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Wissenschaft und Journalismus : Wenn es an Wissen fehlt

Fake News gedeihen auch, weil viele gesellschaftsrelevante und alltagsbestimmende Themen durch die Allgemeinbildung kaum noch abgedeckt werden. Ein Essay.

17.01.2025
True 2025-01-20T16:22:00.3600Z
4 Min

Beginnen wir mit einer guten Nachricht: Die Möglichkeiten für die Einschätzung wissenschaftlicher Ergebnisse haben sich für Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Jahren verbessert. Verschiedene Initiativen, die entweder aus der Wissenschaft oder dem Journalismus heraus gegründet wurden, bieten regelmäßige fachkundige Bewertungen. Cochrane etwa ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das seit 1999 in Deutschland systematische Übersichten zum aktuellen Wissensstand über Themen aus Medizin und Gesundheit erstellt und Studien einordnet.

Das mit Stiftungsgeldern finanzierte Science Media Center (SMC) liefert Experten-Statements und Hintergrundinformationen zu aktuellen Entwicklungen in der Wissenschaft, die Medienschaffende kostenfrei nutzen können. Das hilft den Redaktionen, Nachrichten aus der Wissenschaft schnell und besser einzuordnen, selbst wenn die diensthabenden Kolleginnen und Kollegen nicht vom Fach sind.

Foto: picture alliance/ZUMAPRESS.com/Sachelle Babbar

Corona hat gezeigt, wie wenig die Bevölkerung über die Verbreitung von Infektionskrankheiten weiß. Das erleichterte die Verbreitung von Verschwörungstheorien.

Seit ein paar Jahren bietet die Online-Plattform PubPeer.org  der forschenden Community die Chance, veröffentlichte Paper zu kommentieren und sogar anonym auf mögliche Fehler hinzuweisen. Jeden Monat verzeichnet das internationale Portal etwa 6.500 Kommentare als Mittel der Selbstkontrolle in der Wissenschaft.

Gegen strukturelle Probleme der Wissenschaft helfen die Plattformen nicht

Der Kampf gegen Fake News und Desinformation läuft also. Doch so hilfreich diese Initiativen auch sein mögen, sie decken nur einen kleinen Teil der Forschung ab. Und sie können gegen strukturelle Probleme der Wissenschaft beispielsweise bei medizinischen Studien nur wenig ausrichten. Viele Studien verlieren durch viel zu geringe Fallzahlen an Aussagekraft und können die aufgestellte Hypothese nicht beweisen. Sie liefern bestenfalls noch Hinweise darauf, dass eine Therapie erfolgreich oder ein kausaler Zusammenhang möglich sein könnte. Mehr nicht. Auch für die Nachverfolgung von Patienten und Kontrollgruppen einige Monate nach Ende der Studie fehlt oft das Geld. Somit lässt sich nicht sagen, ob der beobachtete Effekt längere Zeit anhält oder nur eine Momentaufnahme bleibt.

Diese strukturelle Schwäche ist auf andere Disziplinen übertragbar. Sie kann an einer schlechten Planung liegen, häufiger sind aber mangelnde Finanzierung und fehlende personelle Ressourcen die Ursache. Und wenn die Resultate einer Forschergruppe nicht für die Veröffentlichung in einem seriösen Fachmagazin reichen, dann kann das Team neue Anbieter nutzen, die auf den Peer-Review-Prozess, also auf eine Prüfung durch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, verzichten und Ergebnisse auch ohne Kontrollen akzeptieren.

Schlechte Forschung findet viel einfacher ein Forum als früher

Wissenschaftsjournalistinnen und-Journalisten müssen diese und viele andere Fallstricke heutzutage kennen. Doch die Auflistung darf nicht falsch bewertet werden. Sie ist kein Anzeichen dafür, dass seriöse Wissenschaft schlechter arbeitet als früher. Doch schlechte Forschungsgruppen und auch interessengeleitete Verlautbarungen ohne Forschungshintergrund profitieren. Sie finden viel einfacher ein Forum, das den angesehenen Mantel der Wissenschaft vorgaukelt.

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In einer Zeit, in der die Bevölkerung aus einer Vielzahl von echten und falschen Informationskanälen ihr Wissen sammeln kann, müssen Wissenschaftsjournalistinnen und -Journalisten die Grundlage dafür legen, dass die Menschen Forschung verstehen und die Entstehung der Ergebnisse bewerten können. Sie müssen warnend den Finger heben, wenn sie den Verdacht haben, dass ein schmales Ergebnis in seiner Bedeutung für die Gesellschaft zu sehr gefeiert wird oder womöglich falsch ist. Beide Extreme gehören heute zum Alltag.

Journalisten müssen prüfen, ob politische Forderungen eine vertretbare Basis haben

Die Forderung nach Technologieoffenheit erleichtert es Politik, Wirtschaft und Agitatoren aller Art, auf unbeliebte Entscheidungen zu verzichten und stattdessen ein manchmal vages Forschungsergebnis zum nationalen Problemlöser aufzublasen. So entstehen keine Fake News, aber der Nährboden für etwas Ähnliches, nämlich ungerechtfertigte Hoffnungen, die von wissenschaftlich fundierten Lösungen ablenken sollen. Journalistinnen und -Journalisten müssen mit vielen Expertinnen und Experten reden und genau hinschauen, ob politische Forderungen eine vertretbare Basis haben.

Diese Herausforderung ist besonders groß, denn Fake News und Desinformation gedeihen auch deshalb, weil viele gesellschaftsrelevante und alltagsbestimmende Themen durch die Allgemeinbildung kaum noch abgedeckt werden. Corona hat gezeigt, wie wenig die Bevölkerung über die Verbreitung von Infektionskrankheiten weiß. Bild-Chefredakteurin Marion Horn soll beklagt haben, dass es niemanden in ihrer Redaktion gebe, der wisse, wie eine Wärmepumpe funktioniert.

Wissenschaft, Politik und Medien sind gleichermaßen gefordert

Dabei sind Wärmepumpen noch vergleichsweise einfache Themen. DNA-Manipulationen durch die Genschere Crispr/Cas, die Vielfalt der künstlichen Intelligenz, die Bedrohung von Ökosystemen durch fehlenden Schutz, die Folgen des Klimawandels, die Sequenzierung des menschlichen Genoms sowie Wasserstoffwirtschaft, Hochleistungsbatterien und Brennstoffzellen sind für einen Großteil der Bevölkerung nicht nur außerhalb der eigenen Wissensbasis, sondern häufig auch außerhalb des Vorstellungsvermögens.

So wird es einfach, Thesen in den Raum zu stellen, die schön klingen, aber falsch sind und trotz fehlenden Expertenwissens viele Klicks, politische Zustimmung und neue Geschäftsmodelle generieren oder alte sichern. Das Rezept gegen diesen fahrenden Zug der Falschinformationen sind Menschen, die erklären können, auf welcher Faktenbasis Entscheidungen getroffen oder bewertet werden sollten. Wissenschaft, Politik und Medien sind dabei gleichermaßen gefordert.

Der Autor ist Wissenschaftsjournalist und gehört zur Genossenschaft der Riffreporter.

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