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Tobias Bacherle im Interview : "Soziale Medien sind kritische Infrastruktur"

Der Grünen-Obmann im Digitalausschuss fordert angesichts zunehmender Einflussnahme aus dem Ausland, soziale Medien als „kritische Infrastruktur“ einzustufen.

16.01.2025
True 2025-01-17T14:47:52.3600Z
6 Min

Herr Bacherle, Sie warnen schon seit langem, dass Desinformation und die Manipulation von Online-Debatten die Demokratie gefährden. Was sind die Bausteine dieser Manipulation?

Tobias Bacherle: Dazu gehören zum einen klare Fake News. Dabei werden Politikern Zitate untergeschoben, die sie nie gesagt haben. Hinzu kommt eine Einflussnahme aus dem Ausland und die Manipulation der Distribution, also dass die Verbreitung von Posts beeinflusst wird. Es wird Einfluss auf das genommen, was gesehen wird. Das beginnt damit, dass mit Fake-Accounts oder Bots bestimmte Dinge kommentiert oder öfter geteilt werden. So werden zum einen Kommentarspalten in eine bestimmte Richtung gedreht. Durch das Ankurbeln des Algorithmus wird zudem eine Reichweite geschaffen, die eigentlich nicht erreichbar ist.

Foto: Philipp Sigle

In der Politik müsse es darum gehen, kluge, fundierte Antworten auf die Fragen der Zukunft des Landes zu geben, sagt Digitalpolitiker Tobias B. Bacherle - nicht darum, kurzfristig einen Stich zu machen.

Sind die sozialen Medien also ein rechtsfreier Raum?

Tobias Bacherle: Nein, es gibt Regulierung und es gilt Recht und Gesetz. Fakt ist aber, dass Meta, Alphabet, genau wie Elon Musk mit X nicht eingestehen wollen, dass man auf ihren Plattformen womöglich zu großen Teilen gar keine echten Menschen erreicht und die Bedingungen nicht fair sind. Hier setzen europäische Regulierungen wie der Digital Services Act an. Mit ihm sollen beispielsweise diskriminierende Algorithmen unterbunden werden. Bei der Erstellung des Digital Services Act gab es ein großes Bewusstsein für Monopole und deren Auswirkungen auf demokratische Diskussionen. Man konnte sich aber nicht dazu durchringen, klar zu sagen: Soziale Medien sind kritische Infrastruktur. Als solche müssten sie aus meiner Sicht aber behandelt werden. Die Algorithmen sollten daher besonderen Transparenzpflichten unterliegen.

Kritische Infrastruktur zu schützen, ist eine staatliche Aufgabe. Gleichzeitig sollen aber die Plattformen selber entscheiden, welche Inhalte diskriminierend sind und diese dann entfernen?

Tobias Bacherle: Es geht um diskriminierende Algorithmen, nicht so sehr um Meinungsäußerungen. Hasskriminalität oder Terrorverherrlichung werden von Gerichten festgestellt. Da müssen die Plattformen reagieren. Es geht um die Frage: Was wird wem ausgespielt? Ungleichbehandlungen haben Auswirkungen darauf, wie Debatten geführt werden. Bei Bezahlmodellen mag das noch angehen und ja auch transparent sein, dass Reichweite gekauft werden kann. Elon Musk hingegen hat nach allem, was wir wissen, dafür gesorgt, dass er eine besonders hohe Reichweite auf seiner eigenen Plattform X bekommt.

Foto: Philipp Sigle
Tobias B. Bacherle
ist seit 2021 Mitglied des Bundestages und fungiert als Obmann der Grünen im Ausschuss für Digitales. Der Politikwissenschaftler, der für den Wahlkreis Böblingen im Bundestag sitzt, ist auch im Auswärtigen Ausschuss tätig.
Foto: Philipp Sigle

In Deutschland informieren sich Umfragen zufolge nach wie vor die meisten Menschen per TV und Tageszeitung über das politische Geschehen. Wird die Gefahr durch Manipulationen im Netz nicht zu hoch gehängt?

