure bei Um- und Neubauten. Sie hat auch einen Überblick über Förderprogramme und andere Planungshilfen ins Internet gestellt. Solch eine Agentur gibt es andernorts noch nicht. Jacob meint dennoch: "Es geht, wenn man nur will."
In Bochum zum Beispiel will man. Die Ruhrgebietsstadt baut um, auch die Straßen, darunter die Hattinger Straße. Der Mittelstreifen ist begrünt, liegt etwas tiefer als der Rest der Straße, so dass das Regenwasser dorthin ablaufen kann in das neu eingebaute unterirdische Speichersystem. Wasser von der Straße kann verschmutzt sein, mit Reifenabrieb und Schadstoffen belastet. "In Zisternen und Rigolen können Filter eingebaut werden, technisch ist das machbar", erklärt Jacob.
Auch der Straßenraum bietet Schwammstadt-Potenzial
Für ihn bietet der Straßenraum bisher "ein viel zu selten genutztes Schwammstadt-Potenzial". Er wünscht sich mehr Bäume an den Straßenrändern, eingepflanzt in großzügige Schotterbetten, die sich unter dem Straßenbelag fortsetzen, so dass sich Wurzeln und Wasser dort ausbreiten können. Da fiele dann sicherlich auch der ein oder andere Parkplatz weg. Jeden freuen wird das nicht.
Die Aufgabe ist enorm. Meilinger hat mit einer Kollegin und einem Kollegen gerade erst mit der Broschüre "Ziele und Politikinstrumente für klimaresiliente Schwammstädte" Vorschläge gemacht, damit sie leichter wird. So soll etwa das Wasserhaushaltsgesetz um eine Vorschrift erweitert werden, damit Niederschlagwasser stärker als lokale Ressource genutzt wird.
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In den Niederlanden indes wird am 31. Oktober der Gewinner der goldenen Fliese feststehen. Sie bekommt die Stadt oder die Gemeinde, die bis dahin die meisten Pflastersteine entfernt hat.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.