Petitionen : Immer dort, wo es brennt
Die Zahl der Eingaben ist gestiegen. Reformvorschläge der Ampel fehlen weiterhin.
Johanna Röh ist eine Tischlermeisterin aus Niedersachsen, Wenke Stadach eine Kitaleiterin in Mecklenburg-Vorpommern. Die beiden Frauen haben sich im vergangenen Jahr an den Petitionsausschuss gewandt. Tischlermeisterin Röh hatte gefordert, dass der Mutterschutz nicht nur für schwangere Angestellte, sondern auch für selbstständige Unternehmerinnen gelten muss. Kitaleiterin Stadach hatte sich für die Verlängerung des Bundesprogramms "Sprach-Kitas" um zwei Jahre ausgesprochen.
Der Petitionsausschuss beim Ortstermin in Lüdenscheid. In einer Petition wurde der Lkw-Verkehr durch die Stadt als Folge der nicht mehr nutzbaren Rahmedetalbrücke auf der A45 beklagt.
Der Zuspruch zu den beiden öffentlichen Petitionen war überwältigend. Mehr als 110.000 Menschen hatten die Petition zum Mutterschutz mitgezeichnet - mehr als 250.000 gar die Eingabe zu den Sprach-Kitas. Themen, die sonst nicht unbedingt im Fokus der Öffentlichkeit gestanden hätten, wurden nun breit diskutiert - auch und gerade im Bundestag.
Tätigkeitsbericht vorgelegt
Zugegeben: Vollständig umgesetzt wurden die Forderungen der Petentinnen bislang nicht. Zum Mutterschutz bei Selbstständigen wurde erst in der vorletzten Woche im Bundestag debattiert. Problem erkannt - Lösung in Arbeit, aber schwierig, lautete das Fazit. Was die Sprach-Kitas angeht, so wurde das Bundesprogramm lediglich um ein halbes Jahr verlängert und soll nun von den Ländern fortgesetzt werden..
"Petitionen lohnen sich", konstatierte dennoch mit Blick auf diese Beispiele Erik von Malottki (SPD) während der Parlamentsdebatte über den Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses für das Jahr 2022 in der vergangenen Woche. "Sie können direkten Einfluss auf die Politik nehmen und sie sind ein entscheidendes Mittel gegen Ohnmacht und Frustration", sagte Malottki.
13.242 Petitionen sind 2022 beim Ausschuss eingegangen, 1.575 mehr als im Vorjahr. In 27 Sitzungen des Petitionsausschusses wurden 451 Petitionen zur Einzelberatung aufgerufen. Siebenmal tagte der Ausschuss im vergangenen Jahr öffentlich und hat dabei zwölf Eingaben beraten, die mehr als 50.000 Mitzeichnungen innerhalb von vier Wochen verbuchen konnten und damit das benötigte Quorum für eine öffentliche Beratung erreicht haben.
Der Ausschuss macht Ortstermine
Wenn es dem Erkenntnisgewinn dient, fahren die Abgeordneten auch mal zum Ort des Problems. Unlängst erst machten sich sieben Ausschussmitglieder bei einem Ortstermin in Lüdenscheid ein Bild von der in einer Petition beklagten Lage. Seit der Sperrung der maroden Rahmedetalbrücke auf der Autobahn A45 im Dezember 2021 schleppen sich die Lkw tagtäglich durch den Ort, was eine erhebliche Belastung für die Lüdenscheider darstellt.
Doch es sind auch die kleinen Dinge, die die Menschen zum Schreiben einer Petition bringen. Nicht nachvollziehbare Entscheidungen von Ämtern und Behörden gehören dazu, Ärger über die Rentenberechnung, aber auch Fragen wie die, ob es nicht verboten sein müsste, wenn sich im eigenen Garten Nachbars Katze entleert. "Die Bearbeitung persönlicher Anliegen machte für den Ausschuss mit rund 70 Prozent auch im Jahr 2022 wieder einen wichtigen Teil seiner Arbeit aus", heißt es in dem Bericht.
"Wir sind auch für die kleinen Dinge zuständig", sagte denn auch die Ausschussvorsitzende Martina Stamm-Fibich (SPD) zu Beginn der Debatte. Die Unterstützung, die der Ausschuss in diesen Einzelfällen leiste, zeige seine Notwendigkeit und Bedeutung. Online wie auch offline seien Petitionen mehr als 937.000 Mal unterschrieben worden - dreimal mehr als im Vorjahr. "Wir können sagen, es war für unseren Ausschuss ein erfolgreiches Jahr", befand die Vorsitzende.
Einigkeit über Reformstau
Und doch gibt es einiges zu tun. Das Petitionswesen muss reformiert werden, darüber herrscht schon seit langer Zeit Einigkeit im Ausschuss. Die Ampel will das angehen. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wird diese Reform explizit als Ziel aufgeführt. Bislang ist es jedoch bei Ankündigungen geblieben - auch während der Debatte des Tätigkeitsberichts. "Wir als Koalition werden dem Ausschuss hoffentlich bald unsere Vorschläge präsentieren", sagte Stamm-Fibich. Ihr Fraktionskollege Axel Echeverria (SPD) sagte, er hoffe, im kommenden Jahr nicht nur Zahlen, Daten und Fakten präsentieren zu können, sondern auch erzählen zu können, "wie wir den Petitionsausschuss neu aufgestellt haben und wie viel mehr Einflüsse von Menschen außerhalb des Bundestages wir jetzt aufnehmen und umsetzen können".
Ina Latendorf (Die Linke) ist das zu wenig. Eine Reform sei schon bei der Beratung des letzten Jahresberichts angekündigt worden, sagte sie und erinnerte die Ampelfraktionen: "Die Hälfte der Wahlperiode ist fast vorbei." Aus Sicht ihrer Fraktion müsse die Transparenz der Verfahren und der Entscheidungsfindungen unbedingt erhöht werden. Außerdem brauche es generell öffentliche Sitzungen.
Einfacher und transparenter müsse das Verfahren werden, findet auch Swantje Michaelsen (Grüne). Zudem sollten Petitionen auch einen neuen Platz in der Plenardebatte bekommen, "damit sie noch mehr als bisher ein Bindeglied zwischen Gesellschaft und Bundestag und damit ein Puzzleteil der Demokratie sein können".
Auch Manfred Todtenhausen (FDP) äußerte die Hoffnung, "dass wir 2023 das Petitionsrecht reformiert und verbessert haben". Teilweise warteten noch Petitionen aus der letzten, der vorletzten oder sogar aus der vorvorletzten Wahlperiode auf Entscheidung, sagte er und sah die Ampel dennoch "ein gutes Stück vorangekommen, den Stau abzuarbeiten".
Lob der Kollegialität
Für sie wie auch für viele Mitglieder des Petitionsausschusses gelte: "Einmal Petitionsausschuss, immer Petitionsausschuss", sagte Sabine Weiß (CDU). Die Mitgliedschaft mache viel Arbeit, "aber es macht auch sehr viel Freude". Im Ausschuss könne man direkt etwas bewirken. "Wir können auch über Parteigrenzen hinweg kollegial zusammenarbeiten."
Fundamentale Kritik kam hingegen von Dirk Brandes (AfD). Auch vergangenes Jahr hätten politische Petitionen keine Chance auf eine Umsetzung gehabt, "wenn sie nicht der Regierungsagenda entsprachen". Das sei der Grund, weshalb private Petitionsplattformen immer mehr Akzeptanz erhielten, während die Zahl der Eingaben an den Bundestag stagniere.