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Erster Bundestag : Aufbruch in den Übergang

Am 7. September 1949 tritt der erste Deutsche Bundestag in Bonn zusammen. Die BRD ringt um die zukünftige Sozial- und Wirtschaftsordnung und ihre Rolle in Europa.

11.04.2023
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5 Min
Foto: picture-alliance/akg.images

Alterspräsident Paul Löbe (SPD) eröffnet am 7. September 1949 den ersten Deutschen Bundestag.

Was erhofft sich das deutsche Volk von der Arbeit des Bundestags? Dass wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenführen." Diese mahnenden Worte könnten so oder ähnlich bei jeder konstituierenden Sitzung des Bundestages zu hören sein. Lediglich der zweimalige Gebrauch des Wörtchens "neu" zeigt, dass dem nicht so ist. Gerade mal zwölf Monate nach Einsetzung des Parlamentarischen Rates im September 1948 eröffnet Paul Löbe (SPD) als Alterspräsident am 7. September 1949 die konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestages und gibt den 402 Abgeordneten diesen Arbeitsauftrag mit auf den Weg.

In der Woche nach der Konstituierung erfüllen die Abgeordneten dann auch prompt den ersten Teil des Arbeitsauftrags und wählen am 15. September Konrad Adenauer (CDU) zum ersten Kanzler der Bundesrepublik. Drei Tage zuvor hatten sie bereits gemeinsam mit den Vertretern aus den Ländern in der Bundesversammlung Theodor Heuss (FDP) zum ersten Bundespräsidenten erkoren.

In der nach heutigen Maßstäben wahren Rekordzeit von nur zwölf Monaten hat sich der Weststaat eine Verfassung und ein Wahlrecht gegeben, eine erste Bundestagswahl nebst Wahlkampf absolviert, den Bundestag konstituiert, ein Staatsoberhaupt gewählt und eine Regierung gebildet. Nur zum Vergleich: Nach der Bundestagswahl von 2017 benötigte allein die Regierungsbildung rund fünf Monate.

Verfassungsgebung unter strenger Aufsicht

Einfacher als heute gestaltete sich die Politik vor 75 Jahren definitiv nicht. Im Gegenteil: Die Verfassungsgebung und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland fand unter den wachsamen und strengen Augen der alliierten Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Frankreich statt. Nachdem diese dem Verfassungsentwurf unter diversen Vorbehalten und Verweis auf das Besatzungsstatut zugestimmt hatten, mussten auch die elf Bundesländer überzeugt werden - was im Falle Bayerns nicht ganz so einfach war.

Vor allem aber die innenpolitische Diskussion über die Zukunft der Bundesrepublik und auch jener Teile Deutschlands im Osten unter sowjetischer Besatzung waren an Heftigkeit kaum zu überbieten. Dies hatte sich bereits in den Beratungen des Parlamentarischen Rates gezeigt und sollte sich im Bundestagswahlkampf von 1949, der als einer der härtesten in der Geschichte der Bundesrepublik gilt, erneut zeigen.

Auch wenn mit dem Grundgesetz die entscheidenden Leitplanken für den Aufbau eines demokratischen und föderalen Rechtsstaates gezogen waren, war die Frage nach der zukünftigen Wirtschafts- und Sozialordnung noch weitgehend offen. Während die CDU unter Konrad Adenauer gemäß ihrer Düsseldorfer Leitsätze die Parole von einer "sozialen Marktwirtschaft" ausgegeben hatte, setzte die SPD unter Kurt Schumacher auf einen "radikalen sozialen Lastenausgleich" und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien.

Ein zweites wichtiges Wahlkampfthema stellte die Frage der deutschen Einheit dar. Einerseits bekannten sich alle deutsche Parteien zur Einheit des besetzten und in Besatzungszonen aufgeteilten Deutschlands - dies schloss auch die Gebiete östlich von Oder und Neiße im heutigen Polen mit ein. Anderseits trat Adenauer entschlossen für eine Anbindung der Bundesrepublik an die Staaten Westeuropas ein, was auf den Widerstand Schumachers stieß, der darin eine Gefährdung einer deutschen Einheit sah.

19 Parteien warben um 31 Millionen Wählerinnen und Wähler

Insgesamt 19 Parteien warben im Sommer 1949 um die Gunst der rund 31 Millionen wahlberechtigten Deutschen. Neben den Unionsparteien CDU und CSU standen im bürgerlich-konservativen Lager gleich mehrere Mitbewerber zur Auswahl. Die marktwirtschaftlich orientierte FDP positionierte sich klar rechts von der Union und versuchte mit antiklerikalen und nationalen Tönen zu punkten, forderte unter der Überschrift "Schlussstrich drunter" ein Ende der Entnazifizierung, der "Entrechtung" und "Entmündigung" der Deutschen durch die Alliierten.

