"Progressiver Separatismus" : Yascha Mounks Abrechnung mit der Identitätspolitik
Yascha Mounk geht hart ins Gericht mit der sogenannten Identitätspolitik. Diese widerspreche den universellen Zielen von Gleichheit und Humanismus.
Kurz vor der deutschsprachigen Veröffentlichung seines neuen Buches geriet der amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk in die Schlagzeilen. Eine US-Journalistin wirft ihm vor, sie vergewaltigt zu haben. Mounk bestreitet das vehement, bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung. Doch der gravierende Vorwurf wirft einen Schatten auf den 1982 geborenen Autor, dem zuvor eine steile wissenschaftliche Karriere gelungen war. Er lehrt internationale Beziehungen an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, schrieb für renommierte US-Blätter und auch für die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit", wo er im April 2023 gar zum Mitherausgeber ernannt wurde.
Seit einigen Wochen ruht seine Tätigkeit für "Die Zeit" und die amerikanische Publikation "The Atlantic" hat die Zusammenarbeit mit Mounk ganz aufgekündigt. Auch das Erscheinen der deutschen Übersetzung seines Werkes "Im Zeitalter der Identität" schien zwischenzeitlich gefährdet. Das Haus Klett-Cotta ließ sich allerdings nicht von der Herausgabe abhalten, und der Inhalt des Buches rechtfertigt den verlegerischen Mut. Denn es handelt sich um eine fundierte Beschreibung jener vielfältigen Phänomene, die meist unter dem Schlagwort Identitätspolitik zusammengefasst werden. Mounk argumentiert dagegen, "ohne sich in einen reaktionären Spinner zu verwandeln", urteilt ein renommierter Wissenschaftskollege, der kanadische Psychologe Steven Pinker.
Mounk geht es um die Verteidigung universeller Werte
Das Kernanliegen des Autors ist die Verteidigung universeller Werte, die er durch die Angriffe diverser Interessengruppen gefährdet sieht. Gerade jene Menschen, die seit Jahrhunderten aufgrund ihrer Ethnie, ihrer Religion oder ihres Geschlechts unterdrückt wurden, setzen Mounk zufolge verstärkt auf ein spezifisches Gruppenbewusstsein. Doch im legitimen Kampf gegen erlittenes Unrecht habe sich die "gesunde Wertschätzung" der eigenen Identität leider in eine "kontraproduktive Obsession" verwandelt. Diese sei zumindest in den USA im kulturellen Mainstream angekommen, übe Einfluss aus in staatlichen Institutionen und zunehmend auch in Wirtschaftsunternehmen.
Der (queer)feministische wie auch der antirassistische Aktivismus propagiere eine Gesellschaft, in der sich "fast alles um starre Kategorien dreht". Das befeuere die Polarisierung, stelle jede Form des produktiven Austausches unter den Generalverdacht der "kulturellen Aneignung" und begünstige im Extremfall sogar eine neue "Rassentrennung". So werden schwarze Kinder an einigen sich als fortschrittlich verstehenden amerikanischen Schulen zeitweise wieder gesondert unterrichtet, um ihre "rassische Identität" zu finden und vor Diskriminierung zu schützen. Bürgerrechtler wie der ermordete Martin Luther King, vermutet der Verfasser, hätten solchen "progressiven Separatismus" mit Sicherheit als Rückschritt empfunden.
Den geistigen Ursprüngen der "Identitätssynthese" auf der Spur
Yascha Mounk ist der Sohn jüdischer Eltern, die 1969 nach einer Säuberungswelle in der Kommunistischen Partei Polens das Land verließen. Aufgewachsen ist er in München, fühlte sich dort aber nie heimisch. Er lebt seit langem in New York. Mit den schwierigen Identitäten gesellschaftlicher Minderheiten kennt er sich jedenfalls aus. Es hat eine gewisse Brisanz, dass seine berufliche Laufbahn nunmehr durch eine Anschuldigung gefährdet wird, die mit den Thesen seines Buches wenigstens indirekt zu tun hat.
Umso deutlicher ist zu betonen, dass Mounk ein wichtiges Buch gelungen ist. Besonders lesenswert ist der historisch orientierte erste Teil, in dem sich der Verfasser den vielfältigen geistigen Ursprüngen der "Identitätssynthese", wie er das von anderen als Wokeness bezeichnete Phänomen nennt, nachgeht. Anschaulich schildert er das Aufkommen postmoderner Theorien nach dem Scheitern der "großen Erzählungen" im Paris der Nachkriegszeit mit seinem Hauptprotagonisten Michel Foucault. Er beschreibt den Aufstieg von "Critical Race"-Ansätzen und benennt den "strategischen Essentialismus" der sogenannten Postcolonial Studies.
Yascha Mounk:
Im Zeitalter der Identität.
Der Aufstieg einer gefährlichen Idee.
Klett-Kotta,
Stuttgart 2024;
512 Seiten, 28,00 €
Mounk deckt die Widersprüche der Identitätsorientierung schonungslos auf: Einerseits werde ständig betont, "Gender" oder "Race" seien sozial konstruiert und daher beliebig veränderbar. Andererseits ziehe man sich diesen Kategorien folgend in geschlossene Gruppen zurück. Außenstehenden, etwa Menschen weißer Hautfarbe, werde unterstellt, die Unterdrückung und Diskriminierung der Opfer nie vollständig begreifen zu können - und so begründet jedes Recht auf Mitsprache verwehrt.
Übertriebene Vorsicht und ein Klima der Angst
Nach Ansicht des Autors widerspricht das zentralen universellen Zielen wie Gleichheit und Humanismus, für die sich einst gerade die politische Linke stark machte. "Critical Whiteness" bedeute an US-amerikanischen Universitäten heutzutage, sich ständig unterwürfig für die eigene Privilegiertheit entschuldigen zu müssen. Benachteiligten Gruppen hingegen würden Sonderrechte eingeräumt, schon harmlose "Mikroaggressionen" sanktioniert. So entstehe ein von übertriebener Vorsicht geprägtes Klima der Angst, in dem sich auch die scheinbar Mächtigen nicht mehr zu positionieren wagten.
Abschließend plädiert Mounk für die Prinzipien des philosophischen Liberalismus. Es sei an der Zeit, gemeinsam "für eine Zukunft zu kämpfen, in der das, was uns verbindet, wichtiger wird als das, was uns trennt". Manche der von ihm angeführten Belege für die Auswüchse der "Identitätsfalle" wirken anekdotisch, nicht alle Beispiele sind überzeugend. Dennoch bleibt seine Darstellung, wie die "New York Times" schrieb, eine intellektuelle Meisterleistung.
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