Anhörung im Kulturausschuss : "Das verhindert eine deutsche Nabelschau"
Das geplante Dokumentationszentrum Zweiter Weltkrieg und Besatzungsherrschaft stößt bei Experten prinzipiell auf Zustimmung, sie haben trotzdem Änderungswünsche.
Das geplante Dokumentationszentrum "Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa" und der vom Deutschen Historischen Museum vorgelegte Realisierungsvorschlag stoßen bei Historikern prinzipiell auf viel Zustimmung. Während einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am vergangenen Montag äußerten die geladenen Sachverständigen jedoch auch Nachbesserungswünsche an der Konzeption, die unter anderem eine ständige Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzungsherrschaft ergänzt durch Wechselausstellungen zu verschiedenen Aspekten der Geschichte vorsieht.
1940: Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris.
Russische Desinformation zeigt, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema ist
Zu den Aufgaben des Zentrums sollen zudem die Entwicklung von Bildungsangeboten, die Erforschung der europäischen Geschichte der Jahre 1939 bis 1945 und die Entwicklung eines Konzeptes "für individuelle Reflexion und individuelles Gedenken" in den eigenen Räumlichkeiten gehören.
Der Historiker Martin Aust von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn begrüßte die Initiative für die Errichtung des Dokumentationszentrums und das vorgelegte Konzept. Der Missbrauch und die Verfälschung historischer Erinnerungen durch Russlands Präsident Wladimir Putin zur Legitimation seines Angriffskrieges auf die Ukraine zeigten, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema sei.
Es gibt noch Forschungslücken bei Opfern sexueller Gewalt
Die Stärke des Realisierungsvorschlags liege in der komprimierten Darstellung von Themenschwerpunkten in der Dauerausstellung sowie der Kooperation mit den Wissenschaften und Zivilgesellschaften anderer Länder im Offenen Forum und im Fellowship-Programm. "Das verhindert eine deutsche Nabelschau", sagte Aust. Zugleich regte er an, einen Schwerpunkt auf die Spezifika des Vernichtungskrieges in den Ländern Osteuropas zu legen.
Der Leiter der Wissenschaftlichen Dienste der Konrad-Adenauer-Stiftung, Michael Borchard, wies darauf hin, dass die deutsche Besatzungsherrschaft zwar recht gut erforscht sei. Allerdings gehörten beispielsweise die Opfer sexueller Gewalt zu jenen Opfergruppen, bei denen es in der Tat Forschungslücken gebe.
Die Besatzungsmacht ist noch präsent
Der Schweizer Historiker und Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Raphael Gross, betonte, der Realisierungsvorschlag für das Dokumentationszentrum nehme verstärkt auch jene Opfergruppen in den Blick, deren Schicksal bislang unterbelichtet sei. Die Erfahrungen aus der deutschen Besatzung seien in vielen Nachbarländern noch sehr präsent und daher entscheidend für die Kommunikation mit ihnen.
Dieser Ansicht widersprach der Historiker Stefan Scheil. Gerade in den jüngeren Generationen spiele die deutsche Besatzungszeit keine große Rolle mehr. Scheil kritisierte zudem, dass der konkrete Kriegsverlauf zu wenig in der Konzeption berücksichtigt werde. So hätten Frankreich und Großbritannien "wenn auch aus zweifellos nachvollziehbaren Gründen" im September 1939 Deutschland den Krieg erklärt und nicht umgekehrt. Auch die Ausweitung des Krieges auf den Balkan sei eine Folge britischer Politik gewesen.
Die Ausführungen Scheils sorgten bei verschiedenen Abgeordneten und Sachverständigen für Empörung und Widerspruch. Petra Sitte (Die Linke) warf der AfD vor, mit Scheil einen Sachverständigen benannt zu haben, der bekannt sei für seine relativierenden Geschichtsbetrachtungen. Der Historiker Stephan Lehnstaedt von der Touro University, Campus Berlin, sagte, die Äußerungen Scheils zeigten, wie weit verbreitet noch immer die Auffassung sei, Deutschland sei der Krieg aufgezwungen worden.
Auch unterschiedliche Formen des Widerstandes sollten thematisiert werden
Die Historiker Winfried Süß vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Tatjana Tönsmeyer von der Bergischen Universität Wuppertal warben dafür, dem Verhältnis von Besatzern und Besetzten mehr Kontur zu verleihen. Die Besetzten sollten nicht nur in der Rolle der Opfer gezeigt werden. Auch die unterschiedlichen Formen ihres Widerstandes oder ihrer erzwungenen Zusammenarbeit mit den Besatzern müssten thematisiert werden, sagte Süß. Tönsmeyer wies darauf hin, dass unter der Besatzung vor allem Frauen, Kinder und Alte gelitten hätten. Die Männer hätten eher an der Front gekämpft oder in Deutschland Zwangsarbeit geleistet.