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In Bayern wiederum versuchte die Bayernpartei (BP) sich neben der CSU als die wahre Interessenvertretung des Freistaates zu profilieren, rief nach einem eigenen unabhängigen Staat oder für eine zumindest möglichst starke Stellung Bayerns in der föderalen Bundesrepublik.

Die Deutsche Zentrumspartei (DZP) warb wie schon in der Weimarer Republik um die Stimmen der katholischen Wählerschaft, die nationalkonservative Deutsche Partei (DP) in ihren norddeutschen Hochburgen engagierte sich vor allem für Vertriebene und ehemalige Wehrmachtsangehörige und die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) um den Mittelstand.

Im linken Lager trat neben der SPD schließlich noch die Kommunistische Partei Deutschlands an (KPD), die sich durchaus Hoffnungen auf ein erfolgreiches Abschneiden bei der Bundestagswahl machen konnte.

Kurt Schumacher und Konrad Adenauer lieferten sich ein Kopf-an Kopf-Rennen

Von Anfang an zeichnete sich jedoch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Union und der SPD ab - mit ungewissem Ausgang. So war denn auch der Wahlkampf stark von den beiden Hauptprotagonisten Kurt Schumacher und Konrad Adenauer geprägt, die sich mitunter erbittert attackierten. Vor allem Schumacher, gezeichnet von einer schweren Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg und seiner zehnjährigen KZ-Haft, neigte zu heftigen - auch persönlichen - Angriffen.

Die Union bezeichnete er wahlweise als "heidnischste aller Parteien" oder als Vertreter des "Mammons" und der "Kriegsgewinnler" und Adenauer als "Lügenauer". Der so Gescholtene wiederum revanchierte sich, obwohl er sich insgesamt um ein deutlich staatsmännischeres und auch witzigeres Auftreten bemühte, indem er die Sozialdemokraten wahlweise eines "abgekaterten Spiels mit der britischen Regierung" oder der Nähe zu den Kommunisten bezichtigte, was angesichts der stramm antikommunistischen Haltung Schumachers recht verwegen war.

Am Ende hatten Adenauer und die Unionsparteien das Ringen um die Wählergunst mit 31 Prozent der Stimmen knapp vor der SPD (29,2) hauchdünn gewonnen. Gemeinsam mit der FDP (11,9) und DP (4) bildete er eine Koalition, die im Bundestag mit 208 Sitzen eine knappe Mehrheit vor der Opposition (194) hatte. Bei seiner Wahl zum Kanzler brachte es Adenauer gar nur auf 202 Stimmen - eine mehr als benötigt.


„Mit der Fortsetzung dieser Ausbrüche ist dem deutschen Volke nicht gedient. Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat“
Paul Löbe

Angesichts des erbitterten Wahlkampfes sah sich denn auch Alterspräsident Paul Löbe in der konstituierenden Sitzung des Bundestages genötigt, den Abgeordneten ins Gewissen zu reden: Das "erträgliche ,Maß" sei im Wahlkampf "weit überschritten" worden. "Mit der Fortsetzung dieser Ausbrüche ist dem deutschen Volke nicht gedient. Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat". Die Mahnung nach verbaler Mäßigung brachte zwar nur wenig Erfolg, der Ruf nach "aufbauender Tat" dafür umso größeren.

Das Grundgesetz - ein Provisorium bis zur Wiedervereinigung

Das Grundgesetz sollte laut seiner Präambel dem "staatlichen Leben" bis zur Vollendung einer anzustrebenden Einheit Deutschlands lediglich "für eine Übergangszeit eine neue Ordnung geben". Dass diese Übergangszeit vier Jahrzehnte andauern sollte, war 1949 ebenso wenig abzusehen wie der Ausgang des dritten Anlaufs in Deutschland zur Schaffung einer parlamentarischen Demokratie.

Löbe und der in der konstituierenden Sitzung gewählte erste Bundestagspräsident Erich Köhler (CDU) erinnerten in auffälliger Übereinstimmung an einen weiteren Auftrag der Präambel: die Schaffung eines vereinten Europas. So habe man in Artikel 24 Grundgesetz "den Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte schon im voraus ausgesprochen, um dieses geschichtlich notwendige höhere Staatengebilde zu schaffen", führte Löbe aus und sprach von den "Vereinigten Staaten von Europa".

Dass ein neu geschaffenes und gewähltes Parlament bereits in seiner allerersten Sitzung die Abtretung von Souveränitätsrechten, die es wegen des geltenden Besatzungsstatuts noch gar nicht vollumfänglich inne hatte, in Aussicht stellt, kann man getrost als visionär bezeichnen. Und mutig angesichts eines Aufbruchs in den Übergang.