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Bundeswehr und Bundestag : Die Armee des Parlaments

Die Bundeswehr unterliegt der parlamentarischen Kontrolle. Und in Kampfeinsätze oder gar in den Krieg darf sie nur mit Zustimmung des Bundestags entsendet werden.

02.09.2024
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Die Nato ist nicht nur Militärbündnis, sondern auch Wertebündnis", betonte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas anlässlich des Festaktes zum 75-jährigen Jubiläum der Nato am 15. Mai in Berlin. Und sie fügte an: "Deswegen ist die Beteiligung der Parlamente so wichtig! Das gilt ganz besonders für Deutschland. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee." Wohl kaum ein Satz fällt so häufig in der ein oder anderen Variante im Plenarsaal des Bundestags, wenn die Abgeordneten über die Belange der deutschen Streitkräfte debattieren. Sei es, dass sie über das Mandat für einen Auslandseinsatz der Truppe abstimmen, über den Jahresbericht der Wehrbeauftragten beraten, über eine mögliche Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht streiten, über Versorgungsleistungen für Soldaten, die Beschaffung von Ausrüstung oder ganz prinzipiell über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr befinden. All dies fällt in die Kompetenz des Bundestags und nicht etwa der Bundesregierung.

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz gibt es seit 2004

So selbstverständlich die Phrase von der Parlamentsarmee auch klingen mag, eine Selbstverständlichkeit ist sie nicht. Auch im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien, wie etwa den präsidialen Regierungssystemen der USA oder Frankreichs, sind die Kompetenzen und die Kontrollrechte des Bundestags gegenüber den Streitkräften außergewöhnlich groß. Durchgesetzt hat sich der Begriff Parlamentsarmee in der Bundesrepublik aber letztlich erst mit dem sogenannten Out-of-Area-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1992, das den Weg endgültig frei machte für bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr "im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit", dem Deutschland laut Grundgesetz (Artikel 24) beitreten kann. Die Karlsruher Richter hatten in ihrem Urteil aber auch festgehalten, dass die Bundeswehr ein "Parlamentsheer" sei und seine Entsendung in solche Einsätze nur mit Zustimmung des Bundestags erfolgen darf. Über die konkrete Ausgestaltung dieser Vorgabe sollte der Gesetzgeber entscheiden.

Foto: picture-alliance/dpa/Christophe Gateau

Soldaten der Bundeswehr marschieren zum Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude auf.

Um so erstaunlicher war es dann, dass sich der Gesetzgeber immerhin zwölf Jahre Zeit ließ, um dieser Aufforderung des Gerichts nachzukommen. Am 3. Dezember 2004 verabschiedete der Bundestag schließlich den von den damaligen Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Entwurf des Parlamentsbeteiligungsgesetzes.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Bundestag bereits über 50 Mandate für Auslandseinsätze beziehungsweise deren Verlängerung ausschließlich auf Grundlage des Out-of-Area-Urteils entschieden. Das Gesetz schrieb nun endgültig fest, dass die Entsendung bewaffneter Streitkräfte der Zustimmung des Parlaments bedarf und dass es den Einsatz auch jederzeit beenden darf. Lediglich bei "Gefahr in Verzug", etwa im Fall von Geiselbefreiungen, kann die Zustimmung des Bundestages auch nachträglich erteilt werden. Zudem ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag über den Verlauf aller Einsätze regelmäßig zu unterrichten. Umgekehrt kann der Antrag auf Entsendung deutscher Soldaten aber auch nur von der Bundesregierung beantragt werden. Ein Initiativrecht wie in der Gesetzgebung haben der Bundestag beziehungsweise die Fraktionen nicht.

Auch wenn die Opposition aus CDU/CSU und die FDP dem konkreten Gesetzentwurf ablehnten, stimmte sie den Grundsätzen des Gesetzes durchaus zu. Die Rechte des Bundestags würden gestärkt und das Prinzip der Parlamentsarmee nun auch gesetzlich festgeschrieben, lautete der allgemeine Tenor.

