Naturschutz in Afrika : "Indigene und Bauern sind einer Art Terrorsystem ausgeliefert"
Die Autorin Simone Schlindwein über abgeschottete Nationalparks, hochgerüstete Ranger und warum Artenschutz im globalen Süden oft auf Kosten der Menschenrechte geht.
Ranger im ostkongolesischen Virunga-Nationalpark: In dem mit deutschem Geld finanzierten Schutzgebiet sollen sie Wilderer bekämpfen. Doch dabei geraten auch Indigene oder Bauern ins Visier.
Frau Schlindwein, als sich im Dezember 2022 die Weltgemeinschaft in Montreal auf das Ziel einigte, 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche weltweit unter Naturschutz zu stellen, wurde das als riesiger Erfolg gefeiert. Wer Ihr Buch liest, bekommt zumindest Zweifel. Sie beschreiben darin, wie Naturschutz und Menschenrechte in zentralfrikanischen Ländern wie dem Kongo massiv kollidieren - und sprechen von einem "grünen Krieg". Wer ist dabei Täter, wer Opfer?
Simone Schlindwein: Täter sind die Wildhüter in Nationalparks wie dem Virunga und dem Kahuzi-Biéga. Opfer ist die Bevölkerung, die am Rande dieser Schutzgebiete lebt: Indigene oder örtliche Bauern sind schon lange Leidtragende der Parks - aus dem Wald und von ihrem Land vertrieben, dürfen sie das Gelände nicht mehr betreten. Doch die seit 2012 zunehmende militärische Ausbildung und Aufrüstung der Wildhüter ist eine dramatische Trendwende in der gesamten Geschichte des globalen Naturschutzes.
Inwiefern?
Simone Schlindwein: Bislang waren Ranger keine militärischen Akteure. Sie zählten und fütterten Tiere, päppelten verletzte Exemplare wieder auf, führten wissenschaftliche Studien durch, spielten Guide für Touristen. Dass Wildhüter im Kampf gegen Wilderer mit extremen militärischen Gadgets und Hochtechnologie ausgerüstet werden, die es möglich macht ein Gelände so zu überwachen, ohne dass eine Fliege durchkommt - ist ein echter Gamechanger. Sie werden trainiert, in der lokalen Bevölkerung Feinde zu sehen. Sie mutieren zu Tätern.
Durch die globalen Naturschutzziele, die eine Ausweitung der Schutzgebiete auch im Kongo zur Folge haben, wird der Druck auf die lokale Bevölkerung wachsen, fürchten Sie?
Simone Schlindwein: Ja. Wir Deutschen haben zu Klimawandel und Artenverlust massiv beigetragen. Nun wollen wir den Planeten retten - aber anstatt Naturschutzgebiete in Deutschland auszubauen, geben wir lieber Geld, damit das woanders getan wird. Das beruhigt unser Gewissen und wir können weitermachen wie bisher.
Im Kongo liegt aber das zweitgrößte Regenwaldgebiet der Erde.
Simone Schlindwein: Das ist die Krux an der Geschichte. Aber: Können wir einen Staat wie den Kongo anheuern, um den Planeten zu retten? Wir haben es mit einer absolut korrupten Regierung und Institutionen wie der staatlichen Naturschutzbehörde ICCN zu tun, die mit Kriegsverbrechern verbandelt ist. Mit meinem Buch möchte ich dazu anregen, sich in einen Bauern hineinzuversetzen, der plötzlich einen Zaun mitten durch seinen Acker gebaut bekommt und mit den hochgerüsteten Wildhütern einer Art Terrorsystem ausgeliefert ist.
Sie berichten, wie Dörfer am Rande des mit viel deutschem Geld unterstützen Kahuzi-Biéga Nationalparks niedergebrannt und indigene Batwa verhaftet, vergewaltigt und manche auch getötet wurden. Als es 2017 erste Berichte gab, sprach auch die Bundesregierung von Einzelfällen. Glaubten Sie daran?
Simone Schlindwein: Zunächst klangen die Meldungen tatsächlich wie Einzelfälle. Doch ich hatte bald die Vermutung, dass es weit mehr ist, nämlich ein struktureller und tagtäglicher Konflikt der lokalen Bevölkerung mit der Parkverwaltung, den Rangern und mit den Tieren - um Landrechte.
Sie haben 2019 begonnen, die Menschen rund um die Parks zu interviewen und ihnen Formulare und Stifte in die Hand gedrückt, um Vorfälle zu protokollieren. Wie haben sie reagiert?
Simone Schlindwein: Sehr positiv. Oft habe ich gehört: Du bist die erste Weiße, die uns fragt, wie es geht. Viele Menschen dort kennen Weiße nur als Touristen, die im Safarijeep schnell an ihnen vorbei in den Park fahren, um Elefanten, Löwen oder Affen zu sehen. Und viele haben das Gefühl, ihr Leben zähle nicht, Tiere seien mehr wert. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen hält, dass sie auf keinen Staatsapparat zählen können, der sie schützt oder für medizinische Versorgung und Schulbildung sorgt. Nicht einmal Strom gibt es in den Dörfern, im Park hingegen schon - für die Elektrozäune.
