Katastrophenschutz in der Freizeit : Bereit für den Ernstfall
Ohne Freiwillige ginge beim Technischen Hilfswerk nichts. Nur zwei Prozent der Mitarbeiter sind hauptamtlich im Dienst, 98 Prozent arbeiten ehrenamtlich.
"Vorsicht, mach schnell, das Wasser kommt!" Der Druckschlauch, der sich schlaff über den sandigen Waldboden schlängelt, wölbt sich. Salina Kataw schraubt schneller, versucht mit einem Schlauchschlüssel ein Verteilstück zu befestigen, damit das Wasser gleich in zwei schwarze Gummitanks fließen kann. Doch vergeblich. Es lässt sich nicht festziehen. "Mist", flucht sie und winkt ihren Kollegen an der Pumpe. "Wasser Stopp!"
Immer mehr Waldbrände, immer mehr Einsätze auch für das Technische Hilfswerk: Helfer pumpen bei einer Übung in Brandenburg Wasser aus einem See, um es für die Feuerwehr bereitzustellen.
Schwüle Hitze liegt über dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr bei Storkow, etwa 50 Kilometer südöstlich von Berlin, wo das Technische Hilfswerk (THW) für ein Wochenende sein Lager aufgeschlagen hat. Unter dürren Kiefern gruppieren sich nun um Toilettenhäuschen und einen zur Küche umgebauten Container Mannschaftszelte mit Feldbetten, dazu ziemlich viel schweres Gerät in blau: Lastwagen, Mannschaftstransporter, Gerätewagen.
Arbeitsteilung spart Zeit
Wo sonst die Bundeswehr Manöver übt, trainieren nun 25 freiwillige Helferinnen und Helfer der Katastrophenschutzorganisation des Bundes, wie sie einstürzende Hauswände abstützen, tonnenschwere Kranwagen durchs Gelände steuern oder Löschwasser für die Feuerwehr bereitstellen. Letzteres ist ein leider sehr realistisches Szenario in Brandenburg: Immer häufiger brennen in der trockensten Region Deutschlands die Wälder.
Direkt nach dem Frühstück hat die Fachgruppe Notversorgung und Notinstandsetzung des Berliner Ortsverbands Neukölln deshalb begonnen, eine "Pumpstrecke" an einem nahegelegenen See aufzubauen. Gegen halb elf sind die Schläuche verlegt. Auch die Pumpen laufen, betrieben von einem knatternden Notstromaggregat. Sie saugen das Wasser an und befördern es über eine Anhöhe zu einem etwa hundert Meter entfernten Parkplatz. Dort sammelt es sich in den zwei, an überdimensionierte Planschbecken erinnernden Falttanks, die Kataw und ihre Kollegen aufgebaut haben.
Viele hunderte Stunden ehrenamtliche Arbeit
Die Feuerwehr könnte hier jetzt im Pendlerverkehr ihre Löschwagen auffüllen - und zwar erheblich schneller, als wenn sie jedes Mal selbst die schmale Zufahrt zum Seeufer hinunterfahren müsste. Arbeitsteilung spart Zeit. "Läuft gut", sagt Kataw später zufrieden, setzt den gelben Helm ab und knotet sich ein paar lose Haarsträhnen am Hinterkopf zusammen. Das Verteilstück hat sich mit vereinten Kräften doch noch befestigen lassen. "Das einzige richtige Problem war der Boden." Die 25-Jährige zeigt auf den märkischen Sand zu ihren Füßen. Die Rollcontainer voller Werkzeug hier zu schieben - kein Vergnügen. Warum sie sich das an diesem heißen Samstagmorgen antut, in Einsatzanzug und Stiefeln, Mückenstiche inklusive? Kataw lacht. "Meine Mutter meint, ich hätte ein Helfersyndrom."
Vor fünf Jahren kam die Agribusiness-Studentin zum THW, durchlief in 18 Monaten die Grundausbildung. Inzwischen ist sie es, die den neuen Mitgliedern zeigt, wie man einen Achterknoten bindet, Verletzte per Schleifkorb transportiert oder mit einem hydraulischen Spreizer Betonteile hebt. Donnerstags ist Ausbildungsabend, oft ist Salina aber auch am Wochenende im Ortsverband, dazu kommen die Einsätze: In den letzten Monaten hieß es Impfkabinen aufbauen, Unterkünfte für Flüchtlinge vorbereiten, umgestürzte Bäume von Straßen räumen. Fast 700 Stunden ehrenamtlicher Arbeit hat sie im letzten Jahr geleistet. "Nur", sagt sie. "Ich war aber auch nicht bei der Flutkatastrophe im Einsatz wie Heiko."
Einen halben Kilometer entfernt legt Heiko Radde legt gerade noch einmal Hand an das Gerüst, das sein Team schwitzend an einem baufälligen Haus hochgezogen hat. "Die Giebelwand droht einzustürzen und muss abgestützt werden", erklärt der 27-Jährige mit der kantigen Brille knapp die Übungsaufgabe. Dann versenkt er mit leichtem Hammerschlag Kippstifte in einer Lochscheibe, um Gerüstteile miteinander zu verbinden. Eigentlich ist Radde Softwareingenieur im Satellitenbau, beim THW Gruppenführer der ersten Bergungsgruppe. Vor einem Jahr war dann Eile angesagt: Tasche packen, zusammen mit drei anderen Helfern ging es in das von der Flut heimgesuchte Ahrtal, um den THW-Einsatz dort zu unterstützen.
