Vor 35 Jahren : Als Erich Honecker vom Krankenhaus direkt in Haft kam
1990 wurde Erich Honecker, der frühere DDR-Staatsratschef, verhaftet. Doch mithilfe der Roten Armee gelang ihm die Flucht nach Moskau und später nach Chile.
Die Eilmeldung der Deutschen Presseagentur (dpa) lief am 29. Januar 1990 um 9.05 Uhr über den Ticker: "Honecker aus dem Krankenhaus direkt in Haft". Gegen 7.00 Uhr sei der 77-Jährige in Anwesenheit seiner Ehefrau Margot von der Staatsanwaltschaft und Polizisten aus seinem Krankenzimmer in der Berliner Charité abgeholt, durch ein Spalier von Schaulustigen geführt und in die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Rummelsburg gebracht worden. Die DDR-Justiz ignorierte dabei die Ärzte, die ihren Patienten für haftunfähig hielten.
Erich Honecker (2. v.r.) wird 1990 in der Berliner Charité verhaftet. In Begleitung seiner Frau Margot verlässt er das Krankenhaus.
22 Tage hatte sich der im Oktober 1989 gestürzte DDR-Staats- und SED-Chef wegen eines bösartigen Nierentumors an der Klinik behandeln lassen. Sein kritischer Gesundheitszustand sorgte letztlich dafür, dass Erich Honeckers Haft nicht lange andauerte: Schon am 30. Januar, um 16.50 Uhr, meldete die dpa: "Honecker ist frei".
Die Vorwürfe: Hochverrat, Amtsmissbrauch und Korruption
Der zuständige Haftrichter habe sich dagegen entschieden, einen Haftbefehl auszusprechen. Auch "unter Berücksichtigung der Schwere des gegen Honecker erhobenen Schuldvorwurfs" - im Raum standen Hochverrat, Amtsmissbrauch und Korruption - stehe "der Gesundheitszustand des Beschuldigten einer Inhaftierung" entgegen, hieß es. Ein Gutachten attestierte Honecker zudem Vernehmungsunfähigkeit. DDR-Ministerpräsident Hans Modrow hatte schon zuvor gefordert, eine Begnadigung oder Haftverschonung Honeckers "wohlwollend" zu prüfen. Und der SPD-Politiker Egon Bahr erklärte, den Schwerkranken in ein Gefängnis zu schaffen, "mag zwar Rachegelüste befriedigen und schlechte Gewissen entlasten", aber "mit einem normalen Rechtsstaat hat das nichts zu tun".
Das Ehepaar Honecker hatte unterdessen noch ein anderes Problem: Nach dem Mauerfall mussten der einst starke Mann der DDR und seine Frau, ehemals Ministerin für Volksbildung, ihr Haus in der Waldsiedlung Wandlitz verlassen. Damit waren die Honeckers Ende Januar 1990 quasi obdachlos. Ausgerechnet ein evangelischer Pfarrer und SED-Gegner aus Brandenburg nahm die beiden bei sich auf.
Flucht nach Moskau im März 1991
Als Honecker im April 1990 in das sowjetische Militärhospital in Beelitz verlegt wurde, hatten deutsche Strafverfolger keinen Zugriff mehr auf ihn. Im März 1991 flogen die Honeckers ungehindert nach Moskau. Er wolle nach Deutschland zurückkommen, betonte Honecker, jedoch nur, wenn "dieser ungesetzliche Haftbefehl", der noch bestand, aufgehoben werde. Doch das geschah nicht.
Auf Druck der Bundesregierung mussten die Honeckers Moskau Mitte 1992 verlassen. Margot durfte nach Chile zu ihrer Tochter, Erich Honecker wurde dagegen nach Deutschland ausgeliefert. Am 12. November 1992 begann vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen den inzwischen an Leberkrebs erkrankten Honecker. Dabei ging es nun auch um seine Verantwortung für den Schießbefehl an der Grenze und die Mauer-Toten. Der Angeklagte übernahm die politische Verantwortung, erklärte sich aber "frei von juristischer oder moralischer Schuld". Im Januar 1993 wurde das Verfahren gegen Honecker eingestellt. Der Prozess, dessen Ende der inzwischen 80-Jährige wohl nicht mehr erleben werde, sei mit der Menschenwürde unvereinbar, entschied das Berliner Landesverfassungsgericht. Noch am selben Tag flog Honecker zu seiner Familie nach Chile, wo er am 29. Mai 1994 starb.