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Verteidigung : Es fehlt der scharfe Schuss

Durch das Sondervermögen steigen die Ausgaben im Wehretat auf rund 59 Milliarden Euro. Doch der Bundeswehr mangelt es an Munition.

28.11.2022
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5 Min

Die Antwort der Bundesregierung von Mitte November auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion nach den Zusagen Deutschlands an die Nato bezüglich der Munitionsvorräte der Bundeswehr fiel vielsagend aus: Eine Offenlegung der angefragten Informationen würde eine "detaillierte Lage über die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft wesentlicher Teile der Bundeswehr aktuell und für die nächsten Jahre abgeben" und sei deshalb nicht möglich, heißt es in der Drucksache. Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass eine offene Beantwortung von Kleinen Anfragen zur Bundeswehr mit Verweis auf Geheimhaltung unterbleibt. Meist werden solche Antworten als Verschlusssache eingestuft und in der Geheimschutzstelle des Bundestages für berechtigte Parlamentarier zur Einsicht hinterlegt. Doch auch dies kam für die Bundesregierung in diesem Fall nicht in Frage, weil auch dieses Verfahren der "erheblichen Brisanz im Hinblick auf die Bedeutung für die Aufgabenerfüllung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nicht ausreichend Rechnung tragen" würde. Der Schutz des Staatswohls wiege schwerer als das parlamentarische Informationsrecht, heißt es weiter.

Bundeswehr leidet unter akutem Munitionsmangel

Während des Kalten Krieges stapelte sich in den Depots der Bundeswehr für den Verteidigungsfall Munition für ungefähr 30 Tage. Doch diese Bestände sind im wahrsten Sinne des Wortes längst verschossen. Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels warnte bereits vor sechs Jahren, dass die Vorräte an Gefechtsmunition in einem Kriegsfall lediglich für zwei Tage reichten. An diesem Zustand hat sich bis heute offenbar wenig geändert. Dramatisch geändert hat sich aber die sicherheitspolitische Lage in Europa nach dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Und da zu Deutschlands Militärhilfe für die Ukraine auch Munition in großem Umfang gehört, verschärft sich das Munitionsproblem in der Truppe weiter. Rund 20 Milliarden Euro müssten aufgebracht werden, um die Munitionsdepots wieder aufzufüllen, verkündete denn auch die Wehrbeauftragte Eva Högl Anfang Oktober gegenüber der Presse.

Foto: picture-alliance/obs/Arno Burgi

Munition im Wert von rund 20 Milliarden Euro sollen nach Aussagen von Militärexperten der Bundeswehr aktuell fehlen. Bis 2028 sollen rund drei Milliarden Euro bereitgestellt werden.

Angesichts der prekären Lage zeigten sich die Haushaltspolitiker der Ampelkoalition während der Verhandlungen über den 50,12 Milliarden Euro umfassenden Verteidigungsetat 2023, den der Bundestag in der vergangenen Woche verabschiedete, einsichtig. Um eine Milliarde Euro seien die geplanten Ausgaben für Munition gegenüber dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung erhöht worden, führten Andreas Schwarz (SPD), Sebastian Schäfer (Grüne) und Karsten Klein (FDP) aus. Allerdings bezieht sich die Erhöhung erst auf die geplanten Ausgaben in den Jahren 2024 bis 2028. Im kommenden Jahr sind für die Munitionsbeschaffung zunächst 1,125 Milliarden Euro eingeplant, 125 Millionen Euro mehr als Regierungsentwurf vorgesehen. Insgesamt sollen zwischen 2023 bis 2028 annähernd drei Milliarden Euro für Munition bereitgestellt werden.

Sondervermögen soll die Beschaffung von Schiffen, Flugzeugen und Panzern ermöglichen

Finanziert werden soll die Munitionsbeschaffung aus dem regulären Wehretat. Das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro, das Bundestag und Bundesrat noch vor der Sommerpause durch eine Grundgesetzänderung ermöglicht hatten, soll vor allem für die Beschaffung von dringend benötigtem modernem Großgerät wie Schiffen, Flugzeugen und Panzern sowie Ausrüstung in den Bereichen Kommunikation und Digitalisierung verwendet werden. Im kommenden Jahr sollen 8,4 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für militärische Beschaffungen aufgewendet werden. Aus dem Wehretat fließen weitere 7,76 Milliarden Euro in die Beschaffungen.

