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„Esthers Spuren“ : Ein bewegendes Porträt als Mahnruf

Benet Lehmann erzählt die Geschichte der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano und fragt: Wie bleibt Erinnerung lebendig, wenn Zeitzeugen sterben?

03.02.2025
True 2025-02-03T15:35:29.3600Z
2 Min

Ein Akkordeon rettete ihr wahrscheinlich das Leben. Mit 18 Jahren spielte Esther Bejarano als Inhaftierte im Mädchenorchester von Auschwitz - ein Schicksal, das sie prägte und ihr eine lebenslange Aufgabe gab: Erinnern, mahnen, aufklären. In "Esthers Spuren" zeichnet Benet Lehmann ein bewegendes Porträt der Holocaust-Überlebenden und verbindet ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte mit drängenden Fragen zur heutigen Erinnerungskultur.

Im unermüdlichen Kampf gegen Rechtsextremismus 

Esther Bejarano, geboren 1924 in Saarlouis, erlebte bereits in jungen Jahren die Brutalität des NS-Regimes: Mit 18 Jahren wurde sie nach Auschwitz deportiert. Dort musste sie im berüchtigten "Auschwitzer Mädchenorchester" musizieren, wenn die Häftlinge zur Zwangsarbeit geschickt wurden und am Abend ins Lager zurückkehrten. Der Todesmarsch im April 1945, den sie nur knapp überstand, und ihre spätere Rettung durch US-Soldaten markieren Wendepunkte in ihrem Leben - ebenso wie die erschütternde Nachricht vom Tod ihrer Familie, die im Lager von den Nazis ermordet wurde. In Palästina baute sie sich ein neues Leben auf, bis sie in den 1960er Jahren nach Deutschland zurückkehrte. Dort kämpfte sie bis zu ihrem Tod 2021 unermüdlich gegen Rechtsextremismus.


Benet Lehmann:
Esthers Spuren.
Die Geschichte der Shoah-Überlebenden Esther Bejarano und der Kampf gegen Rechtsextremismus.
Wallstein,
Göttingen 2024;
254 Seiten, 20,00 €


Benet Lehmann, der Bejarano bereits als Jugendlicher auf einer Demonstration in Hamburg begegnete, schreibt nicht nur aus der Perspektive eines Historikers, sondern auch aus der eines persönlichen Begleiters. Durch Telefongespräche während der Corona-Pandemie und Begegnungen mit Esthers Enkel Anton wird das Buch zu einer dichten Erzählung, die Brücken zwischen den Generationen schlägt. Es zeigt, wie Esther bis zuletzt aktiv in Schulen und der antifaschistischen Bewegung tätig war, getrieben von ihrem eindringlichen Appell: "Ihr habt keine Schuld an dem, was passiert ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt."

Abschied der letzten Holocaust-Überlebenden naht

Lehmanns Ansatz, Bejaranos Leben mit seiner eigenen Familiengeschichte - sein Großvater war Wehrmachtssoldat - zu verbinden, gibt dem Buch eine persönliche Tiefe. Es stellt die Frage, wie Erinnerungskultur in einer Zeit funktionieren kann, in der die letzten Zeitzeugen verschwinden. Wie kann Geschichte lebendig bleiben? Welche Verantwortung tragen junge Menschen?

"Esthers Spuren" ist nicht nur ein einfühlsames Porträt einer Frau, die Mut und Widerstand verkörpert, sondern auch ein Appell an die jüngere Generation, die Erinnerung wachzuhalten. Obwohl viele der behandelten Themen nicht neu sind, wirkt das Buch angesichts des nahenden "Abschieds von der Zeitzeugenschaft" äußerst relevant. Es zeigt, wie wichtig es ist, die Geschichten von Menschen wie Esther Bejarano weiterzutragen, um dem Vergessen entgegenzuwirken - und die Lehren der Geschichte immer wieder ins Bewusstsein zu rufen.

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