Kritik von Links an Auslandseinsätzen

Massive Kritik wurde lediglich von Seiten der beiden fraktionslosen PDS-Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch laut, deren Partei die Auslandseinsätze prinzipiell ablehnte. Mit dem Gesetz entmündige sich das Parlament selbst, führte Pau an und verwies darauf, dass der Bundestag in der Tat an den von der Regierung vorgelegten Mandatsanträgen für Auslandseinsätze im Gegensatz etwa zu Gesetzentwürfen keine Änderungen vornehmen kann. "Er kann im Nachhinein nur noch Ja oder Nein sagen. Damit entzieht sich der Bundestag jedem Pro und Kontra. Er unterwirft sich den Entscheidungen einer Regierung, die er eigentlich nach allen Regeln der Demokratie beauftragen und kontrollieren soll", argumentierte die Abgeordnete.

Mit der Entscheidung über das Parlamentsbeteiligungsgesetz war die Anfang der 1990er Jahre noch diskutierte Änderung beziehungsweise Ergänzung des Grundgesetzes über die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr endgültig vom Tisch. Alle im Bundestag vertretenen Parteien hatten noch 1992 entsprechende Gesetzesentwürfe oder Anträge eingebracht, doch eine Mehrheit fanden sie alle nicht. So heißt es bis heute in Artikel 87a des Grundgesetzes lapidar, dass der Bund "Streitkräfte zur Verteidigung" aufstellt und dass sie "außer zur Verteidigung" nur eingesetzt werden dürfen, "soweit es dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt".

Als der Bundestag Mitte der 1950er Jahre nach der langen und erbitterten Debatte über die Wiederbewaffnung schließlich mit der sogenannten Wehrverfassung die rechtlichen Grundlagen für die Aufstellung der Bundeswehr geschaffen hatte, waren der Verfügungsgewalt der Bundesregierung über die neue Armee im Grundgesetz enge Grenzen gesetzt worden. Die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr wurde in Friedenszeiten zwar in die Hände des Verteidigungsministers gelegt (Artikel 65a) und sollte im Verteidigungsfall an den Bundeskanzler übergehen (Artikel 115b). Allerdings muss eben dieser Verteidigungsfall vorher von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Und er muss vom Bundespräsidenten verkündet werden.

Verbot des Angriffskriegs

Das Recht, einen Krieg zu erklären, wie es etwa die amerikanische Verfassung dem Kongress zubilligt, kennt das Grundgesetz hingegen nicht. Im Gegenteil: Schon die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten in Artikel 26 festhalten lassen, dass "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" verfassungswidrig sind und unter Strafe stehen. Und selbst das Recht auf Kriegsdienstverweigerung fand sich in der Urfassung des Grundgesetzes von 1949. Und dies, obwohl zu diesem Zeitpunkt niemand an eine deutsche Armee dachte.

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Alle Bestimmungen der Wehrverfassung von 1956 waren die Reaktion auf den vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg. Die Bundeswehr sollte ausschließlich der Verteidigung dienen und einer engen parlamentarischen Kontrolle unterzogen werden. So wurde die Einrichtung des Verteidigungsausschusses im Grundgesetz (Artikel 45a) festgeschrieben, der sich zudem auch ohne Beschluss des Plenums als Untersuchungsausschuss konstituieren muss, wenn dies ein Viertel seiner Mitglieder verlangt. Mit dem Wehrbeauftragten wurde zudem ein Amt im Grundgesetz verankert, das den Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle unterstützen, die Grundrechte der Soldaten schützen sowie über die Einhaltung der Prinzipien der Inneren Führung und des Leitbilds vom Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" wachen sollte.

Den mächtigste Hebel des Bundestags liegt jedoch sicherlich in seinem Haushaltsrecht. Er entscheidet über die Finanzierung und damit über die Stärke der Streitkräfte. Und der Haushaltsausschuss behält sich das Recht vor, über jede Ausgabe der Bundeswehr von mehr als 25 Millionen Euro im Wehretat zu entscheiden.

Schröder verband Afghanistan-Einsatz mit Vertrauensfrage

Doch auch die Bundesregierung verfügt über ihre Machtmittel, um ihren Willen durchzusetzen. So verknüpfte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2001 die Entscheidung über die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan mit der Vertrauensfrage an den Bundestag, um eine eigene Mehrheit aus den Reihen der Abgeordneten der SPD und der Grünen regelrecht zu erzwingen. Die Bereitschaft, deutsche Soldaten auch in Kampfeinsätze zu schicken, war zu einer Frage der Regierungsfähigkeit erhoben worden.