Rund 84.000 Menschen bringen sich beim THW ein
Zwei Wochen lang half Radde im Logistikstützpunkt, die freiwilligen Helfer mit Material zu versorgen. Nachts schlief er zu acht im Zelt, auf Feldbetten. "Geht, wenn man Ohrstöpsel dabei hat", sagt er und grinst. Anstrengende Tage - auch wenn er hinter den Kulissen und nicht an vorderster Front im Einsatz war. Für ihn sei das THW ein "guter Ausgleich" und Helfen einfach schön, sagt er - genauso wie die Kameradschaft unter THWlern. "Es gibt ja kaum ein Gerät bei uns, das man allein bedienen kann." Das verdeutliche ganz gut, wie wichtig der Teamgeist sei.
Mit ihrer Leidenschaft fürs Helfen sind Kataw und Radde nicht allein: Rund 84.000 Menschen engagieren sich bundesweit beim THW, so viele wie seit Jahren nicht.
Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, bei der über 180 Menschen ums Leben kamen, viele verletzt und ganze Ortschaften verwüstet wurden, scheint vielen vor Augen geführt zu haben, wie unersetzlich die "Blauen Engel" sind, wie die Helfer aufgrund ihrer blauen Montur oft genannt werden: Rund 16.000 THW-Kräfte aus ganz Deutschland leisteten mehr als 2,5 Millionen Einsatzstunden - dieser Fluteinsatz ist bis heute der größte in der 72-jährigen Geschichte des Technischen Hilfswerks. Die Zahl der Neueintritte stieg 2021 auf knapp 9.000, im Vergleich zum Vorjahr eine Verdopplung. Eine gute Nachricht für das THW, denn die Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums ist auf Freiwillige dringend angewiesen. Weltweit einmalig ist ihre Struktur: Nur zwei Prozent der Mitarbeiter sind hauptamtlich im Dienst, 98 Prozent arbeiten ehrenamtlich.
Haushaltsberatungen: Bundestag stärkte THW
Ein Anruf beim Präsidenten des Technischen Hilfswerks, Gerd Friedsam, in Bonn: Fürchtete er nicht eine Überforderung angesichts einer immer schnelleren Folge von Krisen und Katastrophen in den vergangenen Jahren? Da war nicht nur die Jahrhundertflut, sondern auch Corona und zuletzt der Krieg in der Ukraine, der auch die Rolle des THW für den Zivilschutz im Verteidigungsfall wieder stärker den Vordergrund rückte. "Nein", sagt Friedsam ins Telefon. Die flächendeckenden Einsätze hätten die Durchhaltefähigkeit des THW zwar gefordert. "Aber wir hatten nie Engpässe." Trotzdem verlangten Klimawandel und veränderte Sicherheitslage Anpassungen, räumt er ein und meint damit auch: mehr Ausstattung.
Tatsächlich hat der Bundestag in den Beratungen zum Haushalt 2022 das THW erneut gestärkt: Über 590 Millionen Euro gibt es etwa für die Cyberhilfe, neue Logistikzentren und mehr hochgeländefähige Fahrzeuge, wie sie bei Hochwassereinsätzen gebraucht werden.
Der Bund ist zuständig für den Zivilschutz, die Länder und Gemeinden für den Katastrophenschutz. Wie greift im Fall der Fälle eine Hand in die andere?
Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz wird in den kommenden Jahren ein Riesenthema. Jetzt eingeleitete Maßnahmen sind erst der Anfang.
Der oberste Bevölkerungsschützer des Landes, Ralph Tiesler, will, dass die Menschen Krisen nicht ohnmächtig gegenüber stehen, sondern handlungsfähig sind.
In einem ganz ähnlichen Geländefahrzeug kämpft sich Michael Niesel durch den märkischen Sand: Abseits der "Panzerplatten", wie er die gepflasterten Wege auf dem Truppenübungsplatz nennt, hinterlässt der Lkw mit Ladekran tiefe Spurrillen. Nur schwer lässt er sich lenken. Offroad-Fahren sei daher fester Bestandteil der THW-Kraftfahrausbildung, berichtet Niesel. Dann plötzlich ein gewaltiger Ruck. Im Führerhaus kommt einiges ins Rutschen: Stifte, Klemmbrett, einzelne Zettel rauschen zu Boden, als der 18-Tonner plötzlich steckenbleibt. Es stinkt nach Gummi. "Gruß von den Reifen", sagt Niesel und schaltet die Differenzialsperre ein, die das Durchdrehen der Räder verhindern soll.
Wesentlich besser duftet es im Lager: Vor seinem Küchencontainer hat Asmir Maglic Hähnchenbrust zum Mittagessen gegrillt und schneidet nun Tomaten in Ringe. In Berührung mit den "Blauen Engeln" kam der 36-Jährige schon als Kind: Neben dem Wohnheim, in dem er mit seinen Eltern nach der Flucht vor dem Krieg in Bosnien lebte, hatte das THW in einer ehemaligen Kaserne sein Quartier. "Da war oft Blaulicht", sagt Maglic. Mit 17 Jahren wurde er Mitglied. Er wollte etwas zurückgeben. Der Ukrainekrieg habe plötzlich Erinnerungen an die eigene Flucht wachgerufen. Er baute Feldbetten für Notunterkünfte auf: "Als ich die Kinder sah, kamen mir die Tränen." Doch er machte weiter. Solche Einsätze gäben ihm viel, meint Maglic dann noch. Das THW habe ihn etwas ganz Wertvolles gelehrt: "Abschalten, arbeiten, im Hier und Jetzt sein."