Tobias Bacherle: Das Informationsverhalten wandelt sich weiter in Richtung Online. Hinzu kommt, dass es inzwischen auch für Laien möglich ist, mit der richtigen App auf dem eigenen Handy Personen auf Fotos freizustellen und in anderen Hintergrundbildern zu positionieren - also einen ganz anderen Kontext zu schaffen. Das alles führt dazu, dass wir die Quellenkritik neu lernen müssen. Es muss immer gefragt werden: Passt die Aussage zur Quelle? Das ist eine große Herausforderung, gerade, wenn man nicht so stark mit der Materie befasst ist und die technischen Möglichkeiten der Beeinflussung nicht kennt. Dazu kommt, dass Online-Debatten auch überschwappen. Die Diskreditierung der "Trusted Flagger" begann beispielsweise online - wurde dann aber unter anderem von der Zeitung "Die Welt" aufgenommen.

Stichwort "Die Welt": Dort hat mit dem Tesla- und X-Besitzer Elon Musk ein amerikanischer Unternehmer in einem Gastkommentar seine Sicht auf die Lage in Deutschland geschildert und zur Wahl der AfD aufgerufen. Ist der entstandene Aufruhr berechtigt? 

Tobias Bacherle: Dass in der "Welt" zur Wahl einer in manchen Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei aufgerufen wird, finde ich mit Blick auf die Springer-Grundsätze zumindest diskussionswürdig - unabhängig vom Autor. Der entscheidende Punkt aber ist, dass Musk auch anders in den Wahlkampf eingreift. Er ist ja auch nicht irgendein amerikanischer Unternehmer. Wenn der Besitzer einer so großen Plattform wie X eine klare Präferenz äußert und dabei seine künstlich vergrößerte Reichweite auf dieser Plattform zur Wahlwerbung nutzt, ist das ein Problem für demokratische Diskussionen. Das erinnert an die Situation in Rumänien, wo einige Influencer Zahlungen erhalten haben und mit einer Vielzahl an Bots bestimmte Inhalte gepusht wurden.

In Rumänien ist der erste Wahlgang zur Präsidentschaftswahl annulliert worden, weil laut rumänischem Geheimdienst das Land Ziel eines "aggressiven russischen hybriden Angriffs" zugunsten eines parteilosen als russlandnah geltenden Kandidaten geworden ist. Ein ungewöhnlicher Vorgang, oder?

Tobias Bacherle: Was der Geheimdienst in Rumänien aufgedeckt hat, ist im Grunde eine illegale Finanzierung des Wahlkampfes. Es sind Zahlungen geflossen für das künstliche Boosten und damit die Manipulation des öffentlichen Debattenraums. Das darf man nicht so leicht wegwischen. Inhalte anzukurbeln und damit die öffentliche Debatte komplett zu verzerren ist ein ernstzunehmendes Problem - auch weil es in andere Medien überspringt.


„Die Intensität mit der Zuckerberg jetzt auf die Trump-Linie einschwenkt, ist wirklich besorgniserregend.“
Tobias B. Bacherle (Bündnis 90/Die Grünen)

Am 23. Februar wird der Bundestag neu gewählt. Ist für Sie eine Konstellation vorstellbar, dass diese Wahl im Anschluss annulliert wird?

Tobias Bacherle: Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz oder auch gegen den Digital Services Act sind auch bei uns durchaus möglich. Diese müssten dann rechtsstaatlich behandelt werden. Aber in keinem dieser Szenarien sehe ich, dass damit eine Wahl grundsätzlich nicht mehr frei oder gleich wäre. Es müssen ja die Grundsätze der freien, fairen Wahl gravierend verletzt sein, damit es so weit kommt. Solange in Berlin am 23. Februar kein Marathon stattfindet, sehe ich derzeit aber nichts, was die Wahl so beeinflussen könnte, dass sie annulliert werden müsste.

Meta-Chef Mark Zuckerberg hat unlängst einschneidende Änderungen des bisherigen Moderationsmodells bei Facebook und Instagram angekündigt. In den USA stellt der Konzern die Zusammenarbeit mit externen Faktenprüfern ab sofort ein. Wie bewerten Sie das?

Tobias Bacherle: Dass die europäische Regulierung im Onlinebereich den Konzernen ein Dorn im Auge ist, war bekannt. Die Intensität mit der Zuckerberg jetzt aber auf die Trump-Linie einschwenkt, ist wirklich besorgniserregend. Er will ja nicht nur die freiwillige Zusammenarbeit mit Faktenprüfern beenden. Er will - gemeinsam mit Trump - gegen EU-Auflagen vorgehen. Das ist eine industriepolitische Kampfansage an den europäischen Regulierungsrahmen.

Zuckerberg wirf der EU vor, die Zensur zu institutionalisieren und Innovationen zu verhindern...

Tobias Bacherle: Seine Pläne zeigen, dass Meta ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Das war auch schon so, als Meta freiwillig Auflagen erfüllt und sich davon eine höhere Glaubwürdigkeit und mehr Umsatz versprochen hat. Die EU-Auflagen haben nichts mit Zensur oder Willkür zu tun. Im Gegenteil: Sie machen die Prozesse transparenter, ausgewogener und fairer. Werden Beiträge von Usern gesperrt, muss ihnen der Grund dargelegt werden. Zudem gibt es Widerspruchsmöglichkeiten. Trotz der Äußerungen von Zuckerberg bleibt festzuhalten: Will Meta künftig Geschäfte in Europa machen, müssen sich Facebook und Instagram an den Digital Services Act halten.

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Zuckerberg sagt, die Faktenprüfer seien politisch voreingenommen gewesen und hätten „besonders in den USA mehr Vertrauen zerstört als geschaffen“. In Deutschland übernimmt Correctiv den Faktencheck. Im November ist Co-Geschäftsführerin Jeannette Gusko bei Correctiv auf eigenen Wunsch ausgeschieden, um den Bundestagswahlkampf der Grünen mitzugestalten. Ist das für Sie ein Beleg für politische Voreingenommenheit?

Tobias Bacherle: Jeannette Gusko ist bei Correctiv ausgestiegen. Das muss man zuallererst mal festhalten. Auch für eine Faktencheckerin muss die Möglichkeit bestehen, den Job zu wechseln. Aber auch grundlegend: Wenn eine Person im politischen Kontext eine bestimmte Meinung hat, heißt das noch lange nicht, dass sie bei ihrer Arbeit nicht neutral agiert. Wichtig ist auch die Frage von Abhängigkeiten. Würden wir Grünen Correctiv jetzt finanzieren, wäre das ein Problem. Das ist aber nicht der Fall. 

Trotz aller Manipulationsanfälligkeit der sozialen Medien: Alle Parteien - auch die Grünen – nutzen sie. Weil Sie Bedenken haben, sonst ins politische Abseits zu rutschen?

Tobias Bacherle: Weil es einfach auch toll ist, die Menschen auf diesem Weg mitnehmen zu können. Ich kann Einblicke in meinen Alltag geben, meine Meinung mitteilen. Ich kann Veranstaltungen live streamen und so viel mehr interessierte Menschen erreichen als die, die vor Ort zuhören. Das sind alles sehr coole Sachen, von denen unsere Demokratie auch massiv profitieren kann. Wir müssen gleichzeitig aber auch auf politischer Ebene davon wegkommen, nur auf die nächste Schlagzeile, auf maximale Reichweite zu zielen, um einen Punkt im politischen Wettstreit zu machen. In der Politik darf es nicht darum gehen, kurzfristig einen Stich zu machen. Da muss es darum gehen, kluge, fundierte Antworten auf die Fragen der Zukunft unseres Landes zu geben. 


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