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Verpflichtendes Engagement? : Überfällig oder überfordernd? Der Streit um die Dienstpflicht

Bundespräsident Steinmeier kann sich einen sozialen Pflichtdienst für junge Menschen vorstellen. Kritiker setzen auf Freiwilligkeit.

05.09.2022
True 2024-03-14T15:19:28.3600Z
4 Min

Mit schöner Regelmäßigkeit kehrt sie wieder: Die Debatte um einen Pflichtdienst oder eine allgemeine Dienstpflicht. Den jüngsten Aufschlag dazu lieferte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Juni, als er die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes für junge Menschen anregte. "Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen", sagte er. Das müsse nicht bei der Bundeswehr sein, die soziale Pflichtzeit könnte genauso bei der Betreuung von Senioren oder in Behinderteneinrichtungen geleistet werden.

Dies einzuführen werde sicher nicht einfach, sagte er unter Verweis auf die dafür nötige Grundgesetzänderung. Eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit halte er aber in jedem Fall für angebracht, betonte Steinmeier. Zumindest mit Letzterem war er auf jedem Fall erfolgreich: In den folgenden Wochen fehlte es nicht an Reaktionen auf diesen Vorschlag, die meisten waren jedoch eher kritisch bis ablehnend.

Foto: picture alliance/johapress/Joachim Hahne

Ein Freiwilligendienst kann etwa beim Deutschen Rote Kreuz oder dem Malteser Freiwilligendienst absolviert werden.

Steinmeier versucht Dringlichkeit zu begründen

Vor ihm hatten bereits Horst Köhler, als Bundespräsident 2006, und Annegret Kramp-Karrenbauer, als CDU-Generalsekretärin 2018, eine Debatte darüber begonnen. Das Ergebnis ist bekannt, und es sieht nicht danach aus, als wäre die Einführung eines solchen Pflichtdienstes, als Ersatz für die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht und den damit auch abgeschafften Zivildienst, im Jahr 2022 realistischer geworden. Obwohl Steinmeier versuchte, die Dringlichkeit seines Anliegens gut zu begründen: "Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein. Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn", sagte er.

Sozial engagiert sind auch heute schon sehr viele Menschen in Deutschland: 15,7 Millionen arbeiten in einem Ehrenamt. In der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen sind es 12,3 Prozent, die etwas freiwillig für andere tun. Den Bundesfreiwilligendienst haben seit seiner Einführung vor elf Jahren rund 400.000 Menschen genutzt. Rund 31.000 waren es im vergangenen Jahr. Hinzu kommen noch die Teilnehmer des Freiwilligen Sozialen oder des Freiwilligen Ökologischen Jahres. Ohne freiwillige Helfer würde auch der Katastrophenschutz in Deutschland zusammenbrechen, denn rund 600.000 Menschen arbeiten als Helfer und Helferinnen für die zahlreichen Hilfsorganisationen wie Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund oder die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Diese und andere Organisationen haben sich gegenüber den Landesregierungen zur Mitwirkung am Katastrophenschutz verpflichtet. Wie wichtig die Sicherung und Förderung eines solches Engagements ist, zeigt, dass es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ein eigenes Referat "Ehrenamt" gibt, das nicht nur berät, sondern auch Zukunftsperspektiven dazu entwickelt, wie man das Ehrenamt attraktiver machen kann.

Familienministerin Paus lehnt lehnt die Steinmeier-Idee ab

Für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) liegen die Vorteile auf der Hand: "Für den einzelnen Jugendlichen bedeutet der Freiwilligendienst eine persönliche Bereicherung, für die Gesellschaft ist er eine wichtige Unterstützung - auch, weil die jungen Menschen sich freiwillig engagieren und mit Herzblut bei der Sache sind." Ein Pflichtdienst sei jedoch ein unverhältnismäßiger Eingriff in deren Persönlichkeitsrechte, lehnte die Ministerin die Steinmeier-Idee ab.


„Bei der Dienstpflicht blicken wir auf die nächsten 10, 20, 30 Jahre.“
CDU-Chef Friedrich Merz

Zustimmend äußerte sich dagegen CDU-Chef Friedrich Merz in der Debatte: Ihn habe gefreut, dass der Bundespräsident sich so klar positioniert habe. "Jetzt diskutieren wir darüber. Wenn es andere Meinungen gibt, umso besser. Dann haben wir eine interessante politische Debatte." Zwar stimme es, dass gerade die junge Generation während der Corona-Pandemie durch Schulschließungen und Kontaktverbote übermäßig belastet gewesen sei. Dies könne "aber nicht der Maßstab für eine solche Grundsatzentscheidung sein. Bei der Dienstpflicht blicken wir auf die nächsten 10, 20, 30 Jahre." Auf dem CDU-Parteitag Mitte September wird über zwei Anträge für ein sogenanntes "Deutschland-Jahr" debattiert werden.

Jugendverbände legen Veto ein

Mit einem klaren Veto reagierten dagegen die Jugendverbände verschiedener Parteien. Die Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, Jessica Rosenthal, nannte die Debatte "abstrus und aus der Zeit gefallen". Einen Pflichtdienst einzufordern, sei "ein Schlag ins Gesicht aller jungen, engagierten Menschen". Franziska Brandmann von den Jungen Liberalen sagte, eine Dienstpflicht einzuführen, sei übergriffig. Bürgerinnen und Bürger arbeiteten in der Regel jahrzehntelang und befähigten durch hohe Steuern und Abgaben den Staat dazu, seinen Aufgaben nachzukommen. Sarah-Lee Heinrich, Sprecherin der Grünen Jugend, verwies darauf, dass junge Menschen schon jetzt aktiv seien: in Verbänden, Bewegungen und Freiwilligendiensten. "Eine Verpflichtung ist der falsche Ansatz, da es einen massiven Eingriff in die Freiheit junger Menschen darstellt." Ablehnung kam auch von der Linksjugend (Solid). Bundessprecher Henrik Spieler sagte: "Der Vorschlag, die Misere der Berufe im sozialen Bereich durch Pflichten und Verordnungen im Zeichen der 'Horizonterweiterung' einzudämmen, ist pure Symptombekämpfung."

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Ähnlich argumentierten auch verschiedene Gewerkschaften und Sozialverbände: Alle anstehenden staatlichen Aufgaben müssten grundsätzlich im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge erledigt werden, die entsprechend finanziert werden müsste. Diese Aufgaben könnten nicht von Freiwilligendiensten übernommen werden, betonte unter anderem Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.