Sie schreiben, dass Zeugen, die über die Menschenrechtsverletzungen berichten, bedroht werden. Wie gefährlich waren die Recherchen für Sie?
Simone Schlindwein: Als Journalist lebt man im Kongo seit jeher gefährlich. Der Virunga-Nationalpark liegt zudem im Ostkongo, seit über 20 Jahren Kriegsgebiet. Was die Recherche für mich aber besonders gruselig gemacht hat, war die Holzkohlemafia, die in den Wäldern illegale Köhlereien betreibt. Zu ihr gehören Kämpfer der ruandischen FDLR-Milizen, Völkermord-Täter. Tatsächlich wurde versucht, mich zu entführen, ich bekam mehrfach Drohnachrichten. Die Botschaft war klar: 'Du kommst hier nicht lebend raus, wenn du nicht sofort verschwindest'. Das musste ich ernstnehmen.
In die Militarisierung des Naturschutzes, so kritisieren Sie, seien neben Rüstungsfirmen auch internationale Geber und Naturschutzorganisationen wie der WWF involviert. Stolperten sie blauäugig in die Allianz? War der Krieg gegen die Wilderei ein Vorwand?
Simone Schlindwein: Nein. Als dieser 2012 ausgerufen wurde, gab es den begründeten Verdacht, dass sich Terrorgruppen über den Handel mit Elfenbein finanzierten. Die Indizien: Getötete Elefanten, islamistische Milizen, die sich in den Parks versteckt hielten, das finanziell enorm lukrative Geschäft mit Elfenbein. Die chinesische Mafia exportiere es ja tonnenweise nach Asien.
Also hat man eins und eins zusammengezählt...
Simone Schlindwein: ...ja, es war durchaus logisch, dass man begonnen hat, vermeintliche Terroristen zu bekämpfen. Es war die Hochphase des Kampfes gegen den Terror, auch in Afrika. Erst im Nachhinein hat man festgestellt, dass es gar nicht das Elfenbeingeschäft war, mit dem sich die Milizen vorrangig finanzierten, sondern die Holzkohle. Auch haben nicht Terroristen die Elefanten erschossen, sondern ugandische Streitkräfte - Partner der USA im Kampf gegen den Terror. Mit diesen falschen Annahmen wurde jedoch nie aufgeräumt. Das Narrativ von den Elefanten jagenden Terroristen war zu dienlich.
Der Safari-Tourismus ist ja ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Simone Schlindwein: Immer mehr Militärs haben in den Tourismussektor investiert. Kongos Tourismusminister schlug 2022 vor, die Nationalparks von Generälen der Armee verwalten zu lassen, um sie besser zu schützen. Das Geld internationaler Geber fließt zunehmend in Anti-Wilderei-Maßnahmen. Kongos Regierung nutzt solche Transferzahlungen bewusst, um möglichst viel Geld herauszuholen. Der Naturschutz dient als Vehikel, um die Truppen mit modernster Militärtechnik wie Satelliten und Drohnen auszurüsten.
Sie haben die Bundesregierung mit den Menschenrechtsverletzungen an den Batwa konfrontiert. Eine Untersuchungskommission wurde daraufhin eingerichtet, Gelder wurden eingefroren, Verantwortliche gefeuert. Doch die über 30-jährige Zusammenarbeit mit der Naturschutzbehörde ICCN und den Nationalparks hat man nicht beendet.
Simone Schlindwein: Nein. Ob überhaupt diese Schritte unternommen worden wären, wenn ich nicht mit meinen Recherchen das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor mir her getrieben hätte, ist fraglich. Nur zu gern hätte man weiter die Augen vor der Realität verschlossen. Es ist zugegebenermaßen auch ein Dilemma: Die Ampelregierung will in Zukunft mit noch viel mehr Geld als bisher im globalen Süden Natur und Artenvielfalt schützen, das hat sie international zugesichert. Doch wie will sie das im Einklang mit den Menschenrechten schaffen? Dafür hat sie keinen Plan B.
Ihr Hauptvorwurf gegen die Bundesregierung ist, dass sie auf ein überkommenes Naturschutzkonzept setzt?
Simone Schlindwein: Ja, unser Konzept des Naturschutzes in Europa ist noch stark von der Kolonialzeit beeinflusst. Damals wurden Nationalparks als menschenleere Zonen geschaffen: Ganze Dörfer mussten für den Wildtierschutz weichen, Tausende Menschen wurden vertrieben. Wollen wir an solche Konzepten festhalten?
Was wäre die Alternative? 20.000 Hektar Regenwald werden im Ostkongo jährlich gerodet.
Simone Schlindwein: Ja, weil für Millionen Menschen dort Holzkohle die einzige Energiequelle ist. Wie wäre es denn, wenn wir nicht den Naturschutz an erste Stelle setzen würden, sondern die Menschen? Wenn wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt darauf konzentrierten, Infrastruktur für Stromversorgung, Kläranlagen und Abfallrecycling zu schaffen, würden letztlich beide profitieren - Menschen und Natur. Jeden Baum einzuzäunen schaffen wir ohnehin nicht.
Simone Schlindwein:
Der grüne Krieg.
Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat.
Ch. Links Verlag,
Berlin, 2023;
256 Seiten, 20,00 €