Ostdeutschland 35 Jahre nach dem Mauerfall : Wider dem erinnerungspolitischen Ost-Umbau
In ihrem neuen Buch "Fabelland" geht Ines Geipel mit einer von ihr beobachteten, nachträglichen Verherrlichung des DDR-Regimes hart ins Gericht.
Eine einfache Lektüre hat die Publizistin und frühere DDR-Spitzensportlerin Ines Geipel mit ihrem neuen Buch wahrlich nicht vorgelegt. Trotzdem ist "Fabelland" - eine Melange aus Privatem, Dokumentation und politischer Analyse - viele Leser zu wünschen.
Geipel lässt zahlreiche Politiker, Soziologen und Historiker zu Wort kommen. Dabei hat die mehrfach ausgezeichnete Autorin, die unter anderem die Aufarbeitung des DDR-Dopingsystem entscheidend vorangetrieben hat, selbst viel mitzuteilen über ihren langen Kampf gegen die nachträgliche Verherrlichung des DDR-Regimes. Aufklärung tut hier Not, denn im Osten geht es drunter und drüber: Aus dem Glück des Mauerfalls und der Deutschen Einheit erheben sich die autoritären Kräfte der AfD und jetzt des BSW, vermischt mit viel Ostalgie.
Geipel: Das innerdeutsche Klima wird zum politischen Sprengstoff
Nicht wenige Politiker versuchen von dieser Entwicklung zu profitieren, indem sie die neuen Ost-Befindlichkeiten hegen und pflegen. So zitiert Geipel Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der sich nach einem "neuen ostdeutschen Selbstbewusstsein" sehnt. Damit werde zusehends fluide, was vor mehr als drei Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch der DDR-Diktatur geklärt schien, mahnt die Autorin. “Das innerostdeutsche Klima wird zum politischen Sprengstoff. Die alte Täterklientel hat sich reorganisiert, die Opfer lassen ihre letzte Lebenskraft im demütigenden Kampf um Rehabilitierung.”
Ines Geipel:
Fabelland.
Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück.
S. Fischer,
Frankfurt/Main, 2024;
320 S., 26,00 €
Mit wachsender Fassungslosigkeit beobachtet Geipel die "gedächtnispolitischen Ost-Umbauer". Der Kulminationspunkt wurde 2023 erreicht: Auf den Markt gelangten drei Bücher über die "Legende vom Ostdeutschen als vermeintlich utopischer Ideenkapsel". Mit Emphase zerreißt Geipel die Bücher von Thomas Oberender, Dirk Osch-mann und Katja Hoyer, allesamt Ostdeutsche mit "erstaunlichen Freiheitskarrieren". Gleichwohl wurden ihre Bücher auch in Westdeutschland dankbar aufgenommen und gehypt.
Dabei muss man nicht lange suchen, um die Gründe für diese Legendenbildung zu finden: Die aktuelle erinnerungspolitische DDR-Revision sei "eine nach außen verlagerte Entlastungserzählung, die versucht, den Westen zum Buhmann zu machen", analysiert Geipel. Hinzu komme "eine Erzählung darüber, wie stark die diktaturbelasteten Generationen im Osten das Binnenkollektiv noch immer zusammenhalten". Es sei daher kein Zufall, dass die AfD mit ihrem Geschichtsrevisionismus nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland punkten kann.
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