Wehrbeauftragte des Bundestages : Der Kummerkasten und die Kanonenrohre der Truppe
Der Wehrbeauftragte soll die Bundeswehr kontrollieren und die Grundrechte in der Soldaten schützen. Das sorgt seit Bestehen des Amts mitunter für politischen Streit.
Er war noch gar nicht im Amt und sorgte dennoch schon für reichlich politischen Zoff: Angesichts dreier gefallener und acht verwundeter deutscher Soldaten während des sogenannten Karfreitagsgefechtes zwischen einer Fallschirmjägereinheit und Taliban-Kämpfern am 2. April 2010 in der nordafghanischen Provinz Kundus forderte der FDP-Parlamentarier und designierte neue Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, die Verstärkung des deutschen ISAF-Kontingentes mit Kampfpanzern: "Wer in das Kanonenrohr eines Leopard 2 schaut, überlegt es sich zweimal, ob er eine deutsche Patrouille angreift."
Die markigen Worte des angehenden Wehrbeauftragten - der Bundestag hatte ihn eine Woche zuvor in das Amt gewählt, das er schließlich am 20. Mai antreten sollte - lösten heftige Kritik aus. Als "abenteuerlich" bezeichnete der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold die Forderung und sein Kollege Omid Nouripour von den Grünen ätzte, die Bundeswehr benötige "keine überflüssigen Ratschläge von selbsternannten Hobbyfeldherrn". Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah sich veranlasst, Königshaus zu rüffeln: Über Afghanistan sei zuletzt "von vielen Seiten leider viel Inkompetentes gesagt worden". Offen wurde von Politikern wie von der Presse die Frage aufgeworfen, ob Königshaus die Job-Beschreibung des Wehrbeauftragten nicht verstanden habe.
Seit 1956 im Grundgesetz verankert, Vorbild war schwedischer Militie-Ombudsman
"Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen", heißt es seit dem 19. März 1956 in Artikel 45 b des Grundgesetzes. Welche Aufgaben dies umfasst und welche Rechte und Kompetenzen konkret damit verbunden sind, formulierte der Bundestag rund ein Jahr später im Wehrbeauftragten-Gesetz.
Zu den Rechten der Wehrbeauftragten gehören auch unangemeldete Truppenbesuche. Hier besucht Eva Högl im Juni 2022 das Objektschutzregiment der Luftwaffe "Friesland".
Unterschiedliche Ansichten über die Kompetenzen und harte politische Auseinandersetzungen über diese Frage begleiteten das Amt, das nach dem Vorbild des schwedischen Militie-Ombudsman geschaffen worden war, von Anfang an. So löste der erste Jahresbericht des ersten Wehrbeauftragten, Helmuth von Grolman, im Jahr 1960 heftige Debatten und den Unmut von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) aus. Grolman hatte den schnellen Aufbau der Bundeswehr moniert und gemahnt, dieser wirke sich nachteilig auf den Geist und die Stimmung unter den Soldaten aus. Dadurch könne gar das Vertrauen der Truppe "zum Parlament und zur Demokratie gefährdet werden". Strauß warf Grolman eine "Zuständigkeitsüberschreitung" vor.
Immer wieder Streit über Kompetenzen
Schließlich richtete der Verteidigungsausschuss gar einen Unterausschuss ein, der sich mit der Frage auseinandersetze. Im Ergebnis einigte man sich, dass der Wehrbeauftragte nicht zu politischen Entscheidungen von Parlament und Regierung Stellung nehmen soll.
Beigelegt war der Streit damit aber nur kurzzeitig. Bereits vier Jahre später eskalierte er erneut, als Grolmans Nachfolger Hellmuth Heye seinen Jahresbericht für 1963 in einer nochmals verschärften Form in der Illustrierten "Quick" veröffentlichte, weil er der Meinung war, der Bundestag habe dem Bericht zu wenig Beachtung geschenkt. Heye hatte vor einer gesellschaftlichen Selbstisolierung der Bundeswehr gewarnt. Schließlich trat Heye zurück.
“Einkaufberater” in rüstungspolitischen Fragen?
Rund ein halbes Jahrhundert später konterte Hellmut Königshaus den Vorwurf der Kompetenzüberschreitung mit dem Argument, dass zu den Grundrechten der Soldaten, die er als Wehrbeauftragter zu schützen habe, vor allem der Schutz von Leib und Leben gehöre. Und dies sei nun mal auch eine Frage, welche Ausrüstung ihnen in den Auslandseinsätzen zur Verfügung steht. Als er später vehement für die Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die Truppe eintrat, hielt ihm die SPD-Abgeordnete Karin Evers-Meyer (SPD) trotzdem prompt entgegen, es gehöre nicht zu den Aufgaben eines Wehrbeauftragten, sich als "Einkaufsberater" in rüstungspolitischen Fragen zu betätigen.
Aufzulösen ist der Konflikt um die Kompetenzen des Wehrbeauftragten wohl nicht, weil sich die Frage, was "politisch" ist oder nicht, nicht trennscharf beantworten lässt. Wenn die amtierende Wehrbeauftragte Eva Högl unter Berufung auf hohe Militärs der Bundeswehr darauf hinweist, dass die Bundeswehr wohl eher 300 Milliarden Euro benötige als die 100 Milliarden des Sondervermögens, dann mag dies zwar keine direkte politische Forderung sein. Eine politische Wirkung hat diese Aussage in der aktuellen Debatte über die Höhe des Verteidigungshaushaltes allemal.
Recht auf Akteneinsicht und unangekündigte Truppenbesuche
Unbestritten hingegen sind die gesetzlich verbrieften Rechte des Wehrbeauftragten. So kann Eva Högl unter anderem Akteneinsicht vom Verteidigungsministerium und all seinen Dienststellen verlangen oder Berichte über die Ausübung der Disziplinarbefugnis in den Streitkräften anfordern. Vor allem aber darf sie jederzeit alle Truppenteile und Einrichtungen der Bundeswehr persönlich besuchen - auch ohne vorherige Anmeldung.
Die Bundeswehr unterliegt der parlamentarischen Kontrolle. Und in Kampfeinsätze oder gar in den Krieg darf sie nur mit Zustimmung des Bundestags entsendet werden.
Am 19. Februar 1959 wird Helmuth von Grolman nach langer Suche zum ersten Wehrbeauftragen des Bundestages gewählt.Aller Skepsis zum Trotz nahmen ihn die Soldaten an.
Das für die Soldaten wohl wichtigste Recht jedoch ist es, sich jederzeit und unter Umgehung des Dienstweges mit Beschwerden und sonstigen Eingaben an das Büro der Wehrbeauftragten zu wenden. In den vergangenen fünf Jahren gingen jährlich durchschnittlich rund 3.900 solcher Eingaben beim parlamentarischen Kummerkasten der Truppe ein. "Beschweren darf sich der Soldat beim Wehrbeauftragten, aber er soll es nicht." Diesen Satz eines Kompaniechefs aus dem Jahr 1961 in einem Fernsehinterview wird heute kein Offizier oder Politiker mehr öffentlich äußern. Aber manch einer mag es denken.