Hannah Metzler im Interview : „Angst und Wut sind effektive Treiber“
Die Kognitionspsychologin Hannah Metzler erklärt die Rolle von Gefühlen bei der Verbreitung von Fake News - und warum letztere ein Warnzeichen sind.
Frau Metzler, warum verfangen Fake News, auch wenn sie noch so abstrus klingen?
Hannah Metzler: Je verrückter eine Nachricht klingt, umso extremere Emotionen löst sie aus und bekommt mehr Aufmerksamkeit. Unser Mediensystem ist schnelllebig und kompetitiv. Um Aufmerksamkeit zu bekommen, müssen Nachrichten mit Überraschung und negativen Emotionen arbeiten.
Evolutionär gesehen hat es Vorteile, wenn Menschen mit Angst und Wut reagieren...
Hannah Metzler: Genau. Solche Gefühle haben bestimmte Funktionen: Sie sollen unser Überleben sichern. Angst lenkt die Aufmerksamkeit auf Gefahren. Wut setzt Kräfte frei, wenn wir bedroht werden oder uns jemand etwas wegnehmen will. Ein negativer Bias, eine Art Negativitätsverzerrung, die bewirkt, dass sich negative Gefühle stärker auf unseren psychischen Zustand auswirken als positive, ist evolutionär bedingt. Fake News appellieren an diese negativen Gefühle. Angst und Wut sind effektive Treiber.
Welche Motive haben Menschen, sie zu verbreiten?
Hannah Metzler: Es sind vor allem soziale Motive. Menschen sind soziale Wesen und teilen Informationen, wenn sie dafür Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen oder dazugehören. Wenn sie Falschinformationen verbreiten, geht es oft um politische Gruppenzugehörigkeit. Mit dem Teilen von extremen Verschwörungstheorien brechen manche Menschen Brücken zur Allgemeinheit ab, indem sie sich gegen sie positionieren und so einer Randgruppe beweisen, dass sie zu ihr gehören. Auch Status ist ein wichtiges soziales Motiv. Internettrolle, die mit schockierenden Falschnachrichten bewusst stören und Unfrieden stiften, suchen Anerkennung und genießen das Gefühl von Macht.
Aber glauben sie Fake News?
Hannah Metzler: Als Motiv für die Verbreitung von Desinformation ist der Glaube an den Wahrheitsgehalt eher zweitrangig. Es gibt zudem unterschiedliche Arten zu glauben. In der Psychologie sprechen wir von faktischen und symbolischen Glaubenssätzen. Faktisch ist etwa der Glaube daran, dass der Partner am Abend zu Hause ist - weil er das jeden Tag ist. Faktische Glaubensmuster bekommen sozusagen 'Feedback' aus der Realität. Symbolische Glaubenssätze hingegen, zu denen religiöse Annahmen und Verschwörungstheorien gehören, drücken Werte und Überzeugungen aus. Diese lassen sich nicht überprüfen, haben aber eine soziale Funktion - sie beruhigen, schaffen Zugehörigkeit oder verleihen innerhalb einer Gruppe Ansehen. Obwohl Menschen solchen Glaubenssätzen ehrlich Glauben schenken, richten sie nicht ihr Verhalten nach ihnen aus.
Könnten Sie das mit einem Beispiel verdeutlichen?
Hannah Metzler: Nehmen wir 'Pizzagate', ein falsches Gerücht, das im US-Wahlkampf 2016 auf Twitter und in Telegram-Gruppen gestreut wurde: Viele Menschen haben so kommentiert, als würden sie glauben, dass die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring involviert ist, der aus einer Washingtoner Pizzeria heraus betrieben wird. Es gab aber nur einen einzigen Mann, der sich auch so verhalten hat. Er ist mit einem Sturmgewehr bewaffnet in die Pizzeria gegangen, um den Kindern zu helfen. Wenn die anderen faktisch daran geglaubt hätten, hätten sie die Polizei alarmiert.
Trotz evolutionärer Anlagen scheinen aber nicht alle Menschen gleich empfänglich für Desinformation zu sein.
Hannah Metzler: Diese tiefen Instinkte haben wir zwar alle. Aber wie Eigenschaften sind auch sie individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Haupttreiber für Fake News, das zeigt die Forschung, ist vor allem eins: Parteilichkeit. Menschen, die sich gesellschaftlich nicht gut vertreten fühlen und wenig Vertrauen in demokratische Institutionen haben, neigen zu extremen Einstellungen. Sie sind auch empfänglicher für Fake News, die ihr Weltbild bestätigen - etwa, dass in der Gesellschaft etwas grundlegend schiefläuft oder Politiker sie nicht repräsentieren.
Wie groß ist die Gruppe der Fake News-Verbreiter?
Hannah Metzler: Studien zufolge handelt es sich um eine sehr kleine Minderheit von unter fünf Prozent der Bevölkerung, die 80 Prozent der Fake News teilen. Daten aus den USA belegen, dass im US-Wahlkampf 2016 lediglich ein Prozent der Twitter-Nutzer Nachrichten aus wenig vertrauenswürdigen Quellen teilten. 2020 waren es nur rund 2.107 solcher 'Supersharer'.
Dem Sturm auf das Capitol im Januar 2021 ging eine von Donald Trump befeuerte Social-Media-Kampagne von der angeblich gestohlenen Wahl voraus. Nur ein Beispiel, warum inzwischen viele die Demokratie durch Fake News gefährdet sehen. Wie lassen sie sich bekämpfen?
Hannah Metzler: Faktenchecken, das Widerlegen von Falschinformationen oder die Sensibilisierung für die Gefahren von Desinformation sind nicht falsch. Doch der Effekt ist nicht allzu groß, da sich politisch motivierte 'Superspreader' so ohnehin nicht erreichen lassen. Solche psychologischen Methoden haben wahrscheinlich leider auch einen ungewollt gegenteiligen Effekt.
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Inwiefern?
Hannah Metzler: Übertriebene Warnungen vor Manipulation durch Fake News schüren allgemeines Misstrauen in Nachrichten. Dabei wird leider oft in der Diskussion übersehen, dass Desinformation nur ein Symptom von gesellschaftlicher Polarisierung ist: Wenn Institutionen daran scheitern, reale Probleme zu lösen und große Bevölkerungsgruppen zu vertreten, sinkt das Vertrauen. Statt nur die Verbreitung von Fake News zu bremsen, ist es viel wichtiger, das Vertrauen in demokratischen Institutionen und Medien zu stärken.