Insgesamt addieren sich die Verteidigungsausgaben Deutschlands im kommenden Jahr auf insgesamt 58,6 Milliarden Euro. "Dies ist ein Rekordwert", beschied der SPD-Haushaltspolitiker Schwarz. "So eine Summe hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben." Die Regierungskoalition habe innerhalb eines Jahres wichtige und richtige Entscheidungen gefällt, führte Schwarz an und benannte als Beispiele die Beschaffung des Schweren Transporthubschraubers CH-47F "Chinook" von Boing und des Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeuges F-35 des ebenfalls amerikanischen Herstellers Lockeed Martin.

Union  trotz der Rekordausgaben nicht zufrieden

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Doch trotz der Rekordausgaben zeigte sich die Unionsfraktion mehr als unzufrieden. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ab sofort mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben, sei "bestenfalls eine vollmundige Sonntagsrede geblieben oder eine grandiose Täuschung der deutschen Öffentlichkeit, der Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr und unserer Verbündeten und Partner", befand der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul (CDU). Unter Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) werde die Bundeswehr "jeden Tag schwächer. Kein einziges Beschaffungsvorhaben wird realisiert, überhaupt nichts wird geliefert." Die Artillerietruppe beispielsweise sei "im Grunde ohne Munition und könne nicht mehr den scharfen Schuss üben", bemängelte Wadephul.

Das Urteil der AfD fiel ebenso verheerend aus. Die Bundesregierung schaffe es zwar, 100 Milliarden Euro Schulden für das Sondervermögen zu machen, aber sie schaffe es nicht, das Geld auch auszugeben, kritisierte deren verteidigungspolitischer Sprecher Rüdiger Lucassen. Gleichzeitig verliere das Sondervermögen durch die hohe Inflation massiv an Kaufkraft. Zudem werde der Kauf von amerikanischen Kampfjets und Hubschraubern durch die Schwäche des Euro gegenüber dem US-Dollar immer teurer, argumentierte Lucassen.

Lambrecht: Dass im ersten Jahr das Zwei-Prozent-Ziel nicht erreicht wird, war klar

Die gescholtene Verteidigungsministerin wies die Kritik von Union und AfD zurück. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass im ersten Jahr das Zwei-Prozent-Ziel mit dem Sondervermögen nicht erreicht werden kann, sagte Christine Lambrecht (SPD). Das Zwei-Prozent-Ziel werde im Durchschnitt über fünf Jahre erreicht, so sei es auch im Begleitgesetz zum Sondervermögen formuliert, dem auch die Union zugestimmt habe. Die Regierung setze die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende in konkrete Schritte um. Lambrecht verwies auf das europäische Luftverteidigungssystem (European Sky Shield), das von Deutschland initiiert worden sei. An der Initiative beteiligen sich neben Deutschland 14 weitere europäische Nato-Staaten. Ziel ist es, Lücken in der Luftverteidigung gegen ballistische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen zu schließen.


„Es wird ein Gespräch mit ausgewählten Vertretern der Rüstungsindustrie auf Beamtenebene geben.“
Christiane Hoffmann, stellvertretende Regierungssprecherin

Die Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch treibt mit Blick auf den Wehretat ganz andere Sorgen um. Obwohl die Verteidigungsausgaben von 32,4 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 50,4 Milliarden Euro im laufenden Jahr gestiegen seien, habe sich am schlechten Zustand der Bundeswehr aber nichts geändert, monierte Lötzsch. In Wirklichkeit gehe es nicht um die Landesverteidigung, sondern um die Geschäfte der Rüstungsindustrie. So habe sich der Aktienwert des Rüstungskonzerns Rheinmetall seit Ankündigung des Sondervermögens verdreifacht. "Das ist Politik für vermögende Aktionäre."

Bundesregierung plant Treffen im Kanzleramt 

So oder so lassen sich die Probleme der Bundeswehr aber ohne die Rüstungsindustrie nicht lösen. Deshalb will nun das Kanzleramt mit Fachleuten aus der Industrie über die Munitionsbeschaffung reden. "Es wird ein Gespräch mit ausgewählten Vertretern der Rüstungsindustrie auf Beamtenebene geben", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am vergangenen Freitag.