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20. Juli 1944 : "Ein Stachel im Fleisch"

Sie waren "Verräter" und Helden: Ruth Hoffmann beschreibt die Verunglimpfung und Instrumentalisierung des deutschen Widerstandes in den vergangenen 80 Jahren.

08.07.2024
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4 Min

Bernhard Wicki und Wolfgang Preuss spielten ihn, ebenso Brad Davis und Harald Schrott sowie Sebastian Koch und Peter Becker. Und ja, selbst Hollywood-Star Tom Cruise inszenierte sich 2008 in "Valkyrie" als Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Seit 1955 ist das misslungene Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler ein gutes Dutzend Mal in Spiel- und Fernsehfilmen verarbeitet worden. Und jedes Mal bekam das Kino- und Fernsehpublikum den Wehrmachtsoberst, der Hitler nicht nur töten, sondern die gesamte NS-Diktatur beseitigen wollte, als einen deutschen Helden - wenn auch in unterschiedlichen Schattierungen und Abstufungen - präsentiert. Was könnte ein Mann, der es mit dem tödlichen NS-Machtapparat aufnahm, dabei bereitwillig sein Leben einsetzte und es schließlich verlor, auch sonst sein?

Foto: picture-alliance/dpa/Gero Breloer/AP/EPA/United Artists Entertainment

Der Schauspieler Sebastian Koch (links) spielte Claus Schenk Graf von Stauffenberg (Mitte) ebenso wie Hollywood-Star Tom Cruise (rechts).

Doch diese Frage ist in den vergangenen acht Jahrzehnten auf ganz unterschiedliche Art und Weise beantwortet worden. Für die Nationalsozialisten war die Sache klar: Staufenberg gehörte zu jener "ganz kleinen Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere ", wie es Hitler selbst in seiner Rundfunkansprache einen Tag nach dem Attentat ausdrückte, die ihren Oberbefehlshaber, dem sie wie alle Soldaten der Wehrmacht einen Eid geschworen hatten, umbringen wollten. Sie waren "Landesverräter", die nichts als den Tod verdient hatten. Gut 200 Mitglieder des Widerstandes und Verdächtige wurden hingerichtet.

Einheitlich fällt das Urteil bis heute nicht aus

Wer jedoch glaubte, dieses Urteil würde sich nach Kriegsende schnell grundlegend ändern, der sollte bitter enttäuscht werden. Es sollten viele Jahre vergehen, bis den Männern und Frauen im Umfeld des 20. Juli ein ehrendes Gedenken bereitet wurde. Einheitlich fällt das Urteil der Nachwelt bis heute nicht aus. Und ihr Andenken wird auch immer wieder für politische Zwecke instrumentalisiert und verzerrt. Diese Geschichte der Verunglimpfung, Verehrung, Verachtung und Überhöhung erzählt die Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem empfehlenswerten Buch "Das deutsche Alibi", für das sie zu Recht für den Deutschen Sachbuchpreis 2024 nominiert wurde.


Ruth Hoffmann:
Das deutsche Alibi.
"Mythos Stauffenberg-Attentat"- wie der 20. Juli 1944 verklärt wird.
Goldmann,
München 2024;
285 Seiten, 24,50 €


Der 20. Juli1944 sei "immer ein schwieriges Datum" gewesen "und ein Stachel im Fleisch deutscher Selbstgewissheit - weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte, das von nicht gewusst habe, und weil es zeigte, dass es möglich gewesen wäre, sich anders zu verhalten", schreibt Hoffmann.

Nach einer Umfrage des Allensbach Instituts für Demoskopie im Sommer 1951 verurteilten 30 Prozent der Westdeutschen das Attentat auf Hitler, weitere 30 Prozent hatten dazu keine Meinung und oder wussten nach eigener Aussage darüber nichts. Demgegenüber äußerten sich nur 40 Prozent der Befragten positiv über den 20. Juli. Vor allem unter ehemaligen Berufssoldaten war die Ablehnung besonders groß. So wundert es dann auch kaum, dass der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hedler von der Deutschen Partei, der den Holocaust öffentlich ins Lächerliche gezogen und den Widerstandskämpfern die "Schuld an unserem Elend" gegeben hatte, vom Landgericht Kiel im Januar 1950 vom Vorwurf der Verunglimpfung "der jüdischen Rasse" und der Widerstandskämpfer freigesprochen wurde. Zwei der drei Richter waren ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Bundespräsident Heuss sprach vom "christlichen Adel deutscher Nation"

Während die Witwen und Angehörigen von Widerstandskämpfern in diesen Jahren mit ihren Anträgen auf Entschädigungszahlungen oder Pensionsansprüche reihenweise an der Bürokratie scheiterten, weil ihre Männer ja an einem Putschversuch teilgenommen hätten und nicht an der Front gefallen seien, versorgte die junge Bundesrepublik ehemalige Soldaten, Juristen und Beamte, die dem nationalsozialistischen Regime bis zuletzt die Treue gehalten hatten, sowie deren Angehörige bestens.

Einen ersten grundlegenden Wandel im Blick auf den Widerstand brachte schließlich die deutsche Wiederbewaffnung. Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) bezeichnete die "Männer des 20. Juli" 1954 als den "christlichen Adel deutscher Nation".

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Dies ging einher mit einer deutlichen Überbetonung der Bedeutung der national-konservativ gesinnten Militärs in den Reihen der Widerstandskämpfer und mit einer Verunglimpfung oder Missachtung des sozialdemokratischen und kommunistischer Widerstandes in der NS-Diktatur. "Das Bild des gut aussehenden Oberst Stauffenberg wurde zur Ikone, der 20. Juli 1944 zur Chiffre für den Widerstand schlechthin", analysiert Hoffmann. Mitunter nahm die Heroisierung der uniformierten Widerstandskämpfer geradezu absurde Züge an. So versuchte die "Zeit"-Journalistin Marion Gräfin Dönhoff sie zum Inbegriff preußischer und adeliger Tugendhaftigkeit zu verklären. Dass aber viele Vertreter der Militärs im Widerstand es 1933 noch ausdrücklich begrüßt hatten, dass Hitler an die Macht kam, störte Dönhoff dabei ebenso wenig wie der Umstand, dass Stauffenberg und andere Offiziere gar keine Preußen waren.

Auch aktuell sind solche kruden und auch gefährlichen Vereinnahmungen zu beobachten, wenn sich Querdenker, Corona-Leugner und Rechtspopulisten auf den 20. Juli 1944 berufen.