Regulierung von Online-Plattformen : Wie die Big Tech-Unternehmen die Regeln auf die Probe stellen
Die Europäische Union hat mit dem Digital Services Act Regeln für Onlineplattformen durchgesetzt. Wie gut die Aufsichtsstruktur funktionieren wird, ist noch unklar.
Drei Buchstaben stehen seit Anfang 2024 für den Versuch der Europäischen Union, Regeln für Onlineplattformen durchzusetzen: DSA. Der "Digital Services Act", also das Digitale-Dienste-Gesetz der EU, wurde in wenigen Jahren verhandelt und gilt vollumfänglich seit Februar 2024. Der DSA gibt Regeln für viele Onlineangebote vor, die heute nicht mehr aus dem Alltag von Millionen Menschen wegzudenken sind, etwa Suchmaschinen, Onlinemarktplätze, soziale Netzwerke oder Video-Apps.
Auch wenn die EU-Verhandlungen zum DSA vergleichsweise kurz waren, beginnt die Vorgeschichte des Gesetzes schon viel früher. Wie in den Anfängen der Onlineplattformen mit ihnen umgegangen wurde, ist noch in heutigen Gesetzen ablesbar, und wie sich die neuen Gesetze auswirken, wird wiederum erst in einigen Jahren klar sein.
Lange konnten Plattformen selbst bestimmen, wie sie ihre Dienste gestalten
Viele der heute alltäglichen sozialen Medien oder Suchmaschinen sind erst in den frühen 2000er Jahren, teils deutlich später, groß geworden. Bei diesem Wachstum halfen politische Entscheidungen in den USA und der EU. Um die Jahrtausendwende war es vielen Politikern wichtig, keine allzu strikten Vorgaben für die aufkommende Technologiebranche einzuführen, sondern ihr erst einmal freien Lauf zu lassen. Das Ergebnis: eine recht lockere Regulierung auf beiden Seiten des Nordatlantiks, die sich sehr lange Zeit nicht nennenswert änderte.
Onlineplattformen konnten deshalb weitgehend selbst bestimmen, wie sie ihre Dienste gestalten, welche Rechte sie Nutzern einräumen (zum Beispiel, sich zu beschweren) und inwiefern sie ihre algorithmischen Systeme erklären, etwa dazu, welche Videos, Suchergebnisse oder Posts angezeigt werden.
Plattformen können genutzt werden, um Menschen anzufeinden
Seit einigen Jahren wandelt sich dieser Ansatz jedoch, besonders innerhalb der Europäischen Union. Das liegt vor allem daran, dass bei all den Vorteilen, die solche Plattformen bieten, ihre negativen Auswirkungen ebenso klar geworden sind.
Plattformen können genutzt werden, um Menschen anzufeinden und zu diskriminieren. Falsche oder irreführende Informationen können sich in Sekundenschnelle verbreiten, es gibt Betrügereien und Datenschutzverletzungen. Gerade die Verbreitung von Hetze und Desinformation treibt Politiker um.
Diese Phänomene sind keinesfalls neu, und weder die Gründe noch die Lösungen dafür finden sich allein in Plattformen beziehungsweise ihrer Regulierung. Dennoch ist ihre monopolhafte Rolle bei der Verbreitung von Inhalten nicht von der Hand zu weisen. Die Art und Weise, wie sie designt sind oder wie ihre algorithmischen Systeme funktionieren, hat Auswirkungen darauf, wie sich Menschen in Onlineräumen bewegen.
Der DSA löst das deutsche Gesetz in großen Teilen ab
Während Entscheidungen hierzu lange fast allein den Plattformen überlassen waren, entstanden Bestrebungen zu strikteren Regeln. Zunächst fokussierte sich die Europäische Kommission auf freiwillige Kodizes, einen zum Thema Hassrede und einen zu Desinformation. Auf deutscher Ebene entstand mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Regelwerk zum Umgang mit Hassrede im Internet.
Mittlerweile steht der DSA klar im Zentrum. Er löst das deutsche Gesetz in großen Teilen ab und ist das bislang deutlichste Signal, dass bei Plattformen freiwillige Selbstregulierung allein nicht mehr ausreicht. Der DSA gilt EU-weit und führt verpflichtende Regeln ein. Diese beiden Eigenschaften sind die wichtigen Grundpfeiler der Regulierung.
Die strengsten Vorgaben gelten für die großen Plattformen
Zu den verpflichtenden Regeln des DSA gehört zum Beispiel, Beschwerdewege bereitzuhalten, etwa, wenn Nutzer sich beschweren möchten, dass bestimmte Inhalte gelöscht oder nicht gelöscht wurden. Hinzu kommen die Verpflichtungen für Plattformen, ihre algorithmischen Empfehlungssysteme zu erklären, Onlinewerbung klar zu kennzeichnen und Berichte zur Moderation der Inhalte zu veröffentlichen. Bei letzterem geht es darum, wie Inhalte hervorgehoben oder unterdrückt werden.
Die strengsten Vorgaben müssen sehr große Onlineplattformen erfüllen, das sind solche mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzern in der EU pro Monat. Dazu zählen Amazon, Facebook, Google Search, Instagram, Pornhub, TikTok, X (Twitter) und YouTube.
Die Aufsicht ist eine gemeinsame Aufgabe der Kommission und der Mitgliedstaaten
Solche Plattformen müssen regelmäßige Risikoberichte verfassen, sich unabhängigen Überprüfungen unterziehen und eine Gebühr an die Kommission entrichten, die die Aufsicht mitfinanziert. Für Plattformen jeder Größe gilt: Bei Nichteinhaltung der Regeln drohen im schlimmsten Fall Geldbußen. Zuvor muss aber eine Reihe von Initiativen zur Abhilfe zwischen Behörden und Plattformen besprochen worden sein.
Die behördliche Aufsicht ist eine gemeinsame Aufgabe der Kommission und der Mitgliedstaaten. Die Kommission kümmert sich hauptsächlich um die sehr großen Plattformen. Dabei wird sie von den Mitgliedstaaten unterstützt, die zusätzlich für die in ihren jeweiligen Ländern ansässigen "nicht-sehr-großen" Angebote zuständig sind.
Wie gut diese neue Aufsichtsstruktur funktionieren wird, ist unklar. Zwar laufen die ersten Untersuchungen und Verfahren gegen Plattformen auf EU-Ebene, doch befinden sich sowohl die Teams in der Kommission als auch in den Mitgliedstaaten noch im Aufbau.
Transparenzverpflichtungen sollen kein Selbstzweck sein
Die Herausforderung bei der Durchsetzung des DSA liegt nicht allein darin, dass es um teils unerprobte Regeln in einem Bereich geht, der bislang nicht von EU-Gesetzen geprägt war. Auch gilt es, einige der Schwachstellen des DSA anzuerkennen und möglichst auszubessern.
Darum geht es im Digital Services Act (DSA)
📲 Der DSA reguliert seit 17. Februar 2024 die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste innerhalb der EU. Er soll mit dem Digital Markets Act die Rechte von Internetusern innerhalb der Europäischen Union stärken.
⚖️ Die Durchsetzung der Anforderungen liegt überwiegend in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Einzig gegenüber sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen ist die EU-Kommission zuständig.
🔒 An die Regeln müssen sich alle Unternehmen halten, die digitale Dienste in der EU anbieten, etwa Provider, Hostinganbieter, Cloud-Dienste, soziale Netzwerke, Messenger und Onlinemarktplätze.
Zum Beispiel haben Beobachter gerade aus zivilgesellschaftlichen Organisationen angemerkt, dass der DSA zwar jede Menge Transparenzverpflichtungen enthält, diese aber kein Selbstzweck seien. Wie daraus tatsächlich Verbesserungen für Menschen entstehen könnten, etwa bessere Entscheidungs- und Einstellungsmöglichkeiten, wird sich zeigen müssen.
Auch die vielversprechende Option für Forschungsteams, unter bestimmten Voraussetzungen an Daten von sehr großen Plattformen heranzukommen, bedarf noch einiger Umsetzungsschritte, bis sie in der Praxis getestet werden kann. Zudem kam während der Verhandlungen Kritik auf, dass schwammige Formulierungen zu "Krisensituationen" möglicherweise der Europäischen Kommission zu weitreichende Befugnisse für Eingriffe auf Plattformen geben könnten.
Kritische Diskussion über mögliche staatliche Eingriffe
Aufgrund der Hinweise aus der Zivilgesellschaft wurden Verbesserungen am Text vorgenommen. Die Debatte zu den Risiken von entweder zu schwacher Durchsetzung des DSA oder zu starken staatlichen Eingriffen durch den DSA geht aber weiter.
Mehr zum Thema lesen
Der CDU-Europaabgeordnete fordert ein entschlossenes Vorgehen der EU gegen Fake News. Instrumente wie der Digital Services Act allein reichen nicht, sagt Axel Voss.
Der Grünen-Obmann im Digitalausschuss fordert angesichts zunehmender Einflussnahme aus dem Ausland, soziale Medien als „kritische Infrastruktur“ einzustufen.
Gefälschte Bilder, manipulierte Stimmen: Deep Fakes verbreiten sich rasant und stellen die Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Ihre Regulierung bleibt komplex.
Die neue DSA-Bürokratie in Deutschland und Europa kritisch zu begleiten, ist nötig und sinnvoll. Die Fundamentalkritik, dass der DSA automatisch zu neuer staatlicher Überwachung von Onlinekommunikationsräumen führt - auch im Bundestag hervorgebracht - ist jedoch kaum zu halten.
Kritik ignoriert die Eingriffe durch die Plattformen selbst
Sie ignoriert meist die vorgesehenen Kontrollmechanismen, beispielsweise durch die Unabhängigkeit der nationalen Behörden, die Abstimmung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten sowie die Rolle von Gerichten und auch externen Fachleuten.
Zudem verkennt diese Kritik, dass bereits jetzt sekündlich Eingriffe in Onlinekommunikationsräume stattfinden, nämlich durch die Plattformen. Als private Unternehmen mit meist finanziellen Interessen entscheiden sie, wie diese Räume gestaltet sind. Wenn der DSA es schafft, solche Entscheidungen nachvollziehbar, weniger willkürlich und besser anfechtbar zu machen, können die drei Buchstaben eine wichtige Stütze für Nutzer sein.