IP-Daten : Streit um Speicherpflicht
Union fordert, Spielräume aus EuGH-Urteil zu nutzen. In der Ampelregierung können sich die Minister Buschmann und Faeser nicht auf eine gemeinsame Linie einigen.
Die seit Jahren anhaltende Debatte um den Datenschutz im Internet geht in eine neue Runde. Für neuen Diskussionsstoff sorgt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur anlasslosen deutschen Vorratsdatenspeicherung, das innerhalb der Ampel-Koalition unterschiedlich bewertet wird. Der EuGH hatte am 20. September geurteilt, dass die - 2015 eingeführte und seit 2017 ausgesetzte - Vorratsdatenspeicherung nicht mit EU-Recht vereinbar sei, aber dennoch Spielraum für deren Anwendung eingeräumt.
An diesem Punkt hat sich der neue Streit entzündet. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach nach dem Urteil von einem "guten Tag für die Bürgerrechte". Die Regelung müsse "zügig und endgültig" aus dem Telekommunikationsgesetz gestrichen werden. Die FDP schlägt stattdessen das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren vor. Dabei können im Verdachtsfall bestimmte Daten auf richterliche Anordnung gesichert werden.
Innenministerin will Möglichkeiten zur Speicherung nutzen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies dagegen auf die vom Gericht aufgezeigte Möglichkeit, Daten zu IP-Adressen zu speichern. Damit ließe sich nachvollziehen, welchem Anschluss beziehungsweise Gerät zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Adresse zugeordnet war. Dies müsse im Kampf gegen schwere Kriminalität genutzt werden, so Faeser. Bei der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder sollten zumindest Teildaten gespeichert werden können.
Auch auf der gemeinsamen Konferenz der Innen- und Justizminister der Länder in München am 27. September war das Urteil zusammen mit der Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs ein wichtiges Thema. Anschließend hieß es, die Vorratsdatenspeicherung sei vom Tisch. Bei den Innenressorts habe es jedoch einen relativ breiten Konsens über die Notwendigkeit der Speicherung der IP-Adressen gegeben. In den Justizressorts sei die Diskussion noch nicht abgeschlossen.
Union will Strafverfolger mit Speicherpflicht stärken
In dieser Gemengelage hat die Unionsfraktion im Bundestag in der vergangenen Woche einen Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die anlasslose Speicherung der IP-Adressen für die Bekämpfung sexuellen Kindesmissbrauchs rechtssicher zu nutzen. Der Antrag fand in der Debatte jedoch keine Unterstützung, obwohl die CDU-Abgeordnete Andrea Lindholz zu Beginn der Debatte eindringlich darauf verwies, dass das Bundeskriminalamt 2021 über 15.000 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs und mehr als 39.000 Fälle der Verbreitung entsprechender Fotos und Videos verzeichnet habe. Daher gebe es dringenden Handlungsbedarf. Für die Ermittler sei die IP-Adresse oft der einzige Ermittlungsansatz. Der Quick-Freeze-Vorschlag der FDP "ist und bleibt ein Placebo", denn Daten, die bereits gelöscht worden seien, könnten nicht mehr "eingefroren" werden. Hier müsse Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Machtwort sprechen.
Für die SPD konterte Sonja Eichwede den Vorstoß der Union. Sie warf ihr vor, komplexe Probleme immer wieder mit einfachen Lösungen beantworten zu wollen. Die anlasslose Speicherung sei laut EuGH nicht rechtssicher, und sie sei auch nicht effektiv, deshalb wolle die SPD sehr schnell eine rechtssichere anlassbezogene Speicherung, um die Aufklärung von schweren Straftaten zu gewährleisten. Die Bundesregierung arbeite bereits an einem Rezept für Quick-Freeze und werde schnell einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Das EuGH-Urteil solle zügig umgesetzt werden.
FDP: Massenüberwachung passt nicht zur europäischen Werteordnung
Konstantin Kuhle (FDP) sagte, das Urteil zeige, dass eine Massenüberwachung nicht zur europäischen Werteordnung passt. Die Haltung der Innenminister verstehe er nicht, sagte Kuhle. Seit 15 Jahren wisse man, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig ist. Auch ohne diese sei die Aufklärungsquote relativ hoch. Bundesjustizminister Buschmann habe ein Angebot gemacht, wie man diese Quote noch steigern könne, dies sei aber abgelehnt worden.
Denise Loop (Grüne) warf der Unionsfraktion vor, der Zeit meilenweit hinterher zu hinken. Anstatt Ideen voranzubringen, wie Kinder vor sexualisierter Gewalt geschützt werden können, verfolge sie die längst überholte Vorratsdatenspeicherung, jetzt in Form der IP-Adressen, die mit geltendem Grundrecht unvereinbar sei. Hier werde eine Scheindebatte auf dem Rücken der Betroffenen geführt, die niemandem helfe. Dagegen sei das Quick-Freeze-Verfahren ein effektives Instrument der Strafverfolgung.
Für Anke Domscheit-Berg (Die Linke) hat die Union nichts aus dem Urteil gelernt. Es stimme, das der EuGH kleine Spielräume gelassen habe, aber die mit Überwachungsmaßnahmen verbundenen Voraussetzungen - "geeignet, angemessen und verhältnismäßig" - würden mit dem Antrag nicht erfüllt. Es sei eine absolute Zumutung, ein EuGH-Urteil so auszureizen, dass es eine Massenüberwachung ermöglicht.
Strenge EU-Vorgaben verhindern bislang eine anlasslose Datensammlung. Doch das jüngste Urteil zeigt Möglichkeiten auf.
Sollte der Staat zur Strafverfolgung IP-Adressen speichern dürfen? Ein Pro und Contra von Helena Bubrowski und Markus Decker.
Darum geht es in der aktuellen Debatte - und das will die Bundesregierung umsetzen.
Fabian Jacobi (AfD) sagte, CDU/CSU und SPD würden, bezogen auf das Internet, Vorstellungen entwickeln, die in die Richtung gingen, alle Menschen vorsorglich unter Staatsaufsicht zu stellen. Speziell die CDU habe zu dem Vorhaben einer allgemeinen und anlasslosen Überwachung im Internet "ein fast schon fetischistisches Verhältnis entwickelt". Eine freiheitliche Gesellschaft behandle ihre Bürger nicht vorsorglich wie Straftäter, sagte Jacobi.