Hürden für die Rückgabe sollen sinken : Wie die Koalition die Restitution von NS-Raubkunst reformieren will
Die Durchsetzung von Rückgabeansprüchen bei NS-Raubkunst soll vereinfacht werden. Im Fokus stehen ein Auskunftsanspruch gegenüber Händlern und Verjährungsregeln.
Hunderttausende Kunst- und Kulturgüter wurden während der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 ihren Eigentümern auf unterschiedliche Weise geraubt - in Deutschland und in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern Europas. Betroffen von Plünderungen, Beschlagnahmungen und Zwangsverkäufen waren meist Juden und andere Bevölkerungsgruppen, die aufgrund des nationalsozialistischen Rassenwahns verfolgt wurden.
NS-Raubkunst: Nach 83 Jahren hat das Museum am Rothenbaum in Hamburg (MARKK) diesen Buddha-Kopf im Sommer diesen Jahres an die Erben des Eigentümers zurückgegeben.
Bis heute kämpfen enteignete Eigentümer beziehungsweise deren Nachkommen und Erben um die Rückgabe dieser NS-Raubkunst. Doch sie stoßen dabei auf allerlei rechtliche Hürden. "Dies ist ein unhaltbarer Zustand", betonte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Benjamin Strasser (FDP), am Donnerstag vor dem Bundestag. Der von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gemeinsam vorgelegte Gesetzentwurf, über den der Bundestag in erster Lesung beriet, soll die Durchsetzung von Rückgabeansprüchen vereinfachen.
Auskunftsanspruch gegenüber Kunsthändlern soll erleichtert werden
Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, den Antragstellern auf Restitution im Kulturgutschutzgesetz einen Auskunftsanspruch bezüglich der Herkunft und des Erwerbs gegenüber den Händlern und Verkäufern von Kunst- und Kulturgütern einzuräumen. Vor allem aber soll das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des Herausgabeanspruchs von Kulturgut im Bürgerlichen Gesetzbuch modifiziert werden. Zukünftig soll eine Verjährung nur dann gelten, wenn der Erwerb der Raubkunst gutgläubig erfolgt ist, sprich: es dem Käufer nicht bekannt war, dass es sich um Raubkunst handelt.
Darüber hinaus soll in Frankfurt am Main ein besonderer Gerichtsstand für Ansprüche auf Herausgabe von NS-Raubkunst eingerichtet werden. Entsprechende Klagen sollen in Frankfurt unabhängig vom Wohnort des Beklagten erhoben werden können. Für Frankfurt habe man sich schon deshalb entschieden, weil es wegen seines Flughafens auch vom Ausland gut zu erreichen sei, betonte Strasser.
Bei den Koalitionsfraktionen stieß der Gesetzentwurf auf Zustimmung. In vielen Fällen hätten die ursprünglichen Eigentümer der NS-Raubkunst keine Informationen über deren Verbleib, führte die Grünen-Abgeordnete Awet Tesfaiesus an. Deshalb sei der nun vorgesehene Auskunftsanspruch gegenüber dem Handel so wichtig. Der NS-Staat habe sich an den Kulturgütern jener bereichert, "die er verfolgte". Deshalb trage Deutschland eine Verantwortung, "die nie verjährt". Tesfaiesus erinnerte zudem an die Verpflichtung, die Deutschland mit der Unterzeichnung des Washingtoner Abkommens über die Restitution von NS-Raubkunst eingegangen sei.
Kritik an fehlendem Restitutionsgesetz bleibt
Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten Ansgar Heveling wird die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf dieser Verantwortung aber eben "nicht gerecht". Im Gegenteil: Das Problem der Restitution werde weiter in den privatrechtlichen Bereich verlagert. So werde es den Antragstellern auf Restitution aufgebürdet, den Nachweis zu erbringen, dass die Raubkunst böswillig erworben wurde. Es müsse über eine Umkehr der Beweislast nachgedacht werden, wie dies auch in anderen Wiedergutmachungsgesetzen geregelt worden sei, forderte Heveling.
Letztlich fehle es an einem echten Restitutionsgesetz. Dies wird seit langem auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland und von der Jewish Claims Conference gefordert. Heveling räumte allerdings ein, dass der Gesetzgeber an dieser Herausforderung seit vielen Jahren scheitere.
Die Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998
📃 Die rechtlich nicht bindende Übereinkunft wurde verabschiedet, um die während der NS-Zeit geraubten Kunstwerke zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine "gerechte und faire Lösung" zu finden. Die Übereinkunft wurde von 44 Staaten und 13 nicht-staatlichen Organisationen unterzeichnet.
🏺 In Deutschland gelten die Prinzipien der Washingtoner Erklärung vor allem für staatliche Kultureinrichtungen. Bund, Länder und Kommunen haben sich auf eine entsprechende Handreichung zur Umsetzung geeinigt. Wenn eine einvernehmliche Regelung über die Rückerstattung eines Kunstwerks nicht möglich ist, kann über die "Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste" die "Beratende Kommission" angerufen werden, die allerdings nur eine rechtlich nicht bindende Empfehlung aussprechen kann.
Der SPD-Parlamentarier Helge Lindh hielt Heveling denn auch entgegen, dass die Union noch in der vergangenen Legislaturperiode wenig Bereitschaft habe erkennen lassen, zu wesentlichen Verbesserungen bei der Restitution von NS-Raubkunst zu kommen. Lindh betonte zugleich, dass der Auskunftsanspruch und die Regelung zu den Verjährungsfristen nur ein erster Schritt sein könnten, dem weitere folgen müssten.
Neue Schiedsstelle bei Streitfällen soll 2025 eingerichtet werden
Unabhängig von den angestrebten neuen gesetzlichen Regelungen zur Restitution von NS-Raubkunst hatten sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände bereits am 9. Oktober auf die Einrichtung eines neuen gemeinsamen Schiedsgerichts für NS-Raubgut geeinigt, das die bisherige "Beratende Kommission" ersetzen soll. Im Gegensatz zur "Beratenden Kommission", die 2003 eingerichtet worden war, um Konflikte um die Rückgabe von NS-Raubkunst, die sich in öffentlichen Museen oder Kunstsammlungen befinden, zu klären, soll das Schiedsgericht auch einseitig angerufen werden können. Das Schiedsgericht soll seine Arbeit im kommenden Jahr aufnehmen und zu gleichen Teilen von Bund und Ländern